Als die Pest das erste Mal wütete, glaubten viele an eine Strafe Gottes für das schändliche irdische Treiben. Heute kennt man ihre Ursache wie die der meisten Infektionen. Doch die Angst vor Erregern ist weiterhin virulent. Besonders im Fokus: Zoonosen.
Die Sorge, Seuchen ähnlich wie die Pest können auch heute Millionen von Menschen das Leben kosten, treibt viele Bürger, Wissenschaftler und Politiker um. Besonders große Beachtung finden seit einigen Jahren Zoonosen, Infektionskrankheiten, deren Erreger zwischen Tier und Mensch übertragen wird. Bekannt sind mehr als 200 Zoonosen, zu denen so bekannte Erkrankungen wie Salmonellose, Tuberkulose und Tollwut zählen, aber auch so unbekannte wie Diphyllobothriasis, Dirofilariose und Dipylidiasis, die durch Würmer verursacht werden. Zugenommen hat die Angst vor wiederkehrenden Seuchen vor allem seit Auftreten und Verbreitung des Aids-Virus. Aus gutem Grund: Allein an AIDS sind 2007 weltweit rund 2 Millionen Menschen gestorben. Über 30 Millionen Menschen sind HIV-positiv.
Bislang hat jedoch keine der so genannten neuen Infektionskrankheiten, etwa Ebola, SARS oder Vogelgrippe, so viele Todesfälle verursacht, wie von Medien, Wissenschaftlern und Gesundheitsbehörden immer wieder befürchtet worden ist. Als etwa die WHO im Juli 2003 die SARS-Epidemie für beendet erklärte, wurden laut Robert-Koch-Institut (RKI) weltweit rund 8000 Erkrankte und knapp 800 Tote gezählt. Auch BSE und die entsprechende Hirnerkrankung beim Menschen, die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (vCJK), haben nicht die katastrophalen Folgen gehabt, die vielfach befürchtet worden sind - wahrscheinlich dank der erheblichen Gegenmaßnahmen. So gab es in Großbritannien, dem Land mit der Mehrzahl der vCJK-Fälle, laut RKI 167 Erkrankte und 164 Tote (Stand 31.10.08). In Deutschland ist noch gar kein Fall einer Erkrankung bekannt geworden. Und an der Vogelgrippe, verursacht durch ein Influenza-Virus (H5N1), sind laut Weltgesundheitsorganisation weltweit 442 Menschen erkrankt und 262 gestorben (Stand 24.9.2009). Zum Vergleich: In Deutschland sterben jährlich mehr als 40.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums.
Präzise Risikoeinschätzung kaum möglich
Wie groß ist das Risiko also tatsächlich, dass Zoonosen Millionen von Menschen das Leben kosten? Niemand kann das genau angeben. Aktuelles Beispiel ist die Schweinegrippe. Die Sterberate beträgt in Deutschland bislang möglicherweise 0,03% (Stand 09.11.), wobei die absolute Zahl der an H1N1 Gestorbenen wegen der noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen nicht definitiv geklärt ist. Deutschland ist laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) jedoch ein „Ausreißer“. Weltweit liege die Sterberate bei 0,6 %. Aber die Zahl der wirklich erkrankten Menschen ist mit großer Unsicherheit behaftet. Laut PEI gibt es eine riesige Dunkelziffer. Diese Vermutung werde gestützt „durch einen Bericht aus Neuseeland, wonach das Verhältnis von erkrankten Personen, die sich beim Arzt vorstellten, zu denen, die keine ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen, auf 1:18 geschätzt wurde.“ Davon ausgehend wären in Deutschland nicht nur rund 40.000 Menschen an H1N1 erkrankt, sondern mehr als 720.000. Bei bislang elf Toten ergäbe dies eine Letalität von 0,0015 Prozent. Kein Grund zu Sorge also? Nein, meinen weltweit viele Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker. Denn niemand könne vorhersagen, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass das Virus zu einer sehr gefährlichen Variante mutiere.
Eine besondere Gefahr: der Wirtswechsel
Unabhängig davon, wie groß das Risiko der Schweinegrippe wirklich ist, führt die Fokussierung auf eine einzige „Gefahr“ dazu, andere Risiken fast völlig außer Acht zu lassen. Beispiel Q-Fieber (Balkangrippe), eine meldepflichtige, weltweit vorkommende Zoonose, verursacht durch das Bakterium Coxiella burnetii, das von Rindern, Schafen oder Ziegen auf Menschen übertragen wird. Mögliche Folgen sind Lungenentzündungen, Endokarditiden und Entzündungen der Hirnhäute bis hin zu schweren Enzephalitiden. Die Rate an infizierten Personen in Regionen mit vermehrtem Schafbestand liege bei bis zu 18 %, hieß es in Berlin Anfang Oktober auf einem nationalen Symposium für Zoonoseforschung. Besonders drastisch sei die Steigerung der Erkrankungszahlen derzeit in den Niederlanden, wo seit Anfang 2009 bereits 2100 erkrankte Personen gemeldet worden seien. Das Seuchenpotential der Zoonosen gilt mit wenigen Ausnahmen allerdings als gering. Eine besondere Gefahr ist jedoch der Wirtswechsel, zum Beispiel vom Vogel oder der Katze auf den Menschen. Ein Beispiel ist SARS, bei der ein solcher Wirtswechsel zwischen Katzen und Menschen stattfand, nachdem das auslösende Coronavirus mutiert war, so dass es nicht nur von Katzen auf Menschen, sondern auch von Mensch zu Mensch übertragen werden konnte.
Mit der Sorglosigkeit ist es vorbei
Erkrankungen wie AIDS, SARS als auch Infektionen durch Influenza-Viren haben das Interesse an den Zoonosen in den letzten Jahren deutlich verstärkt. So regte zum Beispiel die Europäische Union das europaweite Netzwerk Med-Vet-Net mit über 300 Wissenschaftlern an, das sich mit finanzieller Unterstützung durch die EU (14,4 Millionen Euro) seit 2004 der Prävention und Kontrolle von Zoonosen widmet. Dass solche Bemühungen notwendig sind, zeigt allein die Situation beim Q-Fieber. Denn trotz vieler „Ausbrüche mit Hunderten von humanen Q-Fieber-Fällen in den letzten Jahren sind Daten zur Epidemiologie bei Mensch und Reservoirtieren, zur Resistenzlage der zirkulierenden Stämme in Deutschland wie auch weltweit nicht umfassend vorhanden“, kritisierte vor einem Jahr Privatdozent Dr. Martin Runge vom Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Doch nach vielen Jahren einer „relativen Sorglosigkeit hinsichtlich des Bedrohungspotenzials von Infektionskrankheiten“, so der ehemalige RKI-Chef Professor Reinhard Kurth, habe inzwischen ein recht radikales Umdenken bei Ärzten, Wissenschaftlern und Gesundheitsbehörden eingesetzt.
Mehr als nur ein medizinisches Problem
Wie schwierig jedoch allein die Prävention ist, lassen die vielfältigen Ursachen der oft als „Renaissance der Infektionskrankheiten“ bezeichneten Entwicklung nur ahnen. Wesentliche Ursachen sind außer Armut unter anderen die weltweiten Veränderungen in der Landwirtschaft, ermöglicht durch einen rasanten technischen Fortschritt, außerdem die hohe Mobilität und Reisetätigkeit vieler Menschen. So habe zum Beispiel, schreibt Kurth, „die starke Ausweitung des Kakaoanbaus in Mittel- und Südarmerika seit Mitte der 60er Jahre zu einer zunehmenden Verbreitung eines viralen hämorrhagischen Fiebers geführt, dessen Erreger ein durch Stechmücken übertragenes Bunyavirus ist“. Ein weiteres Beispiel ist vor allem die Massentierhaltung, durch die sich die aviäre Influenza in Geflügelfarmen rasch verbreiten konnte. Auch BSE und die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung gelten als Folgen der Massentierhaltung mit einer veränderten Tierfütterung. Ohne den technischen Fortschritt und die erhöhte Mobilität vieler Menschen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit auch SARS keine große Bedrohung werden können. Erst durch den weltweit intensiven Flugverkehr habe der Erreger, ein Coronavirus, von einem kleinen Infektionsherd in einer chinesischen Provinz ausgehend seine weltweite Reise antreten können, erklärt Kurth.
Mit der Temperatur steigt auch das Risiko
Immer wieder diskutiert wird auch der weltweite Klimawandel, der nicht nur ein Grund ist für die in den letzten Jahren beobachteten extremen Wettterereignisse und Naturkatastrophen. „Von wahrscheinlich größerer Bedeutung als diese direkten Folgen werden langfristig die indirekten Folgen einer anthropogenen Klimaänderung für die menschliche Gesundheit sein. Hierbei stehen insbesondere die Infektionskrankheiten im Mittelpunkt des Interesses“, hieß es vor wenigen Monaten im „Bundesgesundheitsblatt“ in einem Aufsatz von RKI-Wissenschaftlern. Mit Blick auf Deutschland betreffe dies „sowohl Infektionserreger, die bereits endemisch sind (zum Beispiel Hantaviren, Borrelien und das FSME-Virus), als auch neue, bisher in Deutschland nicht heimische Erreger, die über den Transport von Menschen, Tieren oder Waren eingeschleppt werden können“. Deutschland müsse sich auf diese Problematik einstellen, mahnen die RKI-Wissenschaftler.