Wissenschaftler aus mehreren Bundesländern wollen das altbekannte Taschentuch biotechnologisch aufrüsten. Der Hightech-Rotzlappen soll bei der Diagnose von Krankheiten helfen und könnte die Apothekenregale um ein echtes Highlight bereichern. Hatschi.
Die Schnupfensaison fängt gerade an. Die Schweinegrippe lauert unbarmherzig vor den Toren. Und, wer sagt es, pünktlich zum Herbstbeginn erreichen uns faszinierende Neuigkeiten aus dem Gebiet der Erkältologie. Wer sich künftig in der Apotheke mit Erkältungspräparaten eindeckt, der geht vielleicht zusätzlich mit einer Packung Taschentücher nach Hause. Das ist heute schon Standard, werden Sie sagen. Stimmt, die Werbetücher landen beim Apotheken-Shopping deutschlandweit quasi automatisch in der Einkaufstüte. Doch das ist nicht gemeint.
Entscheidet das Taschentuch bald über die Tamiflu-Therapie?
Wenn es nach Professor Frank Bier geht, dann schaffen Taschentücher in Zukunft nicht mehr nur nasale Erleichterung, sondern sie versorgen Arzt, Apotheker oder Patient zusätzlich mit richtungsweisenden Informationen über die mikrobiologische Natur der Atemwegsprobleme. Bier, Leiter des Institutsteils Potsdam des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik (IBMT), entwickelt nämlich ein Taschentuchlabor. Den altbekannten Rotzlappen würde er gerne zu einem „Impulszentrum für Integrierte Bioanalytik“ ausbauen. An dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt nehmen noch ein zweites Fraunhofer-Institut, die Universität Potsdam und elf weitere Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft teil. Die Sache ist also Ernst gemeint. Und das Fördervolumen ist mit 14 Millionen Euro über fünf Jahre umfangreich genug gewählt, um die Welt von Tempo, Softie und Co am Ende wirklich zu revolutionieren.
Was Bier vorschwebt, ist die Integration so genannter Sensor-Aktor-Moleküle in das Taschentuch. Das sind Moleküle, die einerseits krankheitsspezifische Antigene erkennen können, andererseits, bei entsprechender Bindung eines Krankheitserregers, ein Signal aussenden, das ohne weitere diagnostische Hilfsmittel quasi mit dem bloßen Auge erkennbar ist. Ein solches Taschentuch könnte beispielsweise eine Antwort auf die ewig aktuelle Frage liefern, ob ein nerviger Schnupfen das Symptom einer ernsthaften Virusgrippe ist oder nicht. Bier: „Die Antwort soll Ihnen in Zukunft ein Taschentuch geben. Sie niesen hinein, und das Taschentuch sagt Ihnen, was Sache ist.“ Denkbar wäre etwa, dass sich der Rotzlappen dort, wo er mit der echt grippeviralen Rotze in Kontakt gekommen ist, sagen wir giftgrün oder lila verfärbt. Das wäre dann für den Healthcare-Profi das Zeichen, Tamiflu zu empfehlen. Bleibt die bunte Verfärbung aus, wird die Erkältung konventionell behandelt.
Lauschangriff aus der Hosentasche
Nun sind auf dem Weg dorthin einige nicht ganz triviale Herausforderungen zu bewältigen. Die Beschichtung des Taschentuchs mit Antigenbindungsstellen gehört dazu. Diese sollen an Polymere angedockt werden, um eine bessere Affinität zu erreichen, als dies bei kompletten Antikörpern der Fall wäre. Auch Geld dürfte eine Rolle spielen: Komplette Antikörper sind bekanntlich immens teuer. Außerdem muss der molekulare Mechanismus entwickelt werden, der dazu führt, dass nach Bindung des Bakteriums oder Virus an das Taschentuch gewissermaßen der Schalter umgelegt wird. Die Verfärbung dürfte dabei noch relativ einfach zu erreichen sein. Spannender wird es, wenn das antigenbeschichtete Taschentuch mit dem Handy kommunizieren soll, um in Echtzeit Daten über Grippeinfizierte an das nationale Grippe-Surveillance-Netz zu funken. Dazu müssen die Moleküle schon etwas mehr können als nur ihre Farbe ändern. Ehrgeizig ist die Sache auf jeden Fall.
Brandenburgs Wissenschaftsministerin und CDU-Chefin Professor Johanna Wanker, die das Taschentuchlabor im September live in Augenschein genommen hat, war noch aus ganz anderen Gründen entzückt: „Allein durch die Gründung des Impulszentrums für Integrierte Bioanalytik können kurzfristig zirka 30 bis 50 Mitarbeiter in Wissenschaftseinrichtungen beschäftigt werden. Darüber hinaus können die beteiligten Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch dieses Projekt die Attraktivität des Studien- und Wissenschaftsstandortes Potsdam erhöhen.“ Schön gesagt, doch genutzt hat es nichts. Anders als die Bundestagswahl hat die CDU die Landtagswahl im Märkischen verloren – trotz Taschentuchlabor.