Auf dem Weg vom Knochenmark in andere Gewebe schützt ein Molekül auf der Zelloberfläche vor Makrophagen. Nicht nur blutbildende Stammzellen, sondern auch Krebszellen nutzen den Freifahrtschein. Wird er eingezogen, sinken die Chancen für leukämische Stammzellen.
Sie sind Polizei, Wachdienst und Müllabfuhr und stellen sich terroristischen Bedrohungen von innen und außen. Mit Verdächtigen machen sie kurzen Prozess: Einkreisen, umbringen und verspeisen. Makrophagen lauern in vielen Geweben und Blutgefäßen auf Mikroben, aber auch auf defekte und alte Zellen, die nicht mehr richtig funktionieren. Unter sie mischen sich zuweilen auch Krebszellen oder ihre Vorläufer. Irving Weissman und sein Team vom Stammzellzentrum im kalifornischen Stanford haben jetzt entdeckt, wie sich jugendliche blutbildende Stammzellen, genauso aber auch Krebszellen vor der Verhaftung durch die Immun-Polizei schützen.
„Freie Fahrt“ für hämatopoetische Stammzellen
Hämatopoetische Stammzellen suchen sich im Körper Nischen, von denen sie aus ihrer Fortpflanzungstätigkeit nachgehen. Der Weg dorthin führt über Gefäße, in denen Makrophagen den Verkehr auf auffällige Passanten beobachten. Dass ein Signal auf der Zelloberfläche mit der Bezeichnung CD47 "freie Fahrt" bedeutet, konnten bereits frühere Untersuchungen zeigen. In der aktuellen Veröffentlichung im hochrangigen Fachjournal "Cell" zeigte nun das Forscherteam, dass hämatopoetische Stammzellen CD47 hochregulieren, um sich dadurch Schutz zu verschaffen.
Mit entsprechenden Faktoren wie G-CSF mobilisierten die Forscher in Mäusen die Knochenmarkzellen oder stellten mit Lipopolysaccharid eine Entzündung nach. Auf den Stammzellen fanden sich nun deutlich mehr dieser Moleküle. Zellen, die kein CD47 produzieren können, wie etwa in entsprechenden „knock-out“ Mäusen, versagen auch bei einer Knochenmarktransplantation auf genetisch intakte Verwandte und haben keine Chance, dort anzuwachsen. Schalteten die Wissenschaftler mit einem Antikörper die Makrophagen-Polizei aus, war auch die Transplantation erfolgreich.
Besonders bösartig dank CD47
Wirklich wichtig für zukünftige Strategien in der Klinik könnte aber die Beobachtung sein, dass auch Krebsstammzellen wie etwa jene bei AML bei Maus und Mensch diesen Trick gelernt haben, um der Überwachung zu entkommen. Die akute myeloische Leukämie eignet sich besonders gut für solche Untersuchungen, weil sich dort eine Stammzell-Population relativ leicht isolieren lässt, wie David Ritchie und Mark Smyth von der Universität Melbourne in einem Editorial schreiben. Gerade bei dieser Form von Blutkrebs widerstehen gesunde und entartete Stammzellen besonders hartnäckig auch aggressiven Chemotherapie-Strategien.
Die Forscher untersuchten nun Patienten mit myeloiden Leukämien und fanden ihre Vermutungen bestätigt. Die aggressivsten Tumoren, wie etwa jene von Patienten mit CML in der Blastenkrise und AML hatten gleichzeitig den höchsten CD47-Gehalt.
Im normalen Stoffwechsel verbindet sich das Molekül je nach Zellpartner mit verschiedenen Rezeptoren wie Integrinen, Thrombospondin-1 oder etwa SIRPα auf Makrophagen. Als Signalmolekül ist es an der Migration neutrophiler Granulozyten, der Axonverlängerung von Neuronen oder etwa an der Stimulation von T-Zellen beteiligt. Dass bei Krebszellen die Bindung an Makrophagen-SIRPα als "Ungenießbar-Signal" wirkt, zeigen auch Versuche in Mäusen, denen Forscher humane AML-Zelllinien einpflanzten. Ein Antikörper gegen CD47 unterdrückte das Wachstum der Zelllinie vollständig.
Ein Antikörper gegen Leukämien?
Ein solcher Antikörper könnte also ein viel versprechender Kandidat für die Klinik sein. Denn die Behandlung von muriner AML mit einem solchen Reagens stoppte das Tumorwachstum, verschonte aber gleichzeitig normale Knochenmarkzellen.
Eigentlich ist die Geschichte zu schön, um wahr zu sein. Zumal ein weiterer Artikel ganz frisch aus der Druckpresse der neuen Fachzeitschrift Science Translational Medicine von weiteren Vorteilen einer CD47-Blockade berichtet: Nach einer Kombinationstherapie mit Strahlung und CD47-antisense-Nukleotiden wuchsen Melanome oder Lungenkrebszellen 90% langsamer als mit Radiotherapie allein. Zusätzlich schützte die CD47-Sperre das umgebende Gewebe: "Der dramatische Schutz trat bei Haut, Muskel und Knochenmarkzellen auf.", sagt Jeff Isenberg, Koautor der Publikation von der Universität Pittsburgh. "Zellen, die eigentlich aufgrund der Strahlung tot sein sollten, waren lebendig und funktionstüchtig, wenn sie zuvor mit Agentien behandelt wurden, die mit dem Thrombospondin-1/CD47 Stoffwechselweg interagieren."
Noch ist unklar, wie solche wunderbaren Effekte zustande kommen und ob vielleicht auch Entzündungen, Herzkrankheiten oder andere Krebsarten auf die Vorbehandlung mit einem CD47-Blocker reagieren. Denn das wollen den Forscher demnächst untersuchen. Es gibt allerdings viele Beispiele, in denen Patienten nicht die gleichen viel versprechenden Reaktionen wie Labormäuse zeigen. Der misslungene Medikamententest mit dem in Deutschland entwickelten Autoimmun-Regulator TGN1412 im Jahr 2006 hatte dramatische Konsequenzen für die ersten Freiwilligen. CD47 bindet an etliche Rezeptoren vieler verschiedener Zellarten. Das bedeutet: Ernsthafte und weitreichende Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen. Dennoch könnte sich aus den überraschenden Beobachtungen in Zukunft eine wirksame Methode entwickeln, der Makrophagen-Polizei bei Terrorattacken von Krebszellen zu besserer Kontrolle zu verhelfen.