Ein US-Unternehmen will die Welt verbessern, indem es Verletzten Rasierschaum in die Wunden sprüht. Oder fast. Was praktisch klingt hat einen ernsten Hintergrund. Zielgruppe sind nämlich Soldaten oder die Opfer von Terrorismus.
Was tun, wenn es blutet und nicht mehr aufhört? Üblicherweise greift der Haushaltsvorstand in solchen Situationen in den Arzneischrank und holt ein Heftpflästerchen. Vor allem bei Kindern wirkt das Wunde(r): Papa oder Mama zaubert aus dem geheimnisvollen, weil stets viel zu hoch hängenden, Schrank einen himmelblauen oder quietschgelben Streifen mit Comic-Figuren darauf hervor. Bei so viel Unterstützung hört die Verletzung dann meist schon auf zu bluten, bevor überhaupt das Schutzpapier abgezogen wurde.
Rasierschaum: Damit die Welt noch sicherer wird…
In Zukunft könnten etwas problematischere weil größere Verletzungen ähnlich therapiert werden. Das US-Unternehmen Remedium Technologies hat nämlich gerade in dem jährlich stattfindenden Wettbewerb Global Security Challenge den Preis in der Kategorie „Most Promising Security Idea“ gewonnen – für eine neuartige „Pflaster“-Technologie, die die Welt, nun ja, sicherer machen soll. Das läuft so: Aus einer Spraydose wird eine Art Rasierschaum in die Wunde gesprüht. Wunde verklebt. Blutung stoppt. Patient gerettet. Fertig.
Zugegeben, an die Kinder, die sich beim Rollerfahren auf dem Asphalt das Knie aufschlagen, haben die Remedium-Erfinder bei der ganzen Sache wohl nicht in allererster Linie gedacht. Eine Innovation für dieses Einsatzszenario hätte vermutlich auch nie und nimmer einen Security-Award bekommen. Dass die Jury der Global Security Challenge, die sich sonst eher für Dinge wie einen mobilen Sprengstoff-Detektor oder eine neue Überwachungskamera interessiert, Gefallen an dem blutstillenden Rasierschaum gefunden hat, zeigt schon, woher der Wind weht. Es geht um schwere Verletzungen, bei denen innerhalb kurzer Zeit die Verblutung droht, Verletzungen nach Unfällen, Verletzungen von Soldaten im Krieg oder auch Verletzungen bei Opfern terroristischer Anschläge.
Wer sich rasieren kann, kann auch eine Blutung stillen
Wie funktioniert die Sache? Remedium Technologies-CEO Matt Dowling beschreibt das Prinzip in einigen wenigen Sätzen: „Unser Produkt funktioniert so ähnlich wie eine Dose Rasierschaum. Man sprayt es in eine Wunde. Es entsteht ein sich ausdehnender Schaum, der allen verfügbaren Raum einnimmt und die Blutung stoppt, ganz ohne Druck auszuüben.“ Eine medizinische Ausbildung sei für die Anwendung nicht nötig, so Dowling: „Es braucht kein spezielles Training. Es kann von Soldaten, Rettungshelfern oder Zivilisten genutzt werden. Es gibt derzeit keine vergleichbaren Produkte, mit denen sich all jene Blutungen stoppen lassen, die nicht mit konventionellen Druckverbänden gestillt werden können.“ Um hier gleich zu intervenieren: Wer sich schon seine Rasierschaum-Pulle ins Aktentäschchen gestopft hat, um die Sache beim nächsten Anschlag oder Verkehrsunfall auszuprobieren, sollte sie wieder rausholen. Denn etwas mehr als nur Schaum hat Remedium Technologies schon in sein Produkt gepackt. Das Geheimnis liegt in einer Verquickung aus blutstillendem Chitin mit patentierten „Nano-Haken“.
Außenskelett für eine Wunde
Chitin, das Material, aus dem die Natur das Außenskelett der Insekten und einiger Krustentiere herstellt, ist als Blutstiller kein Unbekannter. Es gibt eine ganze Reihe von Produkten, die versuchen, mit Hilfe von Chitin Wunden zu stillen. Das Prinzip: Chitin beziehungsweise dessen Derivat Chitosan hat positiv geladene Aminopolysaccharidketten, die gut an tendenziell anionische biologische Oberflächen binden. Chitosan hat außerdem gewisse keimhemmende Eigenschaften, was bekanntlich auch nicht schlecht ist, wenn jemand offene Wunden hat. Das Problem aller bisherigen Wundstiller auf Chitin-Basis sei, dass die Sache nur kurze Zeit funktioniere, so die Experten bei Remedium. Irgendwann weiche der Chitin-Panzer durch, und die ganze Blutstillung ist für die Katz. Produkte auf Basis von Fibrin oder Thrombin halten deutlich länger, sind für einen Masseneinsatz aber viel zu teuer. Remedium hat sich deswegen mit Biotech-Spezialisten zusammen getan, die das Chitin ein wenig aufgepäppelt haben, indem sie molekulare Häkchen in den Schaum mischten. Die haben zum einen blutstillende Eigenschaften. Zum anderen sorgen sie dafür, dass der Chitinpanzer länger am Gewebe haften bleibt.
Nassrasierer aufgepasst!
Nun ist die Versorgung Kriegsverletzter gut und wichtig. Dem Unternehmen ist bei der weiteren Entwicklung des Produkts aller Erfolg zu wünschen. Wenn wir das Ganze ein wenig weiter spinnen, deuten sich freilich noch ganz andere Einsatzmöglichkeiten an. Der Chitin-Schaum wäre nicht das erste Produkt aus dem militärischen Kontext, das Einzug in den Alltag hält. Was spräche eigentlich dagegen, es als das zu benutzen, wonach es aussieht? Nassrasierer kennen das Problem: Wenn es morgens schnell gehen soll, macht es plötzlich ritsch. Das Ergebnis ist, dass man sich einen halben Vormittag lang ein Taschentuch an den Hals presst und mitleidige Blicke auf sich zieht. Mit einem hämostatischen Rasierschaum würde dieses Problem definitiv der Vergangenheit angehören…