US-Forscher fanden bei Patienten mit chronischem Fatigue-Syndrom einen gemeinsamen Nenner: 95 Prozent wiesen Antikörper gegen ein bestimmtes Retrovirus auf, zwei Drittel der Patienten waren mit dem Virus infiziert, das auch beim Prostatakarzinom eine Rolle spielt. Lösung gefunden?
Beim chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) verhält es sich ähnlich wie bei anderen unscharf definierten Erkrankungen wie Burn-Out-Syndrom oder Fibromyalgie-Syndrom: Es fehlen objektive Krankheitskriterien wie auch eine klare Diagnostik und spezifische Therapie. Zudem überschneiden sich die Symptome der Syndrome, was zur Klärung der einzelnen Krankheitsbilder nicht unbedingt beiträgt. An Krankheitstherorien mangelt es nicht: In der Vergangenheit wurden die Psyche, Traumata, Infektionen und Umweltfaktoren verantwortlich gemacht. Einigkeit besteht mittlerweile über Fehlregulationen des Immunsystems. Aber immer, wenn man wenig weiß, klingt multifaktorielle Krankheitsgenese nach viel.
Ist CFS eine Infektionskrankheit?
Auf eine Beteiligung des Immunsystems weist auch eine aktuelle Studie von US-Forschern um Vincent Lombardi und Judy Mikovits vom Whittemore Peterson Institute in Reno, Nevada, hin. Sie stützt die Theorie der Virusinfektion. Wie im Journal Science berichtet, konnten sie bei 68 von 101 CFS-Patienten (67 Prozent) in Monozyten des peripheren Bluts Virusgene des Retrovirus XMRV (Gammaretrovirus, Xenotropic murine leukemia virus-related virus) nachweisen (Science 2009; doi: 10.1126/science.1179052). Bei gesunden Kontrollpersonen waren nur 3,7 Prozent infiziert. Das Virus gehört zur gleichen Familie wie das AIDS-Virus und ist im Tierreich mit Lymphomen und Leukämien assoziiert. Beim Menschen ließ sich das Virus in Zellen des Prostatakarzinoms nachweisen (PNAS 2009; doi 10.1073/pnas.0906922106), der Beweis für die Assoziation des Virus mit malignen Zellen beim Menschen. Die Infektion ließ sich zudem bei besonders bösartigen Tumoren nachweisen.
Nach Veröffentlichung ihrer Arbeit fanden Lombardi und Mikovits an 300 CFS-Patienten heraus, dass 95 Prozent Antikörper gegen das Virus haben. Darüber hinaus wiesen sie im Rahmen der Studie in Zellkulturen nach, dass das Virus infektiös ist.
Epidemische CFS-Erkrankungen sind bekannt
Eine einfache Ursache-Wirkungsbeziehung können und wollen die Forscher aufgrund der neuen Erkenntnisse jedoch nicht ableiten. Sie halten es für möglich, dass weitere beisteuernde Faktoren eine Rolle spielen, wenn sich Personen mit dem Virus infizieren. Dies könnten die verschiedensten Faktoren wie auch die Müdigkeit selbst oder andere Gesundheitsstörungen sein. Nicht unwahrscheinlich, dass das Virus auch bei anderen Patienten etwa mit Fibromyalgie und nicht nur Krebspatienten zu finden ist. Zudem stehen bereits verschiedene andere Viren in Verdacht, an CFS beteiligt zu sein, u.a, das Epstein-Barr-Virus und Herpesviren.
Besonderes Interesse haben die Forscher für die Übertragung des Virus in der realen Welt, etwa innerhalb von Familien. Bekannt wurden regelrechte Ausbrüche der Erkrankung etwa in einem Symphonieorchester in North Carolina. In diesen „epidemischen Fällen“ lassen sich laut Wissenschaftlern ähnliche Infektionsraten des XMRV belegen. Bevor die genauen Mechanismen jedoch bekannt sind, sind weitere Studien an Tiermodellen notwendig.
Therapie in Sicht?
Die neuen Erkenntnisse haben durchaus auch für Patienten einen Nutzen, die nicht nur gegen die Müdigkeit kämpfen, sondern auch gegen Vorurteile. Sie erhöhen die Akzeptanz einer bislang kaum zu fassenden Erkrankung. Zudem besteht Hoffnung auf zukünftige wirksame medikamentöse Therapien. Zu prüfen etwa ist die Wirksamkeit verschiedener antiviraler Medikamente wie reverse Transkriptasehemmer. Helfen diese, wäre dies ein weiteres Indiz für die infektiöse Genese der Erkrankung. Mittelfristig, innerhalb der nächsten sechs Monate, steht die Entwicklung eines Tests auf dem Plan, der Ärzten helfen soll, das Virus zu identifizieren. Die Diagnose anhand eines einzelnen Testergebnisses zu stellen, erscheint aber vielleicht doch etwas vermessen, bevor die Bedeutung dieser Infektion wirklich geklärt ist.
Das Thema wurde angeregt von unserer Leserin Tanja Rührmund