Es klingt ein wenig nach Science Fiction, wenn der Schweizer Neurowissenschaftler Henry Markram über seine Arbeit in Lausanne erzählt. Doch seine Forschung zum Verständnis des menschlichen Gehirns ist ebenso faszinierend wie real - und zudem erfolgreich.
Irgendwann in diesem Jahrhundert werde es Maschinen geben, die intelligenter seien als Menschen. Diese Maschinen würden auch Gefühle haben. In wenigen Jahren schon, etwa 2020, werde ein 1000-Dollar-Computer so leistungsfähig sein wie ein menschliches Gehirn, und nur wenige Jahre später ein PC so viel Power haben wie 1000 menschliche Gehirne. Um die Mitte des Jahrhunderts herum werde ein 1000-Dollar Computer dann so rechenstark sein wie die Gehirne aller Menschen auf der Erde.
Alles nur eine Frage der Rechenpower und Finanzen
Man kann das, was der US-amerikanische Computerspezialist und Visionär der künstlichen Intelligenz Raymond Kurzweil meint, für eine Vision, gar Spinnerei halten. Aber das, was Schweizer Wissenschaftlern um Professor Henry Markram bereits gelungen ist, ist schon Realität - nämlich die Computer-Simulation eines Grundmoduls des Rattengehirns, genauer gesagt einer kortikalen Kolumne, die aus rund 10 000 Nervenzellen besteht, die miteinander über 30 000 000 Synapsen verbunden sind. Das Gehirn des Menschen enthält zwar rund 100 Milliarden Neuronen und fast eine Billiarde Synapsen, aber für den gebürtigen Südafrikaner und Direktor der „École Polytechnique Fédérale de Lausanne“ ist die Lösung auch dieses Problems mehr eine Frage der ausreichenden Rechnerkapazität und Finanzierung denn prinzipieller Art. In zehn Jahren könnte es soweit sein mit dem ersten synthetischen Gehirn, das Forschern tiefe Einblicke in menschliche Bewusstseinsvorgänge und in die Wahrnehmung ermöglichen würde, hieß es daher vor kurzem in vielen Medien unter Berufung auf Markram.
Ein Blue-Gene-Supercomputer macht‘s möglich
„Man braucht einen Laptop, um all das berechnen zu können, was eine einzige Nervenzelle berechnen kann. Um mit 10 000 Neuronen gleichzuziehen, braucht man daher Tausende von Laptops“, sagt Markram. Er und seine Kollegen haben allerdings keine Tausende von Laptops. Was sie haben, ist ein Supercomputer, und zwar einen IBM-Blue-Gene-Supercomputer, der unter anderem für Genom-Analysen und Analysen komplexer biochemischer Vorgänge wie der Proteinfaltung genutzt wird. Seit einigen Jahren schon arbeiten Markram und seine Mitarbeiter am „Brain Mind Institute“ in Lausanne daran, die Funktionsweise des Gehirns von Säugetieren mit einem Computer zu simulieren. „Blue Brain“ lautet der Name ihres Projekts, das 2005 ins Leben gerufen wurde.
Ziel ihrer Forschung mit dem Supercomputer ist, wie die Schweizer Wissenschaftler sagen, unter anderem zu verstehen, wie Informationen im Gehirn verarbeitet und gespeichert werden und auch, wie Bewusstsein zustande kommt. Zudem soll ihre Forschung das Verständnis von Gehirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer verbessern und auch viele Tierversuche überflüssig machen. Markram: „Was wir wollen ist, biologische Systeme und vor allem ihre Störungen, also Krankheiten etwa, verstehen.“ Denn derzeit gebe es keine Hirnerkrankung, bei der wirklich verstanden werde, was da im Zusammenspiel der Neuronen falsch laufe.
Erkenntnis, nicht ein Kunsthirn, ist das Ziel
Ziel sei dagegen nicht, ein künstliches Gehirn bzw. eine Art artifizieller Intelligenz zu kreieren. „Das zu schaffen ist weder sehr wahrscheinlich noch notwendig“, sagt der Chef des Blue-Brain-Projektes. Das wäre auch sehr schwierig. Bisher sei man dabei, Hirnfunktionen auf zellulärer Ebene zu simulieren. Noch sehr viel komplizierter sei eine Simulation auf molekularer Ebene. Markram: „Jedes Molekül ist selbst ein sehr starker Computer. Wir müssten die Struktur und Funktion aber nicht allein eines einzigen Moleküls simulieren, sondern die von Billionen über Billionen Molekülen. Wir würden dafür Computer benötigen, die billionenfach größer und schneller sein müssten als jeder derzeit verfügbare Rechner.“ Außerdem sei das Gehirn eben nicht ein nur sehr komplizierter Computer. Im Gegensatz zu einem Rechner sei das Gehirn vor allem ein dynamisches, biologisches System, das sich unter dem Einfluss der Gene und externer Reize ständig, innerhalb von Millisekunden bis über Jahre hinweg, neu organisiere. „Wir sind im Moment aber noch sehr weit weg davon, diese Wandlungsprozesse zu verstehen“, gibt sich der Neurowissenschaftler bescheiden.