Forschungsarbeiten zur Fibromyalgie sind vielfältig – und fast unüberschaubar. Leitlinien sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass über Ursachen und Entstehung wenig bekannt ist. Auch in puncto Therapie herrscht keine Einigkeit. Doch es gibt durchaus neue Erkenntnisse.
Wieviele Patienten unter dem Fibromyalgiesyndrom leiden, ist schwer zu sagen. Denn steht diese Diagnose, haben die meisten Patienten bereits einen jahrelangen Ärztemarathon hinter sich. Nicht wenige geben auf halber Strecke auf oder akzeptieren schließlich eine andere Diagnose, bevor sie gar keine bekommen. Angaben zur Prävalenz um die drei Prozent deuten bereits darauf hin, dass es sich um keine seltene Krankheit handelt.
Neue Erkenntnisse
Weltweit bemühen sich Forschergruppen um neue Erkenntnisse über eine Krankheit, die lange um die Akzeptanz als körperliches Syndrom zu ringen hatte, weil sie das körperliche Substrat vermissen lässt.
Bei der Konzentration auf körperliche Abweichungen blieben Forscher am Gehirn und zentralen Nervensystem hängen. So gelang etwa vor einem Jahr französischen Wissenschaftlern um Eric Guedj mittels CT-Untersuchungen der Nachweis von Perfusionsabweichungen in verschiedenen Hirnarealen und zwar unabhängig vom Angst- und Depressionsstatus, die als Verdächtige somit ausschieden (Journal of Nuclear Medicine 2008; 49: 1798-1803). Auch korrelierten die Befunde mit der Schwere der Erkrankung. Eine reduzierte graue Hirnsubstanz wiesen unlängst Forscher der Louisiana State University nach und veröffentlichten ihre Ergebnisse im Journal of Pain. Forscher der Uni Regensburg identifizierten in Teilen somatosensorischer Hirnareale und des motorischen Systems ebenfalls Veränderungen der grauen Hirnsubstanz (Pain 2007; 135: 315). Daneben ließ sich ein Zusammenhang mit zentralnervösen Störungen ausmachen (The Journal of Pain, 2008; DOI: 10.1016/j.jpain.2008.07.003).
Zudem scheint der Schlaf Betroffener typische Veränderungen aufzuweisen. Schlafforscher des Michigan Tech Research Institute befanden die Fragmentierung des Schlafes als diagnostisches Kriterium, das es erlaubte zwischen Fibromyalgiesyndrom und gesunden Kontrollpersonen zu unterscheiden. Bei der Entstehung werden Veränderungen der Neurotransmitter und Hormone postuliert, genetische Veranlagung und belastende Lebenssituationen spielen möglicherweise ebenfalls eine Rolle. Unklar bleibt allerdings fast immer, ob Veränderungen Ursache oder Folge des Syndroms sind. Die konkrete Ätiologie der Erkrankung bleibt im Unklaren.
Leitlinien: Ordnung im Wirrwarr
Die 2008 in der Fachzeitschrift „Der Schmerz“ veröffentliche überarbeitete interdisziplinäre Leitlinie zum Fibromyalgiesyndrom bringt auch kaum Licht ins Dunkel der Entstehung, Diagnostik und Therapie. Die neue S3-Leitlinie sollte für Anerkennung einer Krankheit sorgen, deren Existenz aber danach immer wieder bezweifelt wird. Nach Leitlinie ist die Diagnose rein nach symptombasierten Kriterien zu stellen. Tenderpoints - spezielle Druckpunkte am Körper - sind für die klinische Diagnose nicht notwendig. Eine spezifische Diagnostik ist nicht vorgesehen, da keine eindeutigen pathologischen Veränderungen nachweisbar sind. Laboruntersuchungen dienen lediglich dem Ausschluss anderer Erkrankungen, vornehmlich entzündlich rheumatischer Erkrankungen. Auch andere apparative Untersuchungen werden nicht empfohlen, da kaum zielführend. Wichtig dagegen erscheint die Anamnese anderer funktioneller Störungen und psychischer Stressfaktoren.
Auch beim Thema Ätiologie findet sich wenig Konkretes. An vorderster Front steht die psychische Belastung. Ähnlich unklar in ihrer Bedeutsamkeit sind genannte pathophysiologische Faktoren. Ursache-Wirkungsbeziehungen bleiben fraglich.
Therapie: Einigkeit fehlt
Die deutsche Leitlinie nennt gleich mehrere Behandlungsoptionen einer sogenannten Basistherapie. An erster Stelle steht Patientenschulung und Psychotherapie sowie die operante Schmerztherapie. Aerobes Ausdauertraining hat einen höheren Stellenwert als die Behandlung mit dem Antidepressivum Amitriptylin. Andere Behandlungen medikamentöser und nichtmedikamentöser Art kommen erst zum Tragen, wenn die Basistherapie zu keinem Erfolg geführt hat. Keine weitere spezifische Behandlung ist allerdings die zuerst genannte therapeutische Option.
Und bei der medikamentösen Therapie fehlt ein internationaler Konsens. Während man sich über die Wertigkeit der Amitriptylintherapie einig ist, gehen die Meinungen amerikanischer, europäischer und deutscher Fachgesellschaften bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern auseinander.
Krankheit Marke Eigenbau?
Auf Seiten einiger Ärzte konnte die Leitlinie den Zweifel an der Existenz dieser Erkrankung nicht beseitigen. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Neurologische Begutachtung (ANB) e.V. reagierte auf die Veröffentlichung der Leitlinie und schrieb in einem Leserbrief von der „Sichtbarmachung einer Fiktion“. Dass keine klar erkennbare Krankheitsentität vorläge und eine „Störung der zentralen Schmerzverarbeitung“ als letztlich einziges Bindeglied des gesamten Symptomenkomplexes mit hohem Konsensniveau beschrieben wird, stelle den Zweck der Diagnose des „Fibromyalgiesyndroms“ in Frage. Eine Zuordnung der Krankheit zu den „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“ des ICD-10-Katalogs wäre unhaltbar.
Selbst eine S3-Leitlinie kann Differenzen über die Einordnung der Symptomatik und anhaltende Diskussionen über eine eigene Krankheitsentität nicht aus dem Weg räumen. Wem die Leitlinie bei dem offensichtlichen Dilemma der schwer zu fassenden Symptomatik hilft, kann hinterfragt werden. Ursachen und Therapien bleiben wohl auch mit Leitlinie individuell und Patienten sind weiterhin gefordert, nach Hilfe zu suchen und unter allen genannten, vielleicht auch nicht genannten Optionen auszuwählen - frei nach dem Motto „Probieren geht über Studieren“.