Allein auf der menschlichen Haut befinden sich eine Billion bakterieller Siedler, die das Immunsystem schützen. Doch ein boomender Markt mit antimikrobiellen Produkten könnte den Bakterien den Garaus machen, ohne zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
Antimikrobielle Produkte bzw. Biozid-Produkte im Handel, das ist nichts Neues. Die Palette reicht von Waschmitteln, Putzmitteln bis zu keimfreien Computertastaturen oder bakterientötenden Klobrillen. Aber inzwischen schaut es so aus, als ob das nur der Beginn einer neuen Hygiene-Hysterie ist. Das Geschäft mit den keimtötenden Substanzen boomte zunächst in USA und Japan. Nun hat die Sorge vor Krankheitserregern auch Europa infiziert. Hemden, Matratzen und Handtücher, vermischt mit feinsten Silberpartikeln, töten Bakterien. "Versilberte" Socken wehren Fußpilz ab. Kühlschränke mit dem Etikett "AntiBacteria" verderben den Parasiten den Spaß. Auch im Badezimmer sind Mikroben vor nichts mehr sicher. Innerhalb kürzester Zeit ist ein rasant wachsender Markt, in den fast wöchentlich neue Bakterienkiller gespült werden, entstanden. Experten schätzen, dass sich der Umsatz in den nächsten fünf Jahren in Westeuropa verdoppeln wird, d.h. auf nahezu vier Milliarden Dollar. Mikrobiologen, wie Armin Schuster an der Universitätsklinik Freiburg, sind beunruhigt. Sie befürchten, dass die Mikroorganismen resistent werden oder mutieren oder, was ebenfalls schlimme Folgen hätte, dass therapeutisch eingesetzte Substanzen und Antibiotika schneller Resistenzen entwickeln. Im Visier der Biologen stehen Produkte mit Wirkstoffen wie Silberion, Triclosan und Isothiazolinon.
EG-Biozid-Richtlinie
Wenn die Gefahr der Resistenzbildung besteht, fragt man sich, wieso derartige Produkte zugelassen werden und welche Verfahren es für die Zulassung gibt. Das Startup-Unternehmen Smartfiber AG beispielsweise kann sich über volle Auftragsbücher mit High-Tech-Fasern mit Silberionen freuen. Abnehmer sind in erster Linie Hersteller von technischen Textilien bzw. von Textilien im Heim- und Sportbereich. Als Selbstläufer für Smartfiber entpuppte sich gerade eine antimikrobielle Plastikkugel, der blueMagicBall. Er wird mit der Wäsche in die Waschmaschine gegeben und sorgt dafür, dass keine Mikrobe beim 30 Grad-Programm überlebt – und das bei 80 bis 160 Waschgängen, verspricht der Textilfaserhersteller. Beim Hinweis zur Verwendung erfährt man, dass in dem Produkt 1,2% Silberchlorid enthalten ist. Weiter heißt es: "Der BlueMagicBall® entspricht den Anforderungen der Biozidprodukte-Richtlinie (98/8/EG)....." Der Hinweis belegt, dass der Magic Ball gemäß Richtlinie 98/8/EG korrekt angemeldet wurde und zwar im Rahmen der Übergangsregelung für "alte" Biozid-Wirkstoffe. Die Richtlinie soll europaweit eine einheitliche Zulassung von Bioziden und biozidhaltiger Produkte gewährleisten.
25.000 gemeldete Biozid-Produkte
Als "alte" Wirkstoffe der EG-Richtlinie gelten Substanzen, die bereits vor 2000 auf dem Markt waren und registriert wurden. Biozid-Produkte, die ausschließlich diese Altwirkstoffe enthalten, dürfen zunächst weiter vermarktet werden, vorausgesetzt sie haben eine N(=Notifizierung)-Nummer von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die für die Umsetzung der Biozid-Richtlinie in Deutschland zuständig ist. Die Meldefrist für diese Produkte wurde jetzt noch mal um drei Jahre verlängert, d.h. bis 2013. Danach soll erst die eigentliche Prüf- und Bewertungsphase im Rahmen der Biozid-Richtlinie starten, d.h. es können noch Jahre vergehen, bis über die endgültige Produktzulassung entschieden ist. Das gesamte Richtlinien-Werk, das 2002 durch Änderung des Chemikaliengesetzes in deutsches Recht überführt wurde, hat mehrfach Anpassungen erfahren, was das Handling offensichtlich nicht einfacher gemacht hat. Alle Beteiligten ächzen unter dem komplizierten Konstrukt. Bisher wurden der BAuA ca. 25.000 Produkte gemäß Biozid-Meldeverordnung im Rahmen der Übergangsregelungen gemeldet. Darunter sind 645 Artikel mit Silberionen und 141 mit Triclosan. Neuzulassungen von Wirkstoffen gemäß Biozid-Richtlinie 98/8/EG wurden bisher noch nicht erteilt.
Gefährdung im häuslichen Bereich
Die Frage ist, was in der Zwischenzeit bis 2013 passiert. DocCheck fragte beim Bundesinstitut für Risikobewertung nach und erhielt folgende Stellungnahme aus der Presseabteilung: "Das BfR vertritt die Auffassung, das antimikrobiell ausgestattete Verbraucherprodukte nur in Einzelfällen notwendig sind, eine generelle Verwendung wird abgelehnt". Immerhin beschäftigte sich das Institut mehrfach mit Produkten, in denen Triclosan zum Einsatz kommt. In einer Pressemeldung aus 2006 rät das BfR Verbrauchern, "im häuslichen Bereich auf biozidhaltige Reinigungsmittel und Produkte zu verzichten". Im Sommer dieses Jahres sprach sich das Institut schließlich für ein Verbot von Triclosan in Lebensmittelbedarfsgegenständen aus Kunststoff aus. Ansonsten heißt es aus der Pressestelle noch: "Wirksame Maßnahmen müssten aber letztlich die Hersteller solcher Produkte ergreifen".
Fragwürdiger Nutzen einiger Bakterienkiller
Die Keimfrei-Gegner aus der Mikrobiologie ziehen die angepriesene Wirkung so mancher Verbraucher-Produkte in Zweifel. Viele Hersteller würden Biozid-Produkte mit Versprechungen auf den Markt bringen, deren Werbeaussagen nicht überprüft wurden, so Armin Schuster. Schneidbretter mit Silberoberflächen könnten beispielsweise eine Lebensmittelinfektion nicht verhindern. "Selbst wenn Sie das Fleisch roh drauf legen, bleiben die Keime im verdorbenen Fleisch immer noch drin". In USA sei man bei der Zulassung von antibakteriellen Produkten restriktiver, so der Biologe. In Krankenhäusern und Arztpraxen seien die antimikrobiellen Stoffe von Nutzen. Aber es gebe auch sinnvolle Einsätze beispielsweise in Lebensmittelfabriken, Milchbetrieben oder auch in der Papierindustrie. Wenn so der Einsatz von Desinfektionsmitteln reduziert werden könnte, wäre das von Vorteil, so Schuster. "Verbraucher sollten aber antibakterielle Produkte meiden". So weit so gut, aber was passiert, wenn ihr Drang nach keimfreier Umwelt alle Empfehlungen in den Wind bläst?