In Österreich soll die elektronische Patientenkarte in den Apotheken Fuß fassen. Doch die Ärzte, die einst als vehemente Kartengegner in Erscheinung getreten waren, wollen von der Karte plötzlich gar nicht mehr lassen…
Wie man eine Patientenchipkarte in einem Gesundheitssystem einführt, haben die Österreicher den Deutschen schon vor drei Jahren vorgemacht. Der Projektträger des österreichischen e-card-Projekts, die Österreichische Sozialversicherung, hat nicht lange gefackelt: Die Karte wurde gegen den Willen von Teilen der Ärzteschaft unters Volk gebracht. Die Ärzte wurden mehr oder weniger ans Netz gezwungen. Das Ganze hat zwar ein europaweit vernehmbares Murren erzeugt. Dieses klang aber ab, als die Kinderkrankheiten der e-card nach einigen Monaten beseitigt waren. Heute redet in Österreich kein Mensch mehr über Sinn oder Unsinn der e-card. Sie ist einfach da. Und sie wird weiterentwickelt.
E-Medikation: Auf Salzburg folgen Wien und Tirol
Aktuell sollen für die Einführung einer elektronischen Arzneimitteldokumentation die Apotheker ans nationale e-card-Netz geholt werden. DocCheck hat darüber mehrfach berichtet. Grundlage war ein erfolgreiches Pilotprojekt im Raum Salzburg, der so genannte Arzneimittelsicherheitsgurt: „Die Patienten konnten über die e-card, die als Schlüssel für den Arzneimittel-Sicherheitsgurt dient, in 71 Apotheken ihre Medikamente abrufen. Dabei sind über 20000 arzneimittelbezogene Probleme aufgetreten, die von den Apothekern gelöst werden konnten“, betont der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Heinrich Burggasser. Der österreichische Chef-Apotheker und viele seine Kollegen sind über das Salzburger Projekt zu wahren e-card-Fans geworden. Kein Wunder, dass der Arzneimittelgurt unter dem neuen Namen E-Medikation schon im Jahr 2010 außer in Salzburg auch noch in Wien und Tirol im Rahmen eines weiteren Pilotprojekts voran getrieben werden soll. Das dort zum Einsatz kommende System wird – auf freiwilliger Basis – alle von Praxen, Krankenhäusern und Apotheken ausgegebenen Medikamente elektronisch erfassen. Damit sollen vor allem Arzneimittelwechselwirkungen sowie versehentliche Doppelmedikationen reduziert werden: „Die E-Medikation sorgt für eine Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen und kann im besten Fall Leben retten und Kosten sparen“, sagte beispielsweise Wolfgang Gerold vom Wiener Krankenanstaltenverbund kürzlich bei einer Tagung in Wien.
Das Orakel von der (Ärzte-)Kammer
Nun zeigt sich in Österreich allerdings etwas Ähnliches, das auch in Deutschland zu beobachten ist: Sobald die Ärzteschaft mit ins Boot geholt wird, kommen auch die Bedenken: „Alles, was wir jetzt falsch machen, wird später fatale Konsequenzen haben“, orakelte beispielsweise Artur Wechselberger von der Österreichischen Ärztekammer. Und weiter: „Immerhin geht es bei der Aufzeichnung von Medikation um äußerst sensible Informationen, deren missbräuchliche Verwendung in jedem Fall verhindert werden muss.“ Johannes Steinhart von der Wiener Ärztekammer wählte ähnlich drastische Worte und forderte, die Öffentlichkeit müsse sich darüber klar werden, wie viel Transparenz sie „vertrage“. Bei solchen Formulierungen mutiert das an sich fortschrittliche Projekt im Konnotationsspektrum mir nichts dir nichts zu einer Art Chemotherapie.
Wenn der Apotheker kommt, entdecken Ärzte ihre Liebe zu den Krankenkassen
Was tatsächlich hinter den wortreich vorgetragenen Bedenken steckt, sind Machtfragen. Die Daten der E-Medikation sind nämlich nicht auf der e-card gespeichert, sondern in einem Rechenzentrum. So ist das übrigens auch bei der Arzneimitteldokumentation im Zusammenhang mit der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland vorgesehen. Die auch in Österreich noch ungeklärte Frage lautet allerdings, wer die Hoheit über den Server bekommt, auf dem die Daten liegen. Die Apotheker sehen das bei sich, genauer bei der Pharmazeutischen Gehaltskasse, die in Österreich die Funktion der Apothekenrechenzentren innehat, wo die elektronischen oder nicht elektronischen Rezepte ohnehin früher oder später landen.
Mehr noch: Die Apotheker wollen Ärzten nur Zugriff auf rezeptpflichtige Medikamente gestatten, um das Missbrauchspotenzial gering zu halten. Das alles stinkt den österreichischen Ärzten ganz gewaltig. Wechselberger beispielsweise forderte eine Speicherung an einem „neutralen“ Ort. Schon diese Wortwahl klingt nach Krieg. Ein neutraler Ort ist für ihn jedenfalls nicht die Apothekerkammer, eher schon der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Und spätestens hier reibt sich der deutsche Beobachter dann doch sehr verwundert die Augen: Ärzte, die für eine Datenspeicherung bei einem Krankenversicherungsträger plädieren? Felix Austria!