Für Kinder mit schwerer chronischer Darmentzündung gab es bisher keine wirklich geeigneten Therapiemöglichkeiten. Wissenschaftler haben die Ursache der Erkrankung entdeckt und heilen erstmals Patienten mit Hilfe einer Knochenmarkstransplantation.
Heftige Bauchschmerzen, blutige Durchfälle und eitrige Fisteln. Das sind die typischen Symptome einer schweren chronischen Darmentzündung bei Säuglingen. Entzündungshemmende Medikamente helfen, wenn überhaupt, nur kurzfristig. Um die Beschwerden wenigstens etwas zu lindern, wird den kleinen Patienten oft sehr früh der Dickdarm entfernt. Nun ist es Forschern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gelungen, die Krankheit zum ersten Mal ursächlich zu behandeln. Wie Professor Christoph Klein und seine Kollegen im Fachblatt New England Journal of Medicine berichten, transplantierten sie einem neunjährigen Jungen, der an einer besonders schweren Verlaufsform dieses Krankheitsbildes litt, fremdes Knochenmark. Nach wenigen Wochen heilten dessen entzündliche Darmveränderungen komplett und dauerhaft ab.
Der erfolgreichen Behandlung ging eine Vielzahl von Untersuchungen voraus: „Bevor wir einen Patienten einer solchen experimentellen Therapie unterziehen, müssen wir die Ursache seiner Erkrankung verstehen“, sagt Klein, der an der MHH Leiter der Klinik für Kinderheilkunde, Pädiatrische Hämatologie und Onkologie ist. „Da chronische Darmentzündungen in manchen Familien als autosomal-rezessive Erbkrankheit auftreten, wollten wir den zugrunde liegenden Gendefekt entschlüsseln.“ Darum nahmen die Forscher das Erbgut der Patienten und ihrer Eltern genauer unter die Lupe. Nach einer aufwändigen Suche stießen Klein und sein Team in Zusammenarbeit mit Professor Bodo Grimbacher vom University College London schließlich auf die Gene IL-10R alpha und IL-10R beta. Bei vier von neun Patienten war eines der beiden Gene defekt.
Gendefekt unterbricht Signalkaskade
Die Gene tragen die Bauanleitung für zwei Untereinheiten des Interleukin-10-Rezeptorproteins (IL-10R), das auf der Oberfläche von Immunzellen sitzt. Normalerweise leitet der Rezeptor ein Signal ins Innere der Zellen weiter, sobald an ihm der Botenstoff Interleukin-10 (IL-10) andockt. Das Signal sorgt dafür, dass eine Reihe von Genen an- und ausgeschaltet werden und die Zellen keine Botenstoffe mehr produzieren, die Entzündungen fördern. „IL-10 verhindert wahrscheinlich auf diese Weise, dass durch Darmbakterien stimulierte Immunzellen körpereigenes Gewebe angreifen“, sagt Professor Stephan Ehl, Kinderarzt und Leiter des Centrums für Chronische Immundefizienz am Universitätsklinikum Freiburg.
Bei den Patienten ohne funktionsfähigen Rezeptor ist dieser Signalweg jedoch unterbrochen, ihre Immunzellen schütten ununterbrochen entzündungsfördernde Botenstoffe ins Darmepithel aus und lösen so die Krankheit aus. Nachdem klar war, dass bei einigen Patienten der defekte IL-10-Rezeptor ihre Erkrankung verursachte, wagte das Team um Klein den nächsten Schritt. „Da IL-10 seine Wirkung vor allem auf Immunzellen ausübt“, so der Mediziner, „wollten wir die Darmentzündung dadurch zum Verschwinden bringen, indem wir das körpereigene Abwehrsystem auswechselten.“ Für die dafür erforderliche allogene Knochenmarktransplantation wählte er einen neunjährigen Jungen mit einem defekten IL10R beta-Gen aus, der fast sein ganzes Leben im Krankenhaus verbracht hatte.
Chemotherapie vernichtet fehlerhafte Immunzellen
Mit Hilfe einer Chemotherapie wurde das Immunsystem des Jungen ausgelöscht und ihm anschließend Knochenmarkzellen einer seiner gesunden Schwestern verpflanzt. Trotz seines geschwächten Zustands verkraftete er die strapaziöse Prozedur gut; gefürchtete Nebenwirkungen wie Infektionen oder eine Transplantat-Wirt-Reaktion blieben weitgehend aus. „Nach nur wenigen Wochen verschwanden die schweren Entzündungen und Fisteln vollständig“, erzählt Klein. Mittlerweile hat er zwei weitere Patienten, einen acht Monate alten Säugling und ein zwölfjähriges Mädchen, mit der gleichen Therapie erfolgreich behandelt.
Auch wenn der jetzt entdeckte Gendefekt nur sehr selten vorkommt, könnte die Arbeit von Klein und Grimbacher eventuell Auswirkungen auf die Therapie von Jugendlichen und Erwachsenen haben, die an Morbus Crohn erkrankt sind. Auch bei dieser sehr viel häufiger auftretenden Krankheit kann es zu schweren Entzündungen vor allem im Dünndarm der Betroffenen kommen. „Zum ersten Mal konnte beim Menschen direkt gezeigt werden, dass IL-10 eine Schlüsselrolle bei entzündlichen Darmerkrankungen spielt“, lobt Ehl die Veröffentlichung seines Kollegen. „Allerdings werden sich die meisten Fälle von Morbus Crohn wohl nicht auf einen einzigen Gendefekt zurückführen lassen.“
Wahrscheinlich, so der Mediziner, müssten mehrere veränderte Gene vorliegen, die dann im Zusammenwirken mit Infektionserregern die Krankheit auslösen. Deswegen hält er es auch für unwahrscheinlich, dass man nun alle Erwachsene mit schweren Verlaufsformen von Morbus Crohn mit einer Knochenmarkstransplantation erfolgreich behandeln kann. Für Patienten mit einem klar definierten Gendefekt sei sie aber auf jeden Fall eine Behandlungsoption.
Zukünftig Therapie mit patienteneigenen Stammzellen?
Für Säuglinge mit einem fehlerhaften IL-10-Rezeptor könnte es in ein paar Jahren eventuell noch eine Therapiealternative geben. „Dazu müsste man patienteneigene Stammzellen gewinnen und den Defekt mittels einer Gentherapie reparieren“, erklärt Ehl. „Da bei der Verpflanzung der neuen Zellen mit keiner Abstoßungsreaktion zu rechnen ist, muss man die alten Zellen nicht komplett auslöschen, sondern nur etwas zurückdrängen.“ Die dafür nötige Chemotherapie sei nicht so hart und werde von Kindern in der Regel gut vertragen.