„Ich dachte, Transparenz wäre eigentlich gut", sagt eine Ärztin. Inzwischen bereut sie, dass sie mit der Veröffentlichung ihrer Daten einverstanden war. Es geht um Millionenbeträge von Pharmafirmen an Ärzte. Die Transparenzinitiative ist gescheitert. Was ist schief gelaufen?
„Googeln mich Patienten, kommt nach der Praxiswebsite und Jameda an dritter Stelle sofort der Eintrag bei Correctiv über Zuwendungen der Pharmaindustrie“, sagt Franz K., ein Arzt aus Bayern, der lieber anonym bleiben möchte. Er bekam knapp 11.000 Euro. „Patienten haben mich schon mehrmals darauf angesprochen, und in mindestens einem Fall ist die Person dann in eine andere Praxis abgewandert.“ 2016 lautete im Spiegel die Überschrift: „So viel zahlte die Pharma-Industrie an einzelne Ärzte“. Weiter hieß es: „Die Pharmaindustrie hat im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Milliarde Euro an Ärzte und Krankenhäuser für Studien, Fortbildungen und Sponsoring gezahlt. Die Zahlen stammen von 54 Unternehmen, die sich freiwillig im Rahmen des sogenannten Transparenzkodexes zur Offenlegung verpflichtet haben.“ Alle Medien berichteten darüber. Patienten googelten ihre Ärzte und schauten nach, wie viel Geld ihr Hausarzt bekommen hatte. Ein Jahr später wurden erneut Zahlen veröffentlicht. Keinen kümmerte es. Und diesen Sommer erneut: Neue Zahlen, keiner berichtet. Der traurige Trend: Die Zahlungen der Pharmafirmen steigen weiter an – während immer weniger Ärzte damit einverstanden sind, dass ihre Namen öffentlich gemacht werden. Warum? Sollte die Initiative nicht Transparenz schaffen und Klarheit in das Verhältnis zwischen Arzt und Pharmaindustrie bringen?
Um mehr zu erfahren, kontaktierte DocCheck insgesamt 25 Ärzte mit freiwilligen Angaben zu Industriezahlungen. Davon meldeten sich 14 nicht zurück, acht lehnten es ab, über das Thema zu sprechen, und drei gaben zumindest Auskunft, wollten aber anonym bleiben. Dazu gehört auch Karin F. (Name geändert) aus Nordrhein-Westfalen: „Ich dachte, Transparenz wäre eigentlich gut, und ich habe nichts zu verbergen.“ So nannte die Kollegin rund 5.000 Euro (2016), was sie bitter bereut: „Die graphische Darstellung bei Correctiv suggeriert, dass wir uns prinzipiell in unseren Entscheidungen beeinflussen lassen.“ Damit meint sie die Grafik, die einen Arzt ohne Gesicht zeigt, der gerne Geld entgegen nimmt (siehe unten). © correctiv, Screenshot DocCheck Genau das Gegenteil sei der Fall: „Ich informiere mich bei Firmen für meine Patienten und erhalte beispielsweise Reisekosten, ändere aber mein Verschreibungsverhalten nicht“, sagt Karin F. Diesen Punkt kritisiert auch Martin R. mit Praxis in Nordrhein-Westfalen (Name geändert): „Ich war mit der Veröffentlichung über die Herstellerwebsite einverstanden, aber nicht mit der Darstellung von Correctiv.“
In 2016 hat die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) erstmals Zuwendungen aller Mitgliedsorganisationen veröffentlicht. Alle drei von DocCheck befragten Ärzte fanden die Initiative grundsätzlich gut und gaben ihren Segen. Sie dachten, alle Informationen würden nur auf den Websites pharmazeutischer Hersteller veröffentlicht. Genau so wurde es von der FSA auch umgesetzt, zuletzt mit Daten aus 2017. Diese Strategie hat – abhängig vom Blickwinkel – ihre Stärken oder Schwächen:
Und hier kommt Correctiv ins Spiel. Das Recherchenetzwerk hat FSA-Daten aus 2015 und 2016 technisch aufgearbeitet, aber keine eigenen Informationen erfasst. Und siehe da, plötzlich reicht es aus, den eigenen Arzt zu googeln, und prompt landet man auf Trefferseiten mit dem Titel „Dr. XYZ und Zuwendungen aus der Pharmaindustrie.“ Wer weiterklickt, findet eine Liste mit Spesen, Honoraren, Tagungsgebühren und weiteren Punkten. „Darüber war ich regelrecht erschrocken“, sagt Martin R. „Kein Patient kapiert das.“ Er selbst kommt auf 8.000 Euro, berichtet jedoch über Kollegen mit mehr als 100.000 Euro. „Nur waren viele so schlau, schon der ersten Veröffentlichung zu widersprechen.“ Wohin das führt, zeigt der Vergleich von FSA-Daten aus 2017 versus 2016.
Zahlen zur Transparenzinitiative 2017, Stand 21.06.2018 © FSA/VFA Bei den reinen Wirtschaftsdaten tut sich wenig:
Doch das FSA-System gerät aus den Fugen. Schon im Jahr 2015 gaben nur 31 % aller Ärzte grünes Licht zur Veröffentlichung von Zahlungen. Der Wert sank wenig überraschend auf 25 % (2016) und auf 20 % (2017). Die Zahl der Ärzte, die zustimmen, entwickelt sich weiter rückläufig. Geht es so weiter, wird bald kaum noch ein Kollege damit einverstanden sein, über sich etwas im Web zu lesen. Martin R. kommentiert: „So schlau bin ich mittlerweile auch geworden.“ Er stimmte weiteren Veröffentlichungen nicht zu. Franz K. und Karin F. haben sich genauso entschieden.
Das Problem ist bekannt, Lösungen sucht man aber vergebens: „Wir haben natürlich auch gesehen, dass die Zustimmungsquote nicht so hoch ist, wie wir uns das gewünscht haben, sagt Dr. Holger Diener (Geschäftsführer, FSA) im Videointerview. Er wünscht sich einen „größeren Kreis von Ärzten, die zustimmen“ und will „in den nächsten Jahren mit der Ärzteschaft weiter zusammenarbeiten“, bleibt aber vage. Sein Gesprächspartner Prof. Hans-Christoph Diener (Medizinische Fakultät, Universität Duisburg-Essen) ist um Erklärungen nicht verlegen: „Ich kann bei vielen Ärzten nachvollziehen, dass sie Angst haben, dass ihnen zustößt, was mir passiert ist: dass man in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt und einem unterstellt wird, man wäre ein Knecht der Pharmaindustrie, man wäre bestechlich, würde Gelder annehmen.“ Er betont, jede Zusammenarbeit beruhe auf Verträgen mit angemessenen Honoraren und würden von beiden Seiten überprüft. Die Organisation Transparency International hält hingegen nicht viel von der FSA. „Sie ist nur dazu da, umstrittene Praktiken schön zu reden“, kommentiert Vorstand Wolfgang Wodarg gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie es mit Transparenzinitiativen weitergeht.