Für seine Auftritte ist der französische Staatspräsident bekannt. Selbst Hiobsbotschaften vermag Nicolas Sarkozy galant zu verbreiten. Doch jetzt übt sich der Staatschef in einer neuen Disziplin: Nachhilfe in Gesundheitspolitik – Deutschland kann daraus lernen.
Tatsächlich gilt das, was Sarkozy über die Französische Botschaft in Berlin vor kurzem verbreiten ließ, als vielversprechendes Modell auch für deutsche Gesundheitsökonomen. „Weitere fast 750 Millionen Euro“, erfahren Medizinforscher hierzulande, fließen in Frankreich von jetzt an bis 2013 in den neuen Krebs-Plan der Republique Francaise. Allein das freilich würde hierzulande niemanden beeindrucken, kann doch das von Annette Schavan geleitetet Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf ähnliche Dimensionen hinweisen. Das Programm "Gesundheitsforschung: Forschung für den Menschen" beispielsweise fördert die Gesundheitsforschung zwischen 2006 und 2010 mit 800 Mio. Euro, also mit rund 160 Mio. Euro pro Jahr. Und auch die Ziele scheinen Parallelen zu Frankreich aufzuweisen. „Damit die Forschung den Patienten besser zugute kommt, wurde der Schwerpunkt "Versorgungsnahe Forschung" aufgelegt, in dem die Versorgung der Patienten unter Alltagsbedingungen untersucht wird“, erklärt das Ministerium in Berlin.
Doch Sarkozy scheint, anders als seine deutschen Polit-Kollegen, in erster Linie aus den sozialen Unruhen in den kulturell geprägten Pariser Banlieus die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. Das neue Programm soll nicht nur eine generell bessere medizinische Krebsversorgung ermöglichen. Anders als bisher sollen soziale Ungerechtigkeiten bei der Gestaltung der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden. In dieser Form ist es ein Novum. So verfolgt der neue Plan gleich drei Prioritäten, wie es dazu aus Paris heißt. Es gehe um die „deutliche Verbesserung der Versorgung“, um die „gleiche medizinische Versorgung für alle“ und um die „Reduzierung der noch existierenden regionalen und sozialen Unterschiede“. Beachtlich ist auch die angepeilte „Verbesserung der Begleitung des Patienten nach der Behandlung“.
Während sich in Deutschland Regierung und Opposition in erster Linie um virtuell wirkende Wachstumsbeschleuniger kümmern und medizinische Forschungsprogramme auf die High-Tech Strategie des BMBF ausgerichtet sind, erkennen die Nachbarn die real existierenden sozialen Probleme der Zukunft als eigentliches Risiko – und handeln. „Um auch künftig die Qualität der Versorgung garantieren zu können, muss die demografische Entwicklung bestimmter Berufsgruppen vorausgesehen werden“, erklärt dazu die französische Botschaft den neuen Kurs im Élysée-Palast.
So besteht eins der primären Ziele darin, insgesamt 20 Prozent mehr Krebs-Spezialisten auszubilden. Ob Onkologen, Strahlentherapeuten, Hämatologen, was heute noch als medizinischer Fachkräftemangel in die Statistik einhergeht soll durch den Geldfluss schon 2013 auf einen angemessenen Stand angehoben werden. 150 Mio. Euro stellt das Budget für den großen Bereich der Krebsprävention zur Verfügung, während 15 Prozent „der Analyse verhaltens- und umweltbedingter Risiken als krankheitsauslösende Faktoren“ zugedacht sind. Ohnehin scheint Sarkozy zum gelungenen Rundumschlag ausgeholt und dabei die ihm immer wieder vorgeworfene Industrienähe ad acta gelegt zu haben. Denn der neue Plan nimmt auch jene Themen ins Visier, die der Wirtschaft traditionell ein Dorn im Auge sind, nämlich „die langfristigen Auswirkungen von Expositionen gegenüber chemischen, biologischen oder physikalischen Stoffen, auch in geringer Dosis“.
Sozialanalyse statt nur High-Tech
Während hierzulande unliebsame wissenschaftliche Berichte und Untersuchungen kaum politisches Gewicht haben, reagierte der französische Präsident auf die ihm vorgelegten Ergebnisse zum wahren medizinischen Zustand der Republik. Im März 2009 nämlich hatte Jean-Pierre Grünfeld, immerhin renommierter Nephrologe am Pariser Necker-Krankenhaus, in einer an den Staatspräsidenten gerichtete Studie auf die sozialen Unterschiede aufmerksam gemacht. Das Risiko zwischen 30 und 65 Jahren an Krebs zu sterben, musste ein entsetzter Sarkozy erkennen, ist in Frankreich bei Industriearbeitern doppelt so hoch wie bei Freiberuflern. Zudem gab es bei dem Drittel der Krebstoten, die infolge von Nikotinsucht starben, deutlich weniger Hochschulabsolventen, da es unter diesen deutlich weniger Raucher gibt. Entsprechend sieht der neue Plan vor, „die Anzahl der Raucher von 30 auf 20 Prozent zu reduzieren“, wozu vermutlich Steuererhöhungen dienen werden. Wer sich als deutscher Gesundheitspolitiker über die Nachhilfe beim Staatspräsidenten beklagen möchte darf es, wie alle anderen Bürger und mit Aussicht auf Feedback, tun. Der Élysée-Palast bietet dazu eine eigens dazu eingerichtete Web-Adresse.