Noch immer werden Antibiotika falsch oder über einen zu langen Zeitraum eingesetzt. Eine Schweizer Forschergruppe konnte zeigen, dass ein Bluttest die Diagnose von Atemwegsinfekten vereinfacht und die Dauer der Antibiotikatherapie verkürzt.
Wenn Patienten an einer Infektion der tiefen Atemwege leiden, können Ärzte aufgrund der klinischen Symptome nicht zuverlässig bestimmen, ob der Krankheitserreger viralen oder bakteriellen Ursprungs ist. Die Folge: Ein Großteil der Patienten wird trotz viraler Ursache ihrer Erkrankung mit Antibiotika behandelt. Ihr unnötiger Einsatz gilt jedoch als Hauptgrund dafür, dass immer mehr Bakterien Resistenzen ausbilden und nicht mehr auf eine Antibiotika-Therapie ansprechen.
Ein viel versprechender Ansatz, um virale von bakteriellen Infektionen zu unterscheiden, ist die Bestimmung des Biomarkers Procalcitonin (PCT) im Blut: Bei gesunden Personen lässt sich das Protein bloß in sehr geringen Konzentrationen nachweisen, da es nur in der Schilddrüse gebildet und dort sofort in das Hormon Calcitonin umgewandelt wird. Setzen sich jedoch pathogene Bakterien im Körper fest, erhöht sich die Konzentration des Hormonvorläufers im Blut. Bei Viruserkrankungen steigt seine Konzentration hingegen nicht an. Fachleute vermuten, dass PCT die Immunabwehr bei bakteriellen Angriffen moduliert.
In einer klinischen Studie haben Schweizer Forscher nun untersucht, ob sich PCT als Biomarker bei Patienten mit einer schweren Infektion der tiefen Atemwege eignet. Wie Beat Müller und seine Kollegen im Fachblatt JAMA berichten, führte die Bestimmung von PCT zu einer Verkürzung der Antibiotikagabe um ein Drittel, geringere Antibiotikaverschreibungen und weniger Nebenwirkungen ohne den Behandlungserfolg der Patienten zu gefährden.
Schwellenwert entscheidet über Antibiotikagabe
Die Untersuchung fand an sechs Kliniken statt und umfasste 1359 Patienten, die entweder an einer akuten Bronchitis, an einer Lungenentzündung oder an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung litten. Die Studienteilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. In der einen Gruppe erhielten Patienten die Antibiotika solange, bis die klinischen Symptome verschwunden waren, in der anderen Gruppe entschied die PCT-Konzentratrion darüber, ob und wie lange Patienten mit Antibiotika behandelt wurden.
Unterschritt die Konzentration den Schwellenwert von 0,25 Mikrogramm PCT pro Liter Blut, bekamen die Probanden in dieser Gruppe keine Antibiotika-Behandlung; wurde der Wert überschritten, erhielten die Probanden dagegen Antibiotika. Bei diesen Patienten bestimmten die Ärzte nach drei, fünf und sieben Tagen die PCT-Konzentration erneut, um zu entscheiden, ob die Antibiotika-Therapie fortgeführt wird oder nicht. In beiden Gruppen wurde bei jedem Patient nach 30 Tagen überprüft, wie erfolgreich die jeweilige Behandlung gewesen war.
Die Messung des Biomarkers erfolgte mit einem Verfahren des Diagnostika-Herstellers Brahms. Es beruht darauf, dass sich spezielle Antikörper an den Biomarker haften und mit ihm einen Immunokomplex bilden. Dieser kann, wenn er mit einem Stickstofflaser angeregt wird, ein langlebiges Fluoreszenzsignal abstrahlen. Das Signal ist umso stärker, je größer die PCT-Konzentration ist.
PCT-Bestimmung verringert Antibiotikaverbrauch
Es zeigte sich, dass in der PCT-Gruppe insgesamt 12,2 Prozent weniger Teilnehmern Antibiotika verschrieben wurden als in der Kontrollgruppe. Am größten waren die Unterschiede bei den Patienten mit einer akuten Bronchitis, am kleinsten fielen sie bei den Patienten mit einer Lungenentzündung aus. Ebenso verkürzte sich die Dauer der Antibiotikagabe in der PCT-Gruppe. Die PCT-kontrollierten Patienten erhielten im Durchschnitt über einen Zeitraum von 5,7 Tage Antibiotika im Vergleich zu den Patienten der Kontrollgruppe, die 8,7 Tage lang mit diesen Medikamente behandelt wurden. Die Patienten in der PCT-Gruppe litten zudem weniger unter Antibiotika-typischen Nebenwirkungen.
In beiden Gruppen verschlimmerte sich bei annähernd gleich vielen Patienten im Verlauf der 30 Tage die Erkrankung. In der PCT-Gruppe erlitten 103 Probanden (15,4%) krankheitsspezifische Komplikationen, wurden in eine Intensivstation eingewiesen oder starben; in der Kontrollgruppe traf 130 Teilnehmer (18,9%) das gleiche Schicksal. Somit hatten die Mediziner ein weiteres Hauptziel der Studie erreicht: Der Therapieerfolg bei den PCT-kontrollierten Teilnehmern war mindestens genauso gut wie bei den Kontrollpatienten, die nach den bisher gültigen Leitlinien behandelt wurden.
Entscheidungshilfe für Ärzte
Unabhängige Experten sind von den Daten der Schweizer Studie begeistert: „Das sind dramatische Zahlen “, sagt Prof. Frank Martin Brunkhorst, Leiter der Paul-Martini-Forschergruppe für Klinische Sepsisforschung am Universitätsklinikum Jena, „der PCT-Test ist nicht nur effektiv und sicher, er könnte auch enorm dabei helfen, weniger Antibiotika einzusetzen.“ Das sei aber dringend notwendig, da sich Multiresistenzen immer stärken verbreiteten und es mittlerweile schon Bakterienstämme gebe, gegen die kein Antibiotikum mehr helfe. Brunkhorst: „Der Test gibt dem Arzt endlich eine Entscheidungshilfe in die Hand, mit dessen Hilfe er virale und bakterielle Infektionen sicher voneinander unterscheiden kann.“ Allerdings dürfe man nicht übersehen, dass die PCT-Bestimmung nur eine Ja/Nein-Antwort liefert, meint der Mediziner. „Sie kann uns nicht sagen, welches Bakterium mit welchen Resistenzen vorliegt.“
Bisher können nur Diagnostik-Laboratorien den PCT-Wert bestimmen. Doch bei Brahms ist die Entwicklung eines kleineren Geräts weit fortgeschritten, so dass wahrscheinlich auch niedergelassene Ärzte schon bald die PCT-Konzentration vor Ort messen können. Bis dahin will die Firmenleitung von Brahms bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erreichen, dass auch niedergelassene Ärzte in Deutschland den Test über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen können – wie es in der Schweiz schon der Fall ist.