Nachdem die Verhandlungen über eine Fortführung der Rücknahme von Altmedikamenten gescheitert sind, zwitschert im politischen Berlin jeder nach seinem Gusto. Die Apotheker wollen die Pillen wiederhaben, aber nichts zahlen. Die Hersteller auch nicht. Und die Politik hält sich die Ohren zu.
Eigentlich sollte bis Ende 2009 alles klar sein. Nachdem der Entsorger Vfw Remedica die seit Jahren laufenden Entsorgungsverträge mit den Landesapothekerkammern nicht mehr verlängert hatte, sollte Vfw ein neues Angebot auf den Tisch liegen. Das kam erstens verspätet und zweitens nicht zur Zufriedenheit von Apothekern und Herstellern. Die hätten nämlich auf die eine oder andere Weise Geld in die Hand nehmen müssen. Und das wollten weder die Hersteller noch die Apotheker. Insgesamt soll es um etwa vier Millionen Euro pro Jahr gehen. Die fehlen, und damit darf das bundesweite Entsorgungsmodell via Vfw Remedica nun endgültig als mausetot angesehen werden.
Politik für die (graue) Tonne
Die Frage lautet jetzt, wie es weitergehen soll. Stand Mitte Januar 2010 darf konstatiert werden, dass im politischen Berlin diesbezüglich beredte Ratlosigkeit herrscht. Bei der ABDA sieht man nach wie vor die Hersteller in der Pflicht. Wenn die sich weigern, wie das die Mehrheit der relevanten Verbände tut, dann müsse eben der Gesetzgeber ein Machtwort sprechen: „Wir brauchen jetzt schnell eine politische Lösung“, sagte ABDA-Chef Heinz-Günter Wolf in einem Gespräch mit dem Magazin „Der Spiegel“. Die Politik freilich will davon nichts wissen. Im Bundesgesundheitsministerium wird konstatiert, dass kein Handlungsbedarf bestehe, weil Altmedikamente ohnehin in den Hausmüll gehörten: „Die 5. Novelle der Verpackungsverordnung sieht vor, dass Verkaufsverpackungen, die zu privaten Endverbrauchern gelangen, grundsätzlich bei dualen Systemen lizenziert werden müssen“, betont Ministeriumssprecher und Apotheker Dr. Roland Jopp im Gespräch mit DocCheck. Entsprechend seien Verpackungen für Arzneimittel vom Verbraucher ebenso wie alle anderen Verpackungen zu behandeln. Was die Arzneimittel selbst angeht, stelle die Hausmüllverbrennung einen sicheren Entsorgungsweg dar, da bei der Verbrennung die in den Arzneimitteln enthaltenen Wirkstoffe zerstört würden. Fazit: Der forsche Ruf nach dem Gesetzgeber, den die ABDA pünktlich zum neuen Jahr erschallen ließ, findet bislang keinerlei politisches Echo. Und es sieht derzeit auch nicht so aus, als ob das noch kommen könnte.
Kartellrechtliche Bedenken
Seitens der Hersteller gibt es für den Ruf nach der Politik auch keine Unterstützung: „Wir sind absolut nicht der Auffassung, dass diese Sache vom Gesetzgeber geregelt werden muss“, sagte Pro Generika-Sprecher Thomas Porstner zu DocCheck. Wer sich ein wenig umtut im politischen Berlin, der hört sogar Sätze wie: „Den Apothekern geht es doch nur darum, Kunden in den Laden zu bekommen.“ Schlechte Stimmung also. Medial haben die Apotheker bisher jedenfalls die Oberhand: Dass die Hersteller zu geizig für die Pillenrücknahme seien, ist der vorherrschende Tenor der Berichterstattung. Den Industrieverbänden stinkt das schon ein wenig. Viel wichtiger seien andere Aspekte, so Porstner: „Zum einen blieb bei dem von Vfw vorgelegten Konzept völlig unklar, wie die Kosten aufgeteilt werden sollen.“ Gerade für Generikahersteller macht es nämlich einen großen Unterschied, ob Umsatz oder eher Absatz als Grundlage der Kostenverteilung hergenommen werden. Im letzteren Fall trügen die Generika-Hersteller die Hauptlast, im ersteren nicht. Auch kartellrechtliche Bedenken machen die Hersteller geltend: „Wenn sich alle Herstellerverbände bundesweit auf einen Anbieter einigen, dann wird das beim Kartellamt Probleme geben“, so Porstner, der auch darauf hinweist, dass Entsorgungsmodelle bei anderen Produkten nicht einfach auf Medikamente übertragen werden könnten, weil Medikamente kein Sondermüll seien. Soll heißen: So lange Gemüseproduzenten nicht ihre verfaulten Kartoffeln zurücknehmen müssen, sollten auch Pharmaunternehmen nicht belangt werden.
Meditonne hält Pillenmüll unter Verschluss
Gerne verwiesen wird von Industrieseite auf die unzähligen regionalen Entsorgungsmodelle, die auch ohne den gesetzgeberischen Hammer gut funktionierten, teils mit, teils ohne Beteiligung der Hersteller. Ein Beispiel ist die im September 2009 gestartete Meditonne in Berlin, die von der Berliner Straßenreinigung (BSR) zusammen mit der Apothekerkammer Berlin entwickelt wurde. Die Apotheker entsorgen von den Kunden zurückgebrachte Medikamente dabei in abschließbaren Tonnen. Das Ganze wird dann von der BSR abgeholt und im Müllheizkraftwerk Ruhleben verbrannt. Dieser Ansatz hat freilich Grenzen. Denn bisher stehen die Entsorgungstonnen nur in drei Berliner Bezirken zur Verfügung. Die anderen Bezirke sollen zwar folgen, doch wann ist unklar. In weniger dicht besiedelten Gegenden dürfte das Meditonne-Modell definitiv ungeeignet sein, wenn dem Apotheker keine Fernreisen in Sachen Pillenentsorgung zugemutet werden sollen. Regionale Entsorgungsmodelle mit Abholdiensten gibt es aber auch. Es scheint also zu gehen, wenn man sich kümmert. Auch ohne den Gesetzgeber.