Bis vor kurzem galt Rheumatoide Arthritis als reine Autoimmunkrankheit. Zytokine schienen B- und T-Lymphozyten an die Gelenke zu locken. Forscher zeigen nun, dass die Krankheit eher einem metastasierenden Tumor ähnelt.
Am Anfang ist es eine kleine Entzündung. Sie lässt das Gelenk anschwellen und sorgt für Schmerzen. Aber anstatt anständig nach ein paar Wochen zurückzugehen und auszuheilen, sucht sich die Entzündung immer neue Ziele. Am Ende sind fast alle Gelenke betroffen. Schlimmstenfalls ist dann kaum mehr eine Bewegung möglich.
RASF – neue Hauptakteure auf der RA-Bühne
Rheumatoide Arthritis (RA) betrifft etwa ein Prozent der Weltbevölkerung, in Europa ist die Rate etwas geringer. Wen es trifft, dessen Körper scheint das Immunsystem nicht mehr im Griff zu haben. In der innersten Schicht des Synoviums kommt es zu einem abnormalen Zellwachstum. Dorthin wandern auch aktivierte Immunzellen ein, die für die Entzündung sorgen. Neben aktivierten B- und T-Zellen und knochenabbauenden Osteoklasten sind dort vor allem Fibroblasten in großer Anzahl tätig, sogenannte RASF (Rheumatoid Arthritis Synovial Fibroblasts). Sie sind dabei nicht nur Mitwirkende im Hintergrund, sondern "Key Player", die für die Zersetzung von Bindegewebe und Knochen sorgen.
Die bisherige Theorie: Bei RA handelt es sich in erster Linie um eine Autoimmun-Krankheit mit einem Angriff von B- und T-Zellen auf das Gewebe. Fibroblasten sind dabei jene Zellen, die vor Ort aktiviert sind und bei den Läsionen mithelfen. Und wie breitet sich die Krankheit auf immer mehr Gelenke aus? Möglicherweise über zelluläre oder humorale Faktoren? Die Arbeitsgruppe von Elena Neumann von der Kerckhoff-Klinik im hessischen Bad Nauheim scheint mit ihren Ergebnissen nun ein neues Bild zu entwerfen. In einem Artikel im renommierten "Nature Medicine" vor einigen Wochen zeigte sie, dass die Entzündung ganz ähnlich wie eine andere, unkontrollierte Wucherung weiterwandert, ähnlich einem metastasierenden Krebsgeschwür.
Fibroblasten auf Wanderschaft
Den eleganten Beweis, dass RASF in die Rolle der wandernden Tumorzellen schlüpfen, zeigten die Wissenschaftler an einem Tiermodell ohne eigenes Immunsystem, der SCID-Maus. Menschliches Gewebe akzeptiert sie ohne Widerspruch bzw. Abstoßungsreaktion. Elena Neumann und ihr Team verpflanzten nun Gelenkknorpel von RA-Patienten in diese Mäuse, und zwar in die gegenüberliegenden Flanken. Allerdings enthielt nur eine der beiden Proben die Fibroblasten, für die sich die Forscher interessierten. Nach zwei Monaten waren die untersuchten Zellen tatsächlich zum zweiten Implantat gewandert – ohne zusätzliche Stimuli des murinen oder humanen Immunsystems. In Kontrollversuchen mit Fibroblasten aus Osteoarthritis-Patienten oder normalen Haut-Fibroblasten blieben dagegen die Bindegewebszellen am Platz.
Welche Wege nehmen nun diese Zell-Nomaden, um andere Gelenke zu infizieren? Allem Anschein nach gelingt es Ihnen, in Blutgefäße ein- und am Ziel wieder auszuwandern. Adhäsionsmoleküle wie VCAM-1 und Integrine helfen beim Einstieg und sorgen für den rechtzeitigen Stopp am Zielbahnhof. Dazwischen lassen sich die Zellen auch in der Milz nachweisen, dem körpereigenen Filtersystem. Besonders attraktiv für die Fibroblasten-Attacke ist eine Knochenmatrix, die ungeschützt freiliegt. Gesundes Gewebe lässt die Aggressoren dagegen relativ kalt.
Neue Therapien auf dem Vormarsch?
Dass sich Fibroblasten bei RA auf Wanderschaft machen können, hat die Arbeitsgruppe nicht nur im Tiermodell, sondern auch im Menschen bereits gezeigt. Die neuen Ergebnisse am SCID-Maus-Modell sollen aber jetzt auch die Basis dafür sein, das Feuer in den Gelenken an seiner Ausbreitung zu hindern. So könnte ein Block der Adhäsion oder auch der Matrix-Abbau-Enzyme der Fibroblasten den fortlaufenden Prozess stoppen.
In den letzten Jahren sind immer mehr sogenannte "Biologicals" zu den früher gebräuchlichen DMARD-Wirkstoffen wie Methotrexat und Sulfasalazin zur RA-Therapie gekommen. Zu den Entzündunghemmern und Zytostatika gesellen sich nun Antikörper und Moleküle, die etwa den Nachrichtenfluß durch Zytokine blockieren. So konkurriert etwa Anakinra mit dem IL-1 Rezeptor, Tocilizumab richtet sich gegen den IL-6 Rezeptor. Abatacept ist ein rekombinantes CTLA4 Molekül, das die Stimulierung der T-Zellen unterbinden soll.
Wie Ronald van Vollenhoven vom schwedischen Karolinska Institut in einem Review darlegt, gibt es bei der Rheumatoiden Arthritis trotzdem noch etliche ungeklärte Fragen: Warum reagieren nur so wenige Patienten auf die vielfältigen neuen Möglichkeiten der Therapie. "Heilung" ist ein Ziel, dass mit den derzeitigen Möglichkeiten wohl noch nicht zu erreichen ist. Mit den Ergebnissen aus Bad Nauheim ist jedoch das Rätsel um die Ausbreitung der rheumatischen Entzündung wieder ein Stück weiter entschlüsselt worden.