Schlagartig verlieren täglich in Deutschland 200 Menschen die Sprache. Aphasie ist der Fachbegriff, die Ursache meist ein Schlaganfall. Die Therapie fordert Geduld - trotz Fortschritten mit Hightech-Verfahren wie der transkraniellen Magnetstimulation.
Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist eine nicht-invasive Methode, bei der über magnetische Felder bestimmte Hirnareale stimuliert werden. Je nach Frequenz kann erregt oder gehemmt werden: eine Frequenz von 1 Hz bremst die Erregbarkeit, eine von mindestens 5 Hz dagegen erhöht sie. Die rTMS ist daher prinzipiell für die Therapie von Aphasie-Patienten geeignet. Denn bei Aphasie-Patienten ist durch die überwiegend linksseitige Hirnschädigung die Erregbarkeit in jenen neuronalen Netzwerken vermindert, die Sprache ermöglichen. Folge davon ist, dass gesunde Neuronen der anderen Hirnhälfte versuchen, dieses Defizit durch vermehrte Aktivität auszugleichen. Das Verfahren ist sehr sicher und komplikationsarm. Laut TMS-Spezialist Dr. Felipe Fregnis vom CNBS (Berenson-Allen Center for Nonivasive Brain Stimulation) in Boston berichten manche Patienten allerdings über leichte Kopfschmerzen. Zudem bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, Krampfanfälle auszulösen. Sehr selten sind Schwindel oder vorübergehendes Ohrensausen, extrem selten sind manische Episoden. Eine der wichtigsten, aber ebenfalls eher seltenen Nebenwirkungen ist das Zittern der Kopf- und Stirnmuskulatur auf der Seite der Stimulation während der Entladungen. Diese Zuckungen sind unangenehm, aber erträglich. Schwangere und Menschen mit Epilepsie, Herzschrittmachern, Gefäßclips nach Hirnoperationen oder mit Innenohrimplantaten dürfen aber nicht behandelt werden.
Strom als „Allzweckwaffe“
Immer wieder für Erfolgsmeldungen gesorgt hat die rTMS vor allem in der Behandlung von Patienten mit Depressionen. Positive Befunde gibt es inzwischen für eine eine Vielzahl von Erkrankungen, bei denen sie erprobt worden ist. Wie es scheint, entwickelt sich das Verfahren, etwas überspitzt formuliert, zu einer Art „Allzweckwaffe“ in der Psychiatrie und der Neurologie. Die Indikationen reichen von Depressionen, Burn-out-Syndrom und Psychosen bis hin zu Tinnitus. Die Aphasie ist nur ein Anwendungsgebiet unter vielen. Der Münchner TMS-Experte Dr. Oliver Seemann etwa wirbt auf seiner Homepage sogar mit positiven Effekten der TMS bei Demenz, ADHS, Stress, Angst, Schmerzen und Migräne. Seemann bietet in seinem TMS-Zentrum das Verfahren darüber hinaus gegen Konzentrationsschwächen, Prüfungsangst, Mobbing und zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit an. Die Kosten des Verfahrens sind teilweise beihilfefähig. Private Krankenversicherungen übernehmen auf Anfrage eventuell einen Teil der Kosten.
Aphasie: Das Potential zur Erholung ist da
Dass die rTM bei Aphasie helfen kann, ist mehrfach belegt worden. Was genau aber im Gehirn passiert, wenn die Sprache wiederkommt, sei noch relativ unklar, erklärt Paula I. Martin vom Aphasie-Forschungszentrum in Boston. Selbst mit bildgebenden Verfahren sei bislang nicht sicher geklärt worden, ob an dem Erholungsprozess überwiegend gesunde Neuronen der geschädigten linken oder der intakten rechten Hirnhälfte oder beider Hirnhälften gleichermaßen beteiligt sind. Sicher ist aber, dass das geschädigte Gehirn das Potential hat, sich zu erholen, was Martin - wie auch andere Forscher - in eigenen Untersuchungen mit der rTMS bei chronischer Aphasie nachgewiesen hat. Verbessern konnte Martin die Ergebnisse zudem durch Kombination der rTMS mit einem weiteren neuen Verfahren, der so genannten CILT (constraint-induced language therapy). Bei dieser sprachtherapeutischen Methode wird der Patient quasi gezwungen, auf alles zu verzichten, womit er sein Defizit kompensieren will, also auf Gesten oder auch aufs Schreiben und Zeichnen. Allein das Reden wird gefördert, und zwar in mehreren Sitzungen mit bis zu vier Stunden täglich.
Erfolgreich, aber noch in Forschung
So groß die Begeisterung über die positiven Ergebnisse mit elektrischen Stimulationsverfahren wie der rTMS oder der recht neuen direkten transkraniellen Stimulation (tDCS, transcranial direct current stimulation) auch ist – für Patienten mit Aphasie sind sie noch keine Standardverfahren, sondern vielleicht einmal eine Option für eine begleitende Therapie. Noch sei sehr viel Forschungsarbeit zu leisten, zum Beispiel dazu, ob die Kombination solcher Verfahren mit klassischen Sprachtherapien bessere Ergebnisse ermögliche, sagt Paula Martin.
Standard in der Rehabilitation von Aphasie-Patienten bleibt bis dahin außer Physio- und Ergotherapie ganz allgemein die Logopädie mit ihren unterschiedlichen Methoden, wobei für die langwierige Betreuung der Patienten in der Regel ein Team aus Logopäden, Psychologen, Linguisten und Neurologen verantwortlich ist. Die Therapie, der mehr als 500 000 Aphasie-Patienten in Deutschland ist selbstverständlich stets höchst individuell. Denn zum einen ist ein Schlaganfall zwar die häufigste Ursache, aber nur eine von vielen möglichen Ursachen. Prinzipiell kann jede Hirnerkrankung eine Aphasie verursachen, etwa ein Hirntumor, ein Abszess oder ein Schädel-Hirn-Trauma, das bei Kindern die häufigste Ursache ist. Und kaum bekannt und noch relativ wenig erforscht sind chronisch-progredienten Aphasien durch neurodegenerative Erkrankungen. Zum anderen ist Aphasie nur ein Oberbegriff für eine große Vielzahl von ganz unterschiedlichen Störungen der Sprachproduktion und des Sprachverständnisses, bei denen zudem Lesen und Schreiben in unterschiedlichem Ausmaß und in wechselnder Zusammensetzung beeinträchtigt sind. Aber eines ist die Aphasie auf keinen Fall, auch wenn manche Menschen dies vermuten und die Patienten immer wieder mit dem Vorurteil kämpfen müssen: Die Aphasie ist keine Denkstörung oder gar Zeichen einer verminderten Intelligenz.