Minimal-invasive Operationsmethoden haben Vorteile, auch bei der Prostatektomie. Doch zum Preis höherer Inkontinenzraten, wie eine amerikanische Studie jetzt behauptet? Das sind Kämpfe von gestern, beruhigt Prof. Dr. Michael Stöckle vom Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg/Saar.
Beim lokal begrenzten Prostatakarzinom gilt die radikale Prostatektomie als Therapie der Wahl. Nach Angaben der „European Association of Urology (EAU)“ ist nur diese Therapie in Bezug auf das krankheitsspezifische Überleben der konservativen Behandlung überlegen. Nach der Operation überleben 75 Prozent der Patienten das folgende Jahrzehnt ohne Krankheitsprogression, wenn der Tumor auf das Organ begrenzt war.
Die ersten perinealen Prostatektomie-Schnitte setzten Operateure zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Später wurde der retropubische Zugang etabliert. Dieser wird heute weltweit am häufigsten gewählt und ist gut dokumentiert. Er erlaubt in derselben Operation auch die iliakale Lymphadenektomie.
In den vergangenen Jahren haben der laparoskopische Zugang und zuletzt die roboter-assistierte Prostatektomie – jeweils intra- oder extraperitoneal – die Palette der OP-Verfahren erweitert. Durch die optischen Instrumente kann das Operationsfeld beim laparoskopischen Zugang sehr gut eingesehen werden. Gefäß- und Nervenbündel lassen sich gut identifizieren. In der Regel ist der Blutverlust während der Operation gering und die Transfusionsrate daher niedrig.
Technik überschätzt?
Zu den größten Komplikationen nach einer radikalen Prostatektomie gehören die Harninkontinenz und die erektile Dysfunktion. Beide sollen bei den minimal-invasiven Prostatektomien häufiger vorkommen als bei der offenen, retropubischen Prostatektomie. Das behauptete zumindest Prof. Dr. Jim Hu von der Harvard Medical School in Boston beim diesjährigen „American College of Surgeons 95th Annual Clinical Congress“ in Chicago. Ju untersuchte in seiner Studie retrospektiv die Daten von 1.938 Männern, die sich einer minimal-invasiven Prostatektomie unterzogen hatten, ob laparoskopisch oder roboter-assistiert. Ihnen stellte er 6.899 Männer gegenüber, deren Prostata klassisch auf retropubischem Weg entnommen worden war. Seine Daten stammten aus den Jahren 2003 bis 2006. Die minimal-invasiven Operationsmethoden konnten demnach die stationäre Aufenthaltsdauer von durchschnittlich 3,0 auf 2,0 Tage (p kleiner 0.001) und die Zahl der Bluttransfusionen von 20,8 auf 2,7 Prozent senken (p kleiner 0.001). Auch die Zahl postoperativer respiratorischer Komplikationen sank signifikant von 6,6 auf 4,3 Prozent, ebenso die Zahl anastomotischer Strikturen von 14,0 auf 5,8 Prozent. Minuspunkte bekamen die minimal-invasiven Techniken dagegen bei der Harninkontinenz und der erektilen Dysfunktion: Pro 100 Personenjahren wurden sie nach minimal-invasivem Eingriff 15,9-mal (versus 12,2-mal) beziehungsweise 26,8-mal (versus 19,2-mal) diagnostiziert. Nanu! Hat man die minimal-invasiven Techniken etwa überschätzt? „Ich denke, das wäre möglich“, wird Studienautor Hu aus der Kongressstadt Chicago zitiert.
Mit der Steuerkonsole an den Feind
Aber keineswegs, widerspricht Prof. Dr. Michael Stöckle, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS). Seit 2006 hat der er nach eigenen Angaben mehr als 500 Männer mit dem amerikanischen DaVinci-System roboter-assistiert von ihrer Prostata befreit. Herzstück des Systems ist eine Steuerkonsole, mit der spezielle Roboterarme gesteuert werden, die zuvor über kleine Schnitte in den Körper gebracht wurden. „Gerade habe ich meinen Studenten in der Vorlesung einen Patienten vorgestellt, der fünf Tage nach der Operation schon wieder kontinent war“, erzählt der Urologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) hörbar begeistert gegenüber DocCheck.
Die Studienergebnisse seines amerikanischen Kollegen Hu findet Stöckle befremdlich. Zum einen habe der lediglich Daten bis zum Jahre 2006 ausgewertet, als man vor allem laparoskopisch operierte, zum anderen die laparoskopische und die roboter-assistierte Prostatektomie undifferenziert als „minimal-invasiv“ bezeichnet. Das ist zwar formal richtig, trotzdem trennen Laparoskop und Roboter Welten, zeigt sich Stöckle überzeugt. „Der Roboter ist meiner Meinung nach eine Klasse besser, damit sind wir in eine völlig neue Welt vorgestoßen“. Für den mechanischen Helfer sprechen laut Stöckle, dass er leichter zu erlernen ist als die Laparoskopie und die Komplikationsrate mit 5,1 Prozent sehr gering ist. Anastomosenstrikturen hat der Klinikchef mit DaVinci bisher jedenfalls fast überhaupt keine gesehen. Noch werden die meisten der rund 26.000 Prostatektomien in Deutschland zwar offen retropubisch durchgeführt, rechnet Stöckle vor. Jeweils etwa 1.500 dürften auf die laparoskopische und die roboter-assistierte Operation entfallen. Doch spätestens in zehn Jahren hat der Roboter trotz der hohen Kosten auch den deutschen Prostatektomie-Markt erobert, glaubt der Homburger Chefarzt.