Jüngere Patienten mit chronischen Schmerzen sehen - im Sinne von Funktionseinschränkungen - schön alt aus. Sie entsprechen oft alten Menschen, die schmerzfrei leben. Funktionell hat ein 50-Jähriger mit chronischen Schmerzen das Alter eines Achtzigjährigen.
Täglich Schmerzen zu erleiden, fordert nicht nur psychisch seinen Tribut, auch körperlich schränken chronische Schmerzen Patienten häufig stark ein. Wie stark, können andere oft kaum ermessen und interpretieren die Einschränkungen chronisch Schmerzgeplagter nicht selten schlicht als Gejammer. Eine Objektivierung funktioneller Einschränkungen, die mit chronischen Schmerzen verbunden sind, ist den meisten auch kaum möglich.
30 Jahre vorgealtert
Berichten jüngere Schmerzpatienten, sie fühlen sich wie 70-Jährige, stimmt diese Einschätzung jedoch häufig recht genau. Denn sie sind zwei bis drei Jahrzehnte älter als ihr tatsächliches Alter glauben macht. Dies zeigen Untersuchungen des Geriaters Kenneth Covinsky der Universität von Kalifornien an Schmerzpatienten. Die Leistungsfähigkeit von 50- bis 59-jährigen Schmerzpatienten entspricht demnach Senioren, die 80 bis 90 Jahre alt sind, aber schmerzfrei sind. Von diesen waren immerhin noch vier Prozent in der Lage, über 1,5 Kilometer zu joggen, und über die Hälfte der Betagten schaffte es mühelos, einige Häuserblocks zu umrunden (J Am Geriatr Soc 2009; 57: 1556-1561). Was für Neunzigjährige allerdings eine beeindruckende Leistung ist, kommt bei 50 oder 60 Lenzen eher einem Armutszeugnis gleich.
Auch nach Berücksichtigung von soziodemografischen Faktoren, Komorbiditäten, Depressionen, Fettleibigkeit und Gesundheitsverhalten hatten Schmerzpatienten ein stark erhöhtes Risiko für funktionelle Einschränkungen.
Schmerzdefinition auf subjektiver Basis
Bei den untersuchten über 18.500 Teilnehmern der 2004 Health and Retirement Study, einer nationalen repräsentativen Untersuchung an 50-jähigeren und älteren, selbständig lebenden Personen, war signifikanter Schmerz als Schmerz definiert, der in der meisten Zeit vorhanden und moderat bis stark ist sowie als häufig belastend erlebt wird. Untersucht wurden Fähigkeiten in vier Domänen: Mobilität, Treppen steigen, Funktion der oberen Extremität und Aktivitäten des täglichen Lebens.
37 Prozent der 50- bis 59-Jährigen ohne Schmerzen konnten eine Meile joggen, 91 Prozent umwanderten mehrere Häuserblocks und 96 Prozent wenigstens einen Block. Unter Schmerzen joggten nur neun Prozent der Teilnehmer eine Meile, gingen nur 50 Prozent ohne Schwierigkeiten um mehrere Blocks und 69 Prozent um einen einzigen. Ihre Mobilität entsprach der alter Menschen. Wenn auch sich Funktionseinschränkungen im Verhältnis zum Alter bei Schmerzpatienten mit zunehmendem Alter etwas anglichen, waren sie auch noch in hohem Alter vorhanden.
Schmerz-Funktionsverlust als Circulus vitiosus
Nach Kenntnis von Covinsky ist dies die bislang erste derartige Untersuchung, die Schmerzen ins Verhältnis zur Alterspanne setzt. Trotz Grenzen der Studie - dies sind das Querschnittsdesign und die Probleme, die der Definition des Begriffes Schmerz in dieser Untersuchung innewohnen - lässt das Ergebnis einige Erkenntnisse zu. Die genauen Ursachen und Wirkungen beim Thema sind unklar. Wahrscheinlich bedingen sich Schmerzen und Funktionseinschränkungen jedoch gegenseitig, und ein Problem verschlimmert das andere, sodass eine Abwärtsspirale in Gang kommt. Deutlich wird, dass es sich bei Schmerzen und Funktion nicht um trennbare Prozesse handelt, die einzeln zu behandeln sind.
Kovinsky betont die Bedeutung der Erfassung von Schmerzen und funktionellen Einschränkungen, von Schmerzmanagement und wirksamen Therapien. Doch ist es damit nicht getan, weitere Faktoren spielen eine große Rolle: Viele Schmerzpatienten weisen eine therapiebedürftige Komorbidität auf. Durchschnittlich haben Schmerzpatienten neben der Schmerzdiagnose weitere Diagnosen an fünf verschiedenen Organsystemen. Sie nehmen durchschnittlich sieben Medikamente ein. Wechselwirkungen sind kaum zu überschauen, ergab eine vor einigen Jahren durchgeführte Untersuchung der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e. V. (DGSS), veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Der Schmerz“ (2003; 4: 252-260). Darüber hinaus sind die meisten Schmerzpatienten überzeugt, Schonung und Ruhe sei die beste Medizin.