Was ist preiswerter? Viele Kleine oder wenige Große? Ginge es um Packungsgrößen im Supermarkt, läge die Antwort auf der Hand. Hier geht es aber um die Verwaltungskosten der gesetzlichen Krankenkassen. Und das macht die Antwort nicht gerade leicht.
Was viele gesetzlich Versicherte schon bei der Einführung des Gesundheitsfonds befürchtet haben, ist vor zwei Monaten erstmals eingetreten: Eine gesetzliche Krankenkasse – die „Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln“ (GBK) - musste von ihren Mitgliedern einen Zusatzbeitrag verlangen. Ihre rund 30.000 Versicherten müssen nun monatlich 8 Euro mehr berappen als den staatlich verordneten Einheitsbeitrag in Höhe von 7,9 Prozent ihres Einkommens (weitere 7 Prozent entrichten „fast paritätisch“ die Arbeitgeber).
Dass die GBK die einzige im Feld der 186 Gesetzlichen bleiben wird, darf bezweifelt werden, auch wenn die scheidende Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von einem „Sonderfall“ sprach (und noch immer darauf hofft, dass die GBK einen Fusionspartner findet). Die Kassenfunktionäre sollten endlich aufhören zu jammern und stattdessen ihre Energie für eine bessere Versorgung der Patienten einsetzen, sagte die Ministerin der „Rheinpfalz am Sonntag". Sie sehe keinen Grund, im kommenden Jahr die gesetzlich Versicherten mit Zusatzbeiträgen zu belasten: Bislang sei keine der düsteren Prognosen eingetroffen. Statt eines Defizits hätten die Kassen zur Jahresmitte ein beachtliches Plus von 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet.
Auch die neue Regierung scheint zunächst keinen großen Handlungsbedarf zu sehen. Der Gesundheitsfonds mit Einheitsbeitrag von derzeit 14,9 Prozent bleibt zunächst erhalten. Voraussichtlich ab 2011 soll es dann aber einschneidende Änderungen geben: Weil dann der Arbeitgeberanteil stagniert, müssten Ausgabensteigerungen durch Einsparungen oder nur durch die Arbeitnehmer finanziert werden. Für die Versicherten läuft dann alles auf einen einkommensunabhängigen Beitrag hinaus - Kopfpauschale lässt grüßen. Genauere Planungen überlässt man aber zunächst einer Komission, die erst im Jahr der geplanten Umsetzung ihren Dienst antreten soll.
"Auf kleine Kassen wächst der Fusionsdruck"
Die düsteren Prognosen für das Hier und Jetzt – sie stammen in erster Linie vom Spitzenverband der Krankenkassen. Er erwartet noch für dieses Jahr diverse GBK-Nachahmer. „Vor allem auf kleine Betriebskrankenkassen wächst der Druck, entweder Zusatzeinnahmen zu generieren oder aber Fusionen einzugehen, um Kosten zu sparen“, so GKV-Chefin Doris Pfeiffer. Wohlgemerkt: Das Problem liegt laut Kassenverband in diesem Fall in erster Linie auf externer Ebene – nicht interner. Oder anders formuliert: Nicht die hohen Verwaltungskosten zwingen kleine Kassen in die Knie, sondern unvermutete Behandlungskosten. Aber dazu später.
Die GBK ist jedenfalls laut eigener Aussage durch zwei schwere, in der Behandlung extrem teure Hämophilie-Fälle in den Reihen ihrer Versicherten in die finanzielle Schieflage geraten. GBK-Chef Helmut Wasserfuhr erklärte, allein dadurch seien seiner Kasse im Jahr 2005 rund 14 Millionen Euro Kosten entstanden. Diese Summe musste per Darlehen aufgebracht werden, deren Rückzahlung nun anstehe. „Das hätten wir dieses Jahr noch gerade so geschafft. Aber die unvorhergesehenen Kosten für die Impfung gegen Schweinegrippe haben uns den Rest gegeben“, so Wasserfuhr im Kölner Stadtanzeiger. Fazit Pfeiffer: „Eine Kasse kann teure Einzelfälle besser ausgleichen, wenn sie viele Versicherte hat.“ Früher seien Ausgleichszahlungen durch andere Kassen möglich gewesen. „Diese Regelung ist mit der Gesundheitsreform gestrichen worden."
Maximal 50 Kassen - Ullas Ziel unerreicht
Die politisch gewollte Konsequenz: Die Kassen müssen größer werden. Seit langem schon vertrat Ulla Schmidt die Überzeugung, dass langfristig 30 bis 50 Kassen völlig ausreichend sind. Bereits 2006 forderte sie die Einführung von Kassen-Mindestgrößen – im Gespräch waren Kassen mit 100.000, 500.000 oder gar 1 Million Mitglieder. Ihr nimmermüde vorgetragenes Argument: Das führe automatisch zu schlankeren Strukturen und weniger Verwaltungskosten. Doch wäre dem wirklich so? Aus den offiziellen Daten des Bundesgesundheitsministeriums aus den Jahren 2005/2006 selbst geht hervor, dass gerade kleinere Krankenkassen günstigere Verwaltungskosten als große aufweisen.
Mehr Wettbewerb – niedrigere Kosten?
Dies scheint Ulla Schmidts jahrelang heruntergebetetes Manifest – weniger und größere Kassen führen zu sinkenden Kosten – geradezu zu konterkarieren. "Offensichtlich ist die schlichte Größe nicht ausschlaggebend", sagt GKV-Chefin Pfeiffer. „Immer wieder zeigt sich, dass kleine Kassen weniger Verwaltungskosten haben als große.“ So könnte auch mehr Wettbewerb unter vielen, auch kleinen Kassen zu niedrigeren Kosten im Gesundheitswesen führen. Doch die politische Richtung steht, wurde schon lange vor Ullas Regiment eingeschlagen und wird sich auch unter der neuen Regierung wohl nicht mehr umkehren. Vor 15 Jahren gab es noch mehr als 1000 gesetzliche Krankenversicherungen, 2005 waren es noch 376, inzwischen sind es nur noch 186. Vor allem die Zahl der Betriebskrankenkassen verringerte sich um zwei Drittel auf 150. Dazu trägt auch die Angst der Kassen vor den Zusatzbeiträgen bei. Weil sie in Euro und Cent erhoben werden, machen sie den Preis einer Kasse sichtbarer als die unterschiedlichen Beitragssätze, die es vor Einführung des Gesundheitsfonds gab.
Kampf den Palästen
Der verordnete Kassenschwund ist weitgehend vollzogen – doch die Kritik an den zu hohen GKV-Verwaltungskosten bleibt. Da ist immer noch die Rede von teuren Verwaltungspalästen, Scharen von unkündbaren Verwaltungsangestellten und jährlich dramatisch steigenden Verwaltungsausgaben. Wie sieht die Realität aus? Sie ist auf Grund der Datenlage nur schwer zu ergründen. Der aktuellste Ministeriumsbericht bezieht sich auf Statistiken aus dem Jahre 2008 und wurde am 22. Oktober 2009 publiziert: "Gesetzliche Krankenversicherung. Personal- und Verwaltungskosten 2008“
Für 2009 liegen zwar noch keine exakten Daten vor. Aber die am 7. September vorgestellte Halbjahresbilanz des Gesundheitsministeriums lässt befürchten, dass die Fusionswelle der Kassen und mit ihr das Sterben der kleinen Versicherer sich negativ auswirkt. Zitat aus dem Bericht: „Die Netto-Verwaltungskosten der Krankenkassen sind nach längerer Stabilität in den Vorjahren mit 3,9 v.H. je Versicherten gestiegen, wenn auch mit unterschiedlichen Entwicklungen bei den einzelnen Kassenarten.“
Die Formel geht nicht auf
Naheliegende Schlussfolgerung: Die Ministerial-Formel („je weniger, desto kostengünstiger“) geht nicht auf. So oder so - die Entwicklung hin zu wenigen Großkassen hat auch für Ärzte weitreichende Folgen. Denn je weniger Kassen es gibt, umso mehr Einkaufsmacht haben sie. Ärzte, KVen oder Ärzteverbände, mit denen die Kassen Verträge schließen, können dieser Macht immer weniger entgegensetzen.