Erstmals ist es US-Ärzten gelungen, autistische Kinder mit Hilfe einer audiovisuellen Methode präzise zu diagnostizieren. Hintergrund: Autisten verarbeiten Audiosignale mit geringer Verzögerung. Das Verfahren könnte auch vor Gericht helfen.
Der Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee ist vier Seiten lang – und untersagt einem Vater den Kontakt zu seinem Kind. „Das Kind leidet an einer autistischen Störung“, doziert die Familienrichterin, und: „Der Kindesvater steht der Diagnose distanziert gegenüber“. Tatsächlich entscheidet eine umstrittene Diagnose über die Zukunft der Vater-Sohn-Beziehung. Denn die Gerichtsentscheidung basiert auf der Annahme, dass das autistische Kind den Kontakt nicht verarbeiten würde – und infolge eines Vaterkontakts sogar suizidgefährdet wäre. „Absolut unverständlich“, meint hingegen der Vater. Und liefert Videoaufnahmen, die einen Jungen zeigen, der voller Vertrauen mit seinem Vater spielt. Er "leidet keinesfalls an Autismus, das ist eine reine Fehldiagnose“.
Seit Jahren schon kämpfen die getrennt lebenden Eltern um die eine Frage: Ist ihr Sohn, wie die Mutter immer wieder meint, ein Autist? Und muss daher der Kontakt zum leiblichen Vater wirklich unterbunden werden? „Er kann krankheitsbedingt den Wusch des Vaters nach Kontakt nicht dekompensieren und reagiert massiv fremd- und autoaggressiv“, beschließt letztendlich das Familiengericht und verkündet den Beschluss im Januar 2010. Für Ärzte auf beiden Seiten ein Desaster. Denn während die eine Fraktion die Diagnose erstellte und daran glaubt, stellen andere Forscher wie der bundesweit anerkannte und mittlerweile emeritierte Psychologe Professor Wolfgang Klenner solche Angaben gerade bei Kindern in Frage. Derartige Auseinandersetzungen ziehen sich über Jahre und sind kein Einzelfall – die einen Ärzte stellen Diagnosen, die anderen Mediziner stellen sie in Frage. Ein Drama. Doch jetzt scheint die Hoffnung berechtigt, den Kampf um die wahre Diagnose in Zukunft unemotional, vor allem aber akustisch entscheiden zu können.
Der gehörte Elefant macht den Unterschied
Während bei gesunden Kindern das Gehirn Wörter akustisch sofort verarbeitet, sind die Neuronen von Kindern mit Autismus im Durchschnitt genau 11 Millisekunden langsamer. So viel beträgt nämlich die Geschwindigkeits-Differenz in der Wahrnehmung von Lauten, berichten nun Mediziner am US amerikanischen Children’s Hospital of Philadelphia in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Autism Research. 11 Millisekunden, so hoffen nun Ärzte und betroffenen Eltern auch hierzulande, könnten die Diagnose der nur schwer erkennbaren ASDs wesentlich vorantreiben. 11 Millisekunden, erklären die Amerikaner der Fachwelt, sei in Zeiteinheiten gemessen der Laut „El“ im Wort „Elefant“. Könnten damit ausgesprochene Elefanten die Familiengerichte revolutionieren?
Tatsächlich scheint die vom Radiologen Timothy P.L. Roberts vorgestellte Methode geeignet, um gerade bei kleinen Patienten autistische Signale zuverlässig zu detektieren. Herzstück des Verfahrens ist die Magnetoenzephalografie (MEG), bei der die Messung der magnetischen Aktivität des Gehirns mit Hilfe von äußeren Sensoren (SQUIDs) und somit nichtinvasiv erfolgt.
Die Ergebnisse sprechen für sich. Um die vom Gehirn erzeugten Magnetfelder bei Aufnahme von akustischen Signalen zu registrieren, mussten 25 Kinder mit ASD einen speziellen Helm tragen. Anschließend hörten sie Piep-Töne und Wörter, darunter das eingangs erwähnte „Elefant“. Anders als jene 17 Kinder ohne ASD, die dem gleichen Prozedere unterzogen wurden, zeigten die per Computer visualisierten MEG-Aufnahmen eine klar erkennbare und reproduzierbare Verzögerung um durchschnittlich 11 Millisekunden. Laut Roberts spielen womöglich Unterschiede in der Substantia alba eine entscheidende Rolle bei der Signalverarbeitung. So fand das Ärzteteam in Philadelphia heraus, dass die Myelinschicht bei gesunden Kindern besser ausgebildet ist als bei Kindern mit Autismus und autismus-ähnlichen Erkrankungen (ASD) – was die schnellere Übertragung der Informationen über die Leitungsbahnen ermöglichen könnte. Für Eltern wie den Vater des Berliner Kindes könnte der Elefantentest zumindest Gewissheit bringen, ob ein Autismus vorliegt, oder nicht. Der Beschluss von Anfang Januar 2010, der ihm den Umgang mit seinem Kind untersagt, zeigt ungewohnt offen, warum die US-Methode helfen kann. Bisher setzen viele Familienrichter bei der Einschätzung einer eventuell vorliegenden Autismus-Erkrankung nicht zwangsläufig auf ärztliche Gutachten allein – im vorliegenden Fall hatte die Verfahrenspflegerin das entscheidende Wort.