Auch wenn die Personalie Peter Sawicki als Chef des IQWIG derzeit offenbar zur Diskussion steht: Sein Institut wird uns erhalten bleiben. Anlässlich der Veröffentlichung des zweiten Abschlussberichts zu neuen Antidepressiva zeigen die Kölner einmal mehr, dass sie Kontroversen nicht scheuen.
In dem Ende November vorgelegten Bericht geht es um die drei als Antidepressiva vermarkteten Substanzen Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL. Die rein medizinische Kernbotschaft ist schnell erzählt: Nach Sichtung des Studienmaterials sieht das IQWIG sowohl in der Akuttherapie als auch in der Rückfallprävention keinen Nutzen der Substanz Reboxetin. Bei Mirtazapin halten die Experten zumindest den Nutzen in der Akuttherapie für belegt, während sie die Bücher in der Rückfallprävention offen lassen beziehungsweise – bei allerdings geringem Datenumfang – ein vorläufiges Negativfazit ziehen. Bupropion XL schließlich ist der große Gewinner: Hier sei sowohl in der Akuttherapie als auch in der Rückfallprävention von einem Nutzen auszugehen, so die Autoren.
Reaktionen: Psychiater machen keinen auf Hochdruckliga
Die Community der Psychiater zeigt sich von diesen Ergebnissen nicht übermäßig überrascht, wie sich beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin zeigte. „Dass Reboxetin in Monotherapie nicht besonders effektiv ist, ist uns bewusst gewesen. Es wurde schon vor Veröffentlichung des Berichts wenig eingesetzt“, sagte beispielsweise Professor Klaus Lieb von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Etwas erstaunlicher sei da schon das vergleichsweise schlechte Abschneiden von Mirtazapin gewesen. Hier seien viele doch von einer stärkeren Wirksamkeit ausgegangen, so Lieb. Dass Bupropion XL ein wirksames Antidepressivum ist, war auch bisher kein Geheimnis. Insgesamt dürfte der aktuelle Bericht die Realität der psychiatrischen Verordnung in Deutschland also nur begrenzt beeinflussen. Dass die organisierte Psychiatrie auf die Barrikaden geht, wie es beispielsweise die Hochdruckliga nach dem Abschlussbericht zur antihypertensiven Monotherapie getan hat, ist nicht anzunehmen. Trotzdem hat der aktuelle IQWIG-Bericht mehr Wellen geschlagen als so mancher andere. Der Grund war, dass das IQWIG die Publikation des Berichts zu einer scharfen Kritik an den Publikationsgepflogenheiten der pharmazeutischen Industrie bei klinischen Studien genutzt hat.
Die Vorbehalte wurden fallen gelassen
Ganz überraschend kam die Breitseite nicht. Schon der Vorbericht zu Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL sah etwas anders aus, als man das bisher von IQWIG-Vorberichten gewohnt war. Zu Reboxetin war in diesem Bericht gar keine Bewertung enthalten gewesen, und zu Mirtazapin war die Bewertung unter Vorbehalt gestellt worden. Der Grund war, dass zwei der drei Hersteller Studiendaten, die das IQWIG angefordert hatte, zunächst nicht zur Verfügung gestellt hatten. Erst nach Veröffentlichung des Vorberichts wurden die entsprechenden Daten dann vorgelegt. „Wir gehen jetzt tatsächlich davon aus, den gesamten Studienpool verfügbar gehabt zu haben. Entsprechend sind wir uns unserer Bewertung sicher genug, um sie im Abschlussbericht ohne Vorbehalt zu veröffentlichen“, sagte die stellvertretende Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung des IQWIG, Dr. Beate Wieseler. Dass anlässlich der Veröffentlichung des Berichts noch einmal an diese vom IQWIG als Hinhaltetaktik empfundene Verzögerung erinnert wurde, ist angesichts der Entstehungsgeschichte des Berichts nicht verwunderlich. Die Unternehmen erklärten im Gegenzug, sie sähen sich zu Transparenz verpflichtet.
Scheinheilig bis zum Geht-nicht-mehr…
Tatsächlich hat der zwischen Unternehmen und Institut unter Einbeziehung der Öffentlichkeit ausgetragene Disput tiefere Wurzeln. Gar nicht so sehr die Industrie, vor allem die deutschen Gesundheitspolitiker müssen sich hier unangenehme Fragen gefallen lassen. Die gleichen Politiker, nebenbei bemerkt, die gerne mal auf der Pharmaindustrie herum hacken, wenn sie sich davon eine positive Presse versprechen. Denn wie erfährt das IQWIG von Studien, die existieren, aber nie publiziert wurden? „Wir konsultieren Webseiten, studieren Kongressbände und gehen Verweisen in Publikationsregistern nach“, so Wieseler.
Eine Sisyphos-Arbeit also. Sie wird nötig, weil die Politik es seit Jahren nicht schafft, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die für die Arbeit eines Instituts wie des IQWIGs nötige Transparenz auch wirklich existiert. Das fängt beim Fehlen eines nationalen Studienregisters an. Es geht aber noch viel weiter: Es gibt nämlich zumindest auf europäischer Ebene mit EudraCT seit 2004 durchaus ein verpflichtendes Studienregister der EMEA. Nur: Das IQWIG darf darauf nicht zugreifen. Nur den Zulassungsbehörden ist das erlaubt. Krass formuliert: Die Politik wirft erst einmal Nebelkerzen, um die Transparenz im Arzneimittelmarkt so weit zu reduzieren wie möglich. Sie gründet dann ein Institut, dem sie Detektivarbeit zumutet, um das zu Tage zu fördern, was an anderer Stelle längst zusammengeführt worden ist. Das ist der eigentliche Skandal.