Patienten mit Nichtraucherkrebs stellen für viele Ärzte eine schwierige Klientel dar: Diagnose als auch Therapie fallen anders aus als bei raucherbedingten Tumoren. Jetzt wurden Richtlinien für Ärzte publiziert, wo festgelegt wurde, was man bei den Patienten beachten sollte.
Die unter Federführung des Johns Hopkins Kimmel Cancer Center zusammengestellten Ergebnisse im Fachblatt Clinical Cancer Research lassen unmissverständlich wissen: Ärzte müssen schon bei der Diagnose eines Lungenkrebs genau darauf achten, ob ihre Patienten jemals rauchten, oder nicht. Zwar gilt die Tatsache, wonach der Nichtraucherkrebs sich anders manifestiert als Lungenkrebs von hartgesottenen Zigarettenkonsumenten, als Binsenweisheit. Doch an einer einheitlichen Betrachtung dieses Phänomens hat es in der Medizin bisher gemangelt.
13 Onkologen stieß die Wissenslücke in den Leitlinien auf – und so machten sich die US Ärzte daran, hunderte von Studien über Lungenkrebs unter die Lupe zu nehmen. Bereits die Anamnese, konstatieren nun die Forscher, mutiert nur allzu oft zum Glückspiel. Wer als Raucher gilt, und wer nicht, entschied nämlich bislang in erster Linie das Gefühl des Arztes und die Aussage des Patienten. Genau hier aber, schlagen die Autoren vor, müsse in Zukunft ein Umdenken erfolgen: Wer in seinem Leben mehr als 100 Zigaretten konsumierte gilt der neuen Sichtweise zufolge bereits als Raucher – egal wann und über welchen Zeitraum er die lebensbedrohliche Fracht des Tabaks inhalierte.
Die Folgen dieser neuen Kategorisierung des Raucherbegriffs sind weitreichend. So weist Studienleiter Charles M. Rudin, darauf hin, dass lediglich Nichtraucher auf sogenannte EGFR Inhibitoren besonders gut ansprechen, „weil der Lungenkrebs bei dieser Patientengruppe öfter Mutationen des EGFR aufweist“. Auch scheinen bei Nichtrauchern Änderungen im EML4-ALK Gen stattzufinden, so dass hier Angriffsflächen für neue Wirkstoffe zum Vorschein treten.
Simple Frage, große Auswirkungen
„Haben sie in Ihrem Leben mehr als 100 Zigaretten geraucht?“ müsste den Studienautoren zufolge aus einem weiteren Grund zur ersten Frage eines jeden Pneumologen avancieren. Zu oft würde die vereinfachte Angabe des Patienten, er sei Nichtraucher, den Arzt in die Irre führen: Ohnehin schwer diagnostizierbare Symptome im Anfangsstadium wie Brustschmerzen oder Husten ordnen die meisten Ärzte Erkrankungen wie Asthma oder Erkältungen zu – davon ausgehend, dass die numerisch unbelegten Aussagen seines Patienten stimmen und dieser tatsächlich Nichtraucher ist.
Zwar stehen Ärzte in Deutschland auf Grund der AWMF-Richtlinien rein theoretisch besser da. So heißt es unter der Rubrik „Diagnostik und Therapie von Patienten mit akutem und chronischem Husten“ in klar verständlichen Worten: „Husten ist das häufigste Symptom bei der Erstdiagnose eines Bronchialkarzinoms. Wenn ein ACE-(angiotensin converting enzyme)-Hemmer bedingter Husten ausgeschlossen werden kann, soll jeder Patient mit chronischem Husten zum Ausschluss eines Bronchialkarzinoms gleich bei seiner ersten Vorstellung beim Arzt geröntgt und bei ungeklärtem chronischem Husten spätestens am Ende der diagnostischen Aufarbeitung bronchoskopiert werden ("Evidenz"grad 5, Empfehlungsgrad D)“.
Gleichwohl kommen auch Asthma, COPD, Aspirationen oder Diffuse Lungenparenchymerkrankungen in Betracht. Zudem leiden viele Hausärzte, bei denen die Patienten ohnehin auf Grund des Hustens zu spät vorstellig werden, an dem nötigen Informationsmangel: Die Angaben über die Dauer des Hustens sind oft genau so diffus wie jene über die Raucher oder Nichtraucher-Einschätzung.
Die simple Frage der neuen Lungenkrebs-Liga dürfte am Ende selbst die Politik erreichen. Allein in der EU fordert der Tabakkonsum jährlich 650.000 Menschenleben. Weitere 80.000 Todesfälle gehen auf das Passivrauchen zurück. Darauf jedenfalls wies am 31. Januar 2007 die EU-Kommission mit dem Grünbuch „Für ein rauchfreies Europa: Strategieoptionen auf EU-Ebene“ hin – und lag womöglich weit unterhalb der realen Zahlen. Denn folgt man Rudins Überlegungen, blieben vermutlich auch in diesen Statistiken unzählige Menschen unerfasst, weil sie als Nichtraucher galten: Die entscheidende Frage nach den 100 Zigaretten hatte niemand gestellt.