Isabel hat ihre Famulatur auf einem Schiff absolviert. Was sie alles erlebt hat, und ob sie den Boden unter den Füßen wirklich verloren hat, könnt Ihr in diesem Erfahrungsbericht lesen.
Schon bei der Ankunft Warnemünde war das neue Kreuzfahrtschiff der Transocean-Tours Flotte, die MS Marco Polo, kaum zu übersehen. Sie lag mit einem weiteren Kreuzfahrtschiff im kleinen Hafen der Cruise-Liner, um ihre neuen Gäste in Empfang zu nehmen. Nachdem ich mich am Gate als Famulantin des "Medical Doctors" vorgestellt hatte, bekam ich auch gleich meine Boarding-Card. Dann erhielt ich nach einem kurzen Sicherheitscheck durch den ukrainischen Security Officer eine recht knapp gehaltene Wegbeschreibung zum Medical Center in gebrochenem Englisch "Go this way!". So startete ich auf der fünften Etage des schon etwas in die Jahre gekommenen Dampfers meine Suche nach dem Board Hospital. Unterwegs in den schmalen Gängen wurde ich glücklicherweise schon von einer weiß gekleideten Person mit Funker in der Hand abgefangen: "Isabel richtig? Schön dass du schon da bist!"
Hospital
Der Pfleger Patrick zeigte mir gleich den Weg zum Hospital und ich schleppte mich mit meinem großzügigen Gepäck für vier Wochen durch den rumpelnden Bauch der Marco Polo. Wie mir Patrick berichtete, sei unser Schiffsarzt Dr. Schöll auch gerade erst eingetroffen. Der Allgemeinmediziner aus Stuttgart sollte auf dieser Reise auch zum ersten Mal als Schiffsarzt aktiv werden. Ich warf zuerst einen kurzen Blick ins "Medical Center". Was die Ausstattung angeht ist es etwa mit einer durchschnittlichen Arztpraxis vergleichbar: Zwei Behandlungszimmer, ein Empfang-/Wartezimmer, EKG-Gerät, einige Labor-Schnelltests und ein schon etwas in die Jahre gekommenes Röntgengerät. Die regulären Öffnungszeiten des Board-Hospitals waren zwei Mal täglich, jeweils morgens und abends. Die Zeiten waren immer etwas unterschiedlich und richteten sich nach den Anlegezeiten in den Häfen. Partick gab mir gleich ein Funkgerät, sodass ich immer erreichbar war, wenn das Medical-Team zum Einsatz kommen musste.
Unterkunft
Ich bezog nach meiner ersten Besichtigungstour zunächst meine recht großzügige Kabine, die ich alleine bewohnen durfte. Dies ist für Boardpersonal bei weitem keine Selbstverständlichkeit! Viele Mitarbeiter mussten sich zu viert oder gar zu sechst in einer Kabine stapeln. Somit konnte ich mich über meine Außenkabine mit großem Bad und einem Kleiderschrank, der größer ist als mein eigener, wirklich nicht beschweren. Etwa 800 Passagiere haben auf der Marco Polo platz, hinzu kommen noch etwa 350 Mitarbeiter. Das Schiff besitzt 2 Restaurants und 5 Bars. Alle Mahlzeiten sowie die meisten Getränke waren für mich als Crewmitglied frei. Nur Cocktails und Weine an der Bar müssen selbst bezahlt werden. Ich durfte mich auf dem Schiff wie ein Passagier frei bewegen und auch Einrichtungen wie Fitness-Center und Bibliothek benutzen.
Erster Einsatz
Gleich am ersten Abend, noch vor dem Ablegen aus dem Warnemünder Hafen, waren wir als Medical-Team jedoch schon außerplanmäßig gefordert: Der Zustand einer Passagierin mit Bauchspeicheldrüsenkrebs verschlechterte sich zunehmend, sodass Dr. Schöll die Entscheidung traf, sie auszuschiffen und in eine Klinik zu bringen. Das Board-Hospital ist nicht für die Versorgung schwer kranker Patienten ausgerichtet. Somit werden Patienten, die intensivmedizinisch betreut oder zügig operiert werden müssen, schnellstmöglich ausgeschifft und in ein nahe liegendes Krankenhaus gebracht.
Auf der Heimreise nach London musste im Nord-Ostsee-Kanal eine weitere Patientin ausgeschifft werden. Sie hatte sich nach einem Sturz an der Außenreling eine Oberarmfraktur zugezogen und musste nun in ein Krankenhaus gebracht werden.
Zum Kotzen
Nach der Durchquerung des Nord-Ostsee-Kanals folgte der erste Tag auf der rauen See des Atlantiks und damit auch die ersten Fälle von Seekrankheit, von der wir in der ruhigen Ostsee bisher weitestgehend verschont geblieben sind. Wir bewaffneten uns mit Vomex Kurzinfusionen und schritten zur Tat. In den engen Gängen und Aufzügen brachten Crewmitglieder in weiser Voraussicht bereits Spucktüten entlang der Handläufe an. Der Weg durch das schwankende Schiff wurde mit einem Arm voll Infusionsmaterial zum Hürdenlauf! In den folgenden Tagen auf der atlantischen See konnten sich jedoch auch die anfälligen Passagiere an den Seegang im Atlantik gewöhnen und der Bedarf an Vomex oder MCP sank erheblich.
Das Beste zum Schluss
Im Verlauf der nächsten Wochen auf dem Schiff, in denen wir Irland, Schottland, England, Norwegen und Dänemark umschifften mussten wir uns mit einem breiten Erkrankungsspektrum auseinandersetzen: Von Dermatitis Solaris, Hypertensiver Entgleisung und Harnverhalt über Menstruationsbeschwerden, Allergische Reaktionen, Angina Pectoris bis zu vaginalen Blutungen in der Schwangerschaft - fast jede medizinische Fachrichtung war vertreten. Zur Durchführung eines Heimlich-Manövers waren wir gezwungen, als sich ein Passagier beim Captains-Dinner an einer Garnele verschluckte. Auch die Oberst-Leitungsanästhesie lernte ich zu Genüge kennen, da wir eine Vielzahl eingewachsener Zehennägel zu behandeln hatten - die reinste Seuche auf dem Schiff! Kaum ein Tag verging ohne den obligatorischen eingewachsenen Zehennagel, sei es bei Passagier oder Crew-Mitglied.
Fazit
Mein Aufenthalt auf der Marco Polo endete nach viereinhalb Wochen in Kiel. Ich verabschiedete mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend weil die gesamte Crew auf dem Schiff einfach toll war und ich sehr nett und herzlich aufgenommen wurde. Zudem konnte ich vor allem was Untersuchungstechniken in der Medizin angeht sehr viel lernen und mitnehmen, da man nur eine begrenzte medizintechnische Ausstattung auf dem Schiff hatte und in der Diagnosestellung somit auf seine Sinne und die Anamnese angewiesen war. Ich habe außerdem die Gelegenheit gehabt, in kürzester Zeit eine Fülle verschiedenster Eindrücke in verschiedenen Ländern und Städten sammeln zu können und werde sicherlich an viele Orte zurückkehren. Ich ging jedoch auch mit einem lachenden Auge, da man sich nach fast fünf Wochen auf See auch wieder freut, in einem Bett auf festem Boden zu schlafen. Ich kann eine Famulatur auf dem Schiff jedem nur empfehlen. Es war eine atemberaubende Erfahrung, die ich keinesfalls missen möchte.
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