Interessiert an der Forschung, aber nur eingeschränkt bereitwillig, daran selbst mitzuwirken. Diese Erfahrung musste ein Wissenschaftler von der Uni-Witten-Herdecke machen, der Allgemeinärzte für seine Studie gewinnen wollte.
„Money sets the course" - Geld bestimmt die Bereitschaft mancher Allgemeinmediziner, sich an klinischer Forschung aktiv zu beteiligen. Das Zitat entstammt einer Umfrage, warum neun von zehn Allgemeinärzten kein Interesse haben, ihre Patienten für Studien zu gewinnen. Besonders frustrierende Zahlen entstammen einer Veröffentlichung, die vor einigen Wochen in "BMC Medical Research Methodology" erschien.
Geringer Aufwand– kaum Bereitschaft
Auch viele englischsprachige Wissenschafts-Websites berichteten über die schriftlich niedergelegten Versuche von Oliver Herber vom Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten-Herdecke, Patienten mit Beingeschwüren für seine Studie zu rekrutieren. Nur 38 von 1822 angesprochenen Mediziner waren bereit, seine Untersuchung über die optimale Versorgung solcher Patienten zu unterstützen. Anstatt der angestrebten 300 Teilnehmer musste die Studie mit 45 auskommen. Die Aussagekraft der Ergebnisse sinkt dadurch beträchtlich.
Die randomisierte Studie sollte Aufschluss darüber geben, ob ein Team aus Pflegekraft und Arzt möglicherweise die bessere Versorgung als eine Arztpraxis allein bietet. Das Studienprotokoll wurde zusammen mit Allgemeinärzten entwickelt und in ärztlichen Qualitätszirkeln verfeinert. Im einem der beiden Studienäste sollten Pfleger den Patienten in der Praxis oder zu Hause regelmäßig besuchen und ihn zu einer selbständigen Versorgung seines Geschwürs anleiten. Mit Unterstützung der Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen wollten die Wissenschaftler entsprechende Patienten mit offenem Bein rekrutieren. Dem Arzt kam es zu, dementsprechende Patienten mit Name und Kontaktmöglichkeit an die Studienleitung zu melden. Sämtliche anderen Formalien der Studie wie etwa das Gespräch mit dem Patienten und dessen Einverständniserklärung übernahmen Beauftragte des Instituts .
Block an der Anmeldung
Schon beim telefonischen Erstkontakt mit der Sprechstundenhilfe registrierten Oliver Herber und seine Kollegen eine "Verlustquote" von rund 50 Prozent aller Praxen, die eine weitere Studien-Information per Fax ablehnten. Nach einem weiteren Telefonkontakt erhielten schließlich 69 Praxen das Teilnahmeformular, 38 Ärzte entschlossen sich zu einer Teilnahme. Neben den Praxen für Allgemeinmedizin luden die Studienleiter auch Dermatologen und in einer zweiten Rekrutierungsphase auch Phlebologen ein, die rund 20 Prozent der Kontakte ausmachten.
Die "Erfolgsquote" bei den angesprochenen Ärzten lag somit bei rund 2 Prozent. Dabei waren die Fachärzte noch deutlich interessierter als Ihre Kollegen von der Allgemeinmedizin. Warum halten Allgemeinmediziner erwiesenermaßen viel von der klinischen Forschung in Deutschland, sind aber nur selten bereit, daran mitzuwirken? In seinem Artikel übermittelt Herber Details seiner Nachforschungen. Eine telefonische Nachfrage nach Gründen der Ablehnung beendeten die Angesprochenen meist nach weniger als einer Minute. Auch daraus ließen sich also keine fundierten Daten gewinnen. Dennoch kristallisierten die Hauptpunkte "Angst vor erhöhtem Zeitaufwand ohne Ausgleich" oder etwa „Studienmüdigkeit“ heraus. Auch die mögliche "Rivalität" zwischen professionellen Pflegediensten und Ärzten könnte ein Grund für die Zurückhaltung sein. So wurden die Gespräche mit Sprechstundenhilfe und Arzt nicht von Medizinern geführt. Schließlich, so schreiben die Autoren, sehen sich viele Sprechstundenhilfen in der Pflicht, lästige Anrufer und "überflüssige" Aufgaben von ihrem Chef abzuhalten.
Von Pharmafirmen verdorben?
"Die Behandlung von Beingeschwüren in Deutschland ist finanziell unattraktiv und erfordert einen überaus hohen Aufwand an Dokumentation von Seiten der Ärzte", so Herber in der Publikation. Ist eine Studie, die Studie die der Praxis nur immaterielle Entschädigung bietet, uninteressant? Die Lockmittel der Wittener Forscher waren regelmäßige Anerkennung ihres Aufwands mit Pralinen, Gutscheinen für Blumensträuße und ein kostenloses Fortbildungsseminar über die Behandlung von Geschwüren am Ende der Studie.
Im Jahr 2009 ermittelt die Staatsanwaltschaft Aachen gegen rund 480 Ärzte mit dem Verdacht der Untreue und des Betrugs gegenüber der Krankenkassen. Sie sollen an "meist nutzlosen" Anwendungsstudien teilgenommen haben, über die weder Kasse noch Kassenärztliche Vereinigung informiert waren und dafür üppige Sachgeschenke erhalten haben. Abgesehen von Maßnahmen gegen diese "schwarzen Schafe" sei es wohl dringend notwendig, so schreibt Herber in der Diskussion seines Artikels, bei weiteren Studien über die Attraktivität für den Allgemeinarzt nachzudenken. "Zukünftige Forschungsfragen müssen sich direkt an der "Frontlinie" der ärztlichen Bedürfnisse orientieren, um den alltäglichen Praxisbetrieb zu verbessern". Besonders bei einer Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzten berücksichtigen gut geplante Studien mögliche Ängste und Zweifel an der medizinischen Kunst der Praxisinhaber. "Money sets the course" sollte daher nicht der Maßstab für Studien abseits der Uniklinik werden, sonst könnte man pharmaunabhängige Studien in Zukunft vergessen.