Sie nennen es den „heißen Herbst“ – am Dienstag, den 17.11.2009, demonstrierten in über 60 deutschen Städten Studenten, Azubis, Schüler und Eltern für eine bessere Bildung.
Mehr als 85.000 Demonstranten haben mit Kundgebungen, Bannern und Plakaten Raum zur Diskussion geschaffen, Raum um über den Tellerrand zu sehen. Und nicht nur in Deutschland geht der Bildungsstreik weiter – von Wien her, wo alles vor drei Wochen begann, hat sich die Bewegung bereits international ausgebreitet. In Italien, Frankreich, Polen, Ungarn und der Schweiz gab es diese Woche ähnliche Proteste. Sogar in den USA und Asien wird unter dem Motto „Education is NOT for sale!“ gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildung demonstriert.
Auch die Besetzung der Hörsäle, die am 22.10. in Wien angefangen hat, hat sich ausgeweitet. In über 50 Unis besetzten Studierende die Räumlichkeiten ihrer Hochschulen, international sind 30 weitere Unis beteiligt. Ob die Besetzungen fortgeführt oder aufgelöst werden, hängt davon ab, inwiefern eine Gesprächsbereitschaft zu erkennen ist, und auf die Forderungen der Studenten eingegangen wird. Die Protestierenden betonen aber ausdrücklich, dass es sich nicht um eine illegale Besetzung handelt, sondern eine ausdrückliche Duldung seitens der Hochschulleitungen herrscht.
Durch die Protestaktionen soll es der Politik unmöglich gemacht werden, vor den Missständen im Bildungssystem weiterhin die Augen zu verschließen. Ein internationaler gesellschaftlicher Diskurs soll losgetreten werden.
Der Stein ist losgetreten und die Öffentlichkeit reagiert
Die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel, RTL, der Bayerische Rundfunk, ntv und Sat1 sind nur einige Medien, die Interesse an den Vorgängen an den Unis zeigen und über die Proteste der Studenten berichteten. Die Protestierenden werden außerdem durch die Vereinte Dienstleistungsgesellschaft Verd.i unterstützt.
Herr Malte Pennekamp, Bayrischer Studierendensprecher sprach vergangenen Dienstag im Bayrischen Rundfunk in einer offenen Diskussion zum Thema „Aufstand an den Hochschulen: Sind die Studentenproteste berechtigt?“ über die Verärgerung der Studenten: Die verfehlten Reformen verunsichern viele. Das Bacherlor-Master-System soll Studiengänge vergleichbarer machen - in der Realität sehe es aber so aus, dass die neue Studienform eher eine Dequalifizierung darstelle und den ohnehin hohen Leistungsdruck noch weiter steigen lasse. Über 20% mehr Studenten nahmen in den vergangenen Jahren aufgrund des steigenden Leistungsdrucks die psychologischen Beratungsangebote an den Unis wahr. Zudem kommen die zu hohen Studiengebühren. Sie träfen gerade die, die ohnehin finanziell keine solide Grundlage hätten. Die Situation, auf Kredit zu studieren, wo heutzutage nach abgeschlossener Ausbildung keine Arbeitsplatzsicherheit gewährt werden könne, sei untragbar, zumal die Gebühren kaum für die Lehre eingesetzt werden.
Die Forderungen der Studenten sind klar
Das Grundrecht auf Bildung muss für jeden gegeben sein, darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Verschulte Studiengänge mit überhöhtem Leistungsdruck müssen reformiert werden – aber richtig. Die frühe Selektion im Bildungssystem müsse abgeschafft werden. Vor allem aber wird für die Demokratisierung der Bildungsinstitutionen – für ECHTE Mit- und Selbstbestimmung der Studierenden gekämpft. Die Plena, die in den besetzten Hörsälen allabendlich abgehalten werden, sollen eine Plattform darstellen, diese Punkte zu diskutieren und einzufordern.
Das Aufbegehren der Studierenden trägt Früchte
Nicht nur in Würzburg konnte bereits ein konstruktives Plenum mit dem Hochschulpräsidenten abgehalten werden, wobei Unterstützung zur Durchsetzung der studentischen Belange zugesagt wurde. Auch der bayrische Wissenschaftsminister Dr. Wolfgang Heubisch ist zu Diskussionen bereit und war selbst nicht überrascht über die Protestwilligkeit der Studenten. 38000 neue Studienplätze seien im Gespräch, Zielvereinbarungen mit Hochschulen in Bayern seien getroffen, sagte er. Momentan stattet er den brennenden Unis in Bayern Besuche ab.
Anfang Dezember ist allerdings bereits eine weitere bundesweite Bildungsstreikwoche geplant. Am 10. Dezember versammeln sich die Kultusminister zur zentralen Konferenz im Wissenschaftszentrum Bonn – die Streikenden planen für den Fall fehlender Kompromissbereitschaft bereits neue Protestaktionen wie eine Blockade der Konferenz mit dem Motto „Kultusminister/innen nachsitzen!“ Man darf also gespannt sein, was dieser heiße Herbst uns noch bringt und wann eine Abkühlung für den Wintereinbruch sorgt.