Lara Croft als Patienten-Avatar, das würde so manchem Student das Lernen am Computer versüßen. Aber so sexy kommt der britische "Virtual Patient" nicht daher. Von der deutschen Variante ganz zu schweigen. Wie viel Lara muss sein, um von Studenten akzeptiert zu werden?
Mit einer Software für 3D Game Technology werden an der Keele University im englischen North Midland virtuelle Pharmareferenten, Patienten, Krankenschwestern, Ärzte etc. für die Ausbildung von Pharma-Studenten kreiert. Ziel ist, die Studenten auf eine effiziente Kommunikation in ihrem späteren Job vorzubereiten. Die computeranimierten Wesen bzw. Avatare – von den Engländern ein bißchen mißverständlich unter dem Begriff "Virtual Patient" (VP) zusammengefasst - wirken zwar noch ein bißchen ungelenk in den Bewegungen, aber sie kommen dem menschlichen Bild schon ziemlich nahe. Sie können mit dem Studenten sprechen und mit Gesten Schmerz, Stress oder Angst ausdrücken. Die Verständigung zwischen Student und VP erfolgt mit Hilfe einer integrierten Spracherkennungs-Software. Alternativ dazu besteht auch die Möglichkeit, frei formulierte Fragen über die Computer-Tastatur einzugeben. Das hat den Vorteil, so die Entwickler, dass das System auch auf einem ganz normal ausgestattetem PC installiert werden kann und der "Patient" quasi mit nach Hause genommen werden kann. Das komplette System wird ansonsten im Klassenzimmer oder im Internet zur Verfügung gestellt.
Erkenntnisse aus der klinischen Entscheidungstheorie
Theoretisch läßt sich mit dem in Keele entwickelten System jede Art von Avataren in unterschiedlichsten Situationen aus dem Gesundheitswesen programmieren, erklärt Luke Bracegirdleb gegenüber DocCheck. Bracegirdleb ist IT-Direktor an der School of Pharmacy der Keele University und verantwortlich für die technische und grafische Entwicklung der VP-Software. Der Prototyp entstand vor drei Jahren und war ursprünglich als Trainingsprogramm für die Keeler Pharma-Studenten konzipiert. Inzwischen wurde das System weiterentwickelt, um neue klinische Szenarien ergänzt und als Lizenz anderen Universitäten angeboten. Inhaltlich sind, so der IT-Direktor, die Erkenntnisse aus der klinischen Entscheidungstheorie, einem Forschungszweig der Schule, eingeflossen. Die daraus entwickelten Prozesse seien nicht nur auf eine bestimmte Sichtweise eines klinischen Geschehens festgelegt, sondern erlauben beispielsweise auch, ethnische Besonderheiten abzubilden. "Wir glauben", betont Bracegirdle, "dass unser VP-System effektiver ist als das Lesen eines Textbuchs oder Flowcharts". Ein Keeler Student bestätigt das. Er ist sich sicher, dass man optimale Beratungs- und Kommunikationsfähigkeiten nicht besser erwerben kann.
VPs für Unterricht und Prüfung im Einsatz
Virtuelle Patienten, die der Ausbildung von Medizinstudenten dienen, gibt es in Heidelberg schon länger. An der Medizinischen Fakultät werden im Zentrum für virtuelle Patienten (ZVP) seit 1999 computerbasierte Simulationen entwickelt und eingesetzt. Die Heidelberger Studenten waren von dem eLearning-Konzept so angetan, dass mittlerweile jedes Jahr zwei neue studiengebührenfinanzierte Projekte gestartet und im Rahmen des Curriculum Medicinale für Unterricht und Prüfung angeboten werden. Bisher gab es bereits VPs in der Pädiatrie und in der Vorklinik. Das erste aus Studiengebühren finanzierte Projekt startete im Herbst 2008 für den Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie. In diesem Jahr sollen VPs für die Neurologie, die Chirurgie und die Gynäkologie folgen. Mit den Avataren der Engländer läßt sich der Heidelberger Ansatz allerdings kaum vergleichen. Bei den Deutschen gibt es keine aufwändige 3D-Animation und keine Sprachein- oder ausgaben. Aber dafür wird das System mit dem Namen Campus bereits in mehreren deutschen und ausländischen Fakultäten eingesetzt.
Didaktischer Mehrwert zweifelhaft?
Das ZVP wird von Prof. Dr. Martin Haag, zuständig für die IT-Realisierung, und Dr. Sören Huwendiek, Kinderarzt und verantwortlich für Inhalt sowie Didaktik, geleitet. Das was die Engländer machen, erklärt Huwendieck gegenüber DocCheck, ist vom Konzept her nichts Neues. Systeme mit vergleichbarem Inhalt gebe es seit Jahren, wie beispielsweise Campus. Er bezweifelt, dass der große technische Aufwand der Briten einen didaktischen Mehrwert bietet. Die hohen Anforderungen an die Hardware machen aus seiner Sicht das System nur teurer und weniger universell einsetzbar. "Außerdem halte ich Laienschauspieler für ein Kommunikationstraining besser geeignet als VPs", so Huwendieck. Ob sich bei den Studenten der EgoShooter-Generation Schauspieler oder Avatare durchsetzen, bleibt abzuwarten. Einen Vorteil haben Avatare jedenfalls: Sie brauchen nie eine Kaffeepause.