Der Verwendung von embryonalen Stammzellen zu Heilzwecken stehen ethische Bedenken entgegen. Eine Alternative könnte der Einsatz von Nabelschnurblutzellen sein: Forscher veränderten sie so, dass sie sich wie embryonale Stammzellen verhalten.
Embryonale Stammzellen haben das Potenzial, sich in beinahe jeden Gewebetyp zu verwandeln. Seit einigen Jahren träumen Mediziner davon, mit Hilfe dieser Alleskönner altes oder krankes Gewebe durch frisches zu ersetzen. Rückenmarksverletzungen, Diabetes oder Parkinson – das sind nur einige der Krankheiten, die eines Tages durch eine Stammzelltherapie geheilt werden sollen. Auch Zellen aus dem Nabelschnurblut lassen sich in den embryonalen Zustand zurückversetzen. Das berichtet ein Team um Professor Ulrich Martin von der Medizinischen Hochschule Hannover im Fachblatt Cell Stem Cell.
Um dieses Ziel zu erreichen, isolierten die Wissenschaftler Endothelzellen aus dem Blut von frischen Nabelschnüren und schleusten mithilfe von Lentiviren mehrere Gene ins Innere der Zellen. Die Gene tragen die Bauanleitung von mehreren Transkriptionsfaktoren, die die Umwandlung der reifen Endothelzelle in eine so genannte induzierte pluripotente Stammzelle (kurz: iPS-Zelle) anregen. Wie das genau funktioniert, ist allerdings noch nicht im Detail bekannt.
Keine Abstoßungsprobleme
Auf die Idee, Zellen aus Nabelschnurblut für die Reprogrammierung zu verwenden, kamen Martin und seine Mitarbeiter, als sie Ausschau nach einer sowohl einfach zu gewinnenden als auch jungen Zellquelle hielten. Seitdem der japanische Forscher Shin’ya Yamanaka vor drei Jahren zum ersten Mal iPS-Zellen erzeugt hatte, gelten diese Zellen als ethisch unbedenkliche Alternative zu embryonalen Stammzellen. Da sich derartige Zellen direkt aus dem zu behandelnden Patienten isolieren lassen, gehen Stammzellforscher davon aus, dass bei Transplantation patienteneigener Zellen keine medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems notwendig ist und sich die damit verbundenen Nebenwirkungen vermeiden lassen.
Bisher dienten meist Hautzellen von erwachsenen Patienten als Ausgangsmaterial für eine derartige Zellumwandlung. Allerdings schleichen sich im Laufe des Lebens immer wieder Fehler ins Erbgut der Körperzellen ein, so dass vor allem Zellen älterer Patienten eine erhebliche Zahl von Mutationen aufweisen können: „Diese Mutationen sind auch in den reprogrammierten Zellen vorhanden und könnten zum einen die Qualität der hergestellten Zellen vermindern, zum anderen aber auch nach ihrer Transplantation zur Bildung von Tumoren führen“, sagt Martin. „Dieses Risiko besteht bei Zellen aus Nabelschnurblut als sehr junger Zellquelle kaum.“
Verwandlung in Körperzellen
In einem weiteren Experiment konnten die Forscher um Martin zeigen, dass sich die neu entstandenen iPS-Zellen in funktionsfähige Körperzellen umwandeln lassen. Durch die Gabe geeigneter Wachstumsfaktoren entstanden dabei rhythmisch pulsierende Herzmuskelzellen. Martin: „Wir sehen bisher keine Unterschiede zwischen den Herzmuskelzellen, die aus unseren iPS-Zellen entstanden sind und solchen, die einer embryonalen Stammzell-Linie entspringen.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch Nutzen aus seinem eigenen Nabelschnurblut zieht, ist zurzeit noch gering. Eingelagertes Nabelschnurblut wird vor allem zur Therapie von Leukämien verwendet, allerdings reicht die Menge einer Probe nur für die Behandlung eines Kindes. Martin hofft, dass sich dieser Missstand mit den neuen iPS-Zellen beheben lässt, da diese beliebig vermehrt werden könnten. „Dennoch wird auch zukünftig nicht das Nabelschnurblut aller Neugeborenen eingefroren werden“, so der Mediziner, „das wäre schlichtweg nicht finanzierbar.“ Allerdings könne er sich vorstellen, dass Patienten in Zukunft auch mit den iPS-Zellen eines fremden Spenders behandelt würden. Dafür müsse man jedoch möglichst gut passende Zellen auswählen, wie es heute schon bei der Knochenmarkstransplantation üblich sei. Für solche nicht-patientenspezifische Anwendungen könnten die Zellen aus dem Nabelschnurblut schon im Vorfeld isoliert, vermehrt, reprogrammiert und differenziert werden. Vor allem bei akuten Erkrankungen, findet Martin, wäre es ein großer Vorteil, wenn der gewünschte Zelltyp sofort in ausreichender Menge vorläge.
Ersatz der viralen Genfähren
Doch solange Viren als Genfähren eingesetzt werden, um Endothelzellen aus Nabelschnurblut in iPS-Zellen zu verwandeln, sind all diese Anwendungen reine Zukunftsmusik. Da Viren ihr Erbgut dauerhaft in die menschliche DNA einbauen, besteht immer die Gefahr, dass manche der manipulierten Zellen zu Tumorzellen entarten. Deshalb arbeiten Martin und seine Mannschaft nun mit Hochdruck an Methoden, mit deren Hilfe man die für eine Umprogrammierung nötigen Transkriptionsfaktoren auch ohne Viren in die Nabelschnurblut-Zellen bringen kann.
Andere Stammzellforscher wie Daniel Besser vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin begrüßen Martins Arbeit als Schritt in die richtige Richtung: „Sie eröffnet uns neue Möglichkeiten, da iPS-Zellen nicht den ethischen Begrenzungen unterliegen, wie es bei den bisher favorisierten embryonalen Stammzellen der Fall ist.“ Neben dem Einsatz von Viren sieht er jedoch noch eine weitere Hürde, die es zu überwinden gilt, ehe die neuen Zellen für medizinische Heilzwecke verwendet werden können. „Jede iPS-Zelle hat das Potenzial, sich unbegrenzt zu vermehren“, erklärt Besser. „Wir müssen daher Verfahren entwickeln, die sicherstellen, dass die gewünschten Ersatzzellen von denjenigen iPS-Zellen gereinigt werden, die die Differenzierung nicht durchgeführt haben.“