Über 130 Liter Mineralwasser trinkt im Mittel jeder Bundesbürger pro Jahr - Tendenz steigend. Beliebter ist nur noch Kaffee. Aber ist Wasser wirklich so gesund wie vermutet? Die Wissenschaft kann sich noch nicht entscheiden.
„Magnesiumreiches Mineralwasser ist Nervennahrung pur“, heißt es etwa auf der Webseite der Informationszentrale Deutsches Mineralwasser (IDM). Denn Magnesium reguliere „unter anderem die Stabilität und Erregbarkeit der Zellmembranen sowie des vegetativen Nervensystems“. Und wenn das Mineralwasser mehr als 200 Milligramm Natrium enthalte, sei es sogar ein richtiger und vor allem ein „natürlicher Powerdrink, für alle, die alles geben“. Wer zudem etwas für seine Knochen und seine Schönheit tun will, müsse außerdem noch calciumreiches Mineralwasser trinken, denn das „Beauty-Mineral“ sorge „nicht nur für stabile Knochen und gesunde Zähne, sondern ebenfalls für straffe Haut, schöne Haare und gesunde Fingernägel“.
Soweit die Werbung. Aber was meint die Wissenschaft dazu? Sind Mineralwässer wirklich so gesund wie vielfach vermutet und behauptet? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt sich eher bedeckt: Manche Mineralwässer mögen als Lieferanten von Mineralstoffen und Spurenelementen zwar ganz nützlich sein. Aber ausreichende Belege für gesundheitliche Wirkungen gebe es nicht, heißt es. Daher erteile man auch keine Empfehlungen zu Mindestmengen von Inhaltsstoffen in den Mineralwässern.
Intensiv untersucht hat die medizinische Relevanz von Mineralwässern Professor Wolfgang Marktl von der Medizinischen Universität Wien. Die Untersuchungsergebnisse des Physiologen lassen die kalorienfreien Wässerchen zwar insgesamt nicht schlecht aussehen, belegen allerdings, dass selbst die Wissenschaft hier noch sehr wenig weiss.
Gute Bioverfügbarkeit
Unstreitig ist die Notwendigkeit, Mineralstoffe wie Magnesium, Natrium und Calcium zu sich zu nehmen. Aber sind dafür mineralstoffhaltige Wässerchen überhaupt eine Hilfe? Werden durch ihren Genuss überhaupt Mineralstoffe in ausreichendem Maße vom Organismus aufgenommen? Laut Marktl gibt es zur Bioverfügbarkeit von Mineralwasserstoffen bislang leider nur für Calcium und Magnesium ausreichende Daten. Diese sind aber recht gut: Die Resorptionsraten für Calcium aus Mineralwässern sind zum Teil sogar besser als die aus Milch. Bis zu 50 Prozent beträgt die Bioverfügbarkeit des Knochenminerals. Ähnlich hoch ist die Bioverfügbarkeit von Magnesium, allerdings abhängig davon, ob gleichzeitig feste Nahrung zu sich genommen wird oder nicht: Mit fester Nahrung beträgt sie 52 Prozent, ohne 46 Prozent. Belege für die immer wieder geäußerte Vermutung, dass bei einem calcium- und magnesiumhaltigen Mineralwasser die Resorption gegenseitig vermindert werde, hat Marktl nicht gefunden. Insgesamt, so sein Fazit, sei die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen aus Getränken besser als aus festen Speisen.
Auf die Verbindungen kommt es an
In Abhängigkeit vom Calcium-Gehalt kann man mit Mineralwasser sogar seinen täglichen Bedarf an Calcium von rund einem Gramm decken - vorausgesetzt, man schafft es, vier Liter täglich zu trinken. Aber wer es nur auf einen Liter bringt, deckt so immerhin bis zu 25 Prozent des Bedarfs. Wichtig ist aber nicht allein die Menge, sondern auch die Art der Calciumverbindung, die das Mineralwasser enthält. In Mineralwässern liegt Calcium meist als Calciumsulfat oder Calciumhydrogencarbonat vor. Mineralwässer, die sowohl das Sulfat als auch das Carbonat in höheren Konzentrationen enthalten, gibt es nicht. Für die so genannte Knochengesundheit relevant ist ein hoher Calciumcarbonat-Gehalt, da dies zu einer Harnalkalisierung und einer verminderten renalen Calciumausscheidung führt. Ein hoher Sulfat-Gehalt dagegen bewirkt eine Ansäuerung des Urins und erhöht damit laut Marktl „theoretisch die Calcium-Ausscheidung“.
Mit einem Magnesium-reichen Mineralwasser kann sogar ein noch größerer Anteil des täglichen Bedarfs von rund 350 Milligramm gedeckt werden - und zwar bis zu knapp 58 Prozent, wenn man einen Liter trinkt. Ob dies bei bestimmten gesundheitlichen Störungen jedoch etwas bringt, ist unklar. Immerhin konnte in einer Studie gezeigt werden, dass rund 200 Milligramm Magnesium in einem Liter Mineralwasser gegen Stress wirken.
Natrium im Mineralwasser: kein Grund zur Sorge
Wenn es um das Natrium in Mineralwässern geht, ist die häufigste Frage die, ob natriumreiches Mineralwasser den Blutdruck erhöht oder natriumarmes zur Blutdrucksenkung beiträgt. Beide Fragen können laut Marktl verneint werden. Denn zum einen ist der Natrium-Gehalt in Mineralwässern mit 3 bis 500 Milligramm pro Liter im Großen und Ganzen recht gering. Zum anderen liegt Natrium in Mineralwässern überwiegend als Natriumhydrogencarbonat und nicht als Natriumchlorid vor. Natriumhydrogencarbonat erhöht jedoch im Gegensatz zur Chloridverbindung nicht den Blutdruck. Unbegründet ist auch die Sorge einer zu hohen osmolaren Belastung durch regelmäßigen Mineralwasser-Konsum. Denn in Relation zur physiologischen Plasmarosmolarität sind Mineralwässer deutlich hypoosmolar. Und da der Organismus in der Regel über Haut, Schleimhäute, Schweißdrüsen, Darm und Nieren hypoosmolare Flüssigkeiten verliert, ist der Ersatz durch hypoosmolare Mineralwässer sogar sinnvoll.
Gut für Knochen, gut für Zähne und vielleicht sogar für die Psyche
Ernährungsphysiologisch relevant sind zudem die in Mineralwässern enthaltenen Spurenelemente Jod, Fluor und auch Lithium. Angesichts der in einigen europäischen Regionen unzureichenden alimentären Jodversorgung ist es beruhigend zu wissen, dass man sogar mit jodhaltigem Mineralwasser einen Teil des täglichen Jodbedarfs von 150 bis 200 Mikrogramm decken kann. Nach den Untersuchungen von Marktl enthält zum Beispiel ein in Österreich erhältliches Mineralwasser 160 Mikrogramm pro Liter. Mit manchen Mineralwässern kann sogar eine gezielte Kariesprophylaxe betrieben werden. Denn mit etwa einem Milligramm Fluorid pro Liter liegt der Fluorid-Gehalt mancher Mineralwässer genau in dem Bereich von 0,5 bis 2 Milligramm Fluorid täglich, der für eine Kariesprophylaxe empfohlen wird.
Weniger klar ist, welche gesundheitlichen Auswirkungen die Lithium-Aufnahme durch Mineralwässer hat. Lithium wird ja seit vielen Jahren zu Dauertherapie von Patienten mit bipolaren Störungen, Depressionen und schizoaffektiven Psychosen verwendet. Marktl hat in seinen Untersuchungen Konzentrationen von 1,5 bis 1320 Mikrogramm pro Liter Mineralwasser gefunden, was deutlich unter den therapeutisch verwendeten Mengen liegt. Aber die tägliche Lithium-Aufnahme könne durch Mineralwässer immerhin erheblich gesteigert werden, sagt der Physiologe. Und aus mehreren Studien sei bekannt, dass die Aufnahme des Spurenelements über die Ernährung oder das Trinkwasser die Psyche bzw. die Stimmung beeinflusse. Ob allerdings lithiumhaltige Mineralwässer antipsychotisch wirken, ist unbekannt.
Fazit von Marktl: Sicher ist, dass durch Mineralwässer ein alimentärer Mangel an Mineralstoffen und Spurenelementen zum Teil ausgeglichen werden kann - und das auch noch ohne Kalorien. Ob allerdings durch regelmäßigen Konsum natürlicher Mineralwässer definierte Gesundheitsstörungen positiv beeinflusst werden können, ist zwar nicht völlig unwahrscheinlich, aber unzureichend gesichert. Die wissenschaftliche Datenlage ist zu dürftig. Im Gegensatz wahrscheinlich zur Datenlage für Bier und Wein.