Immer wieder berichten Patienten und Angehörige, dass Ärzte entgegen einer bestehenden Patientenverfügung handeln. In den meisten Fällen scheitern die Verfügungen nicht an dem Willen der Mediziner, sondern an unklar oder missverständlich formulierten Dokumenten.
Nicht jeder Patient will im Alter oder bei schwerer Krankheit das Potenzial der modernen Medizin restlos ausreizen. Viele fürchten, sinnlos mit Maschinen am Leben gehalten zu werden, und wollen lieber „in Frieden‟ sterben. Wer eine Patientenverfügung verfasst, kann darin bestimmte Behandlungen ablehnen, und so über das Ende seines Lebens zumindest teilweise mitbestimmen. Das muss der Arzt respektieren. Doch immer wieder berichten Patienten und Angehörige, dass Ärzte entgegen der Verfügung behandeln würden. So ein Handeln kann ein Gesetzesbruch sein. In den meisten Fällen scheitern die Verfügungen aber nicht am Willen der Mediziner. Sondern an unklar formulierten Dokumenten oder dem Widerstand der Familie. Gita Neumann © die Hoffotografen Gita Neumann ist die Leiterin der gemeinnützigen Bundeszentralstelle Patientenverfügung, die unter anderem eine Hotline zum Thema anbietet. Auch sie macht immer wieder die Erfahrung: „Viele Menschen haben Angst, der Arzt könnte sich über ihre Patientenverfügung hinwegsetzen.‟ Tatsächlich komme es kaum vor, dass Mediziner willentlich gegen eine Verfügung verstoßen. Probleme entstünden vielmehr dadurch, dass diese oft unklar formuliert seien: „Im Zweifelsfall fühlt sich der Arzt dann dem Erhalt des Lebens verpflichtet.‟
Neumann rät davon ab, die Verfügung ohne Beratung zu Hause selbst zu erstellen. Denn dabei könne man vieles falsch machen. Typische Fehler seien Formulierungen, die entweder zu eng oder zu allgemein gefasst sind. Es wird dann etwa eine konkrete Situation genannt, in der keine intensivmedizinischen Maßnahmen erwünscht sind. Der Arzt wird dann davon ausgehen, dass die Verfügung für andere Situationen nicht gilt – auch wenn die genannte vielleicht nur beispielhaft sein sollte. Zu allgemein gehaltene Formulierungen hingegen lassen einen großen Spielraum zu und machen es unwahrscheinlich, dass der Wille des Patienten richtig interpretiert wird. Kurz gesagt: Eine schlecht gemachte Patientenverfügung kann dazu führen, dass ein Patient mehr oder sogar weniger lebenserhaltende Behandlungen erhält, als er es gewünscht hätte. Viele Patienten würden sich mit Fragen zur Patientenverfügung an ihren Hausarzt wenden, sagt Neumann – aus ihrer Sicht selten die richtige Adresse. Im Praxisalltag fehle die Zeit für eine ausführliche Beratung, es sein denn, jemand biete das Ganze als IGEL-Leistung an. Und es fehle den Ärzten auch die Zeit, um sich selbst ausführlich zu informieren. „Bei uns rufen immer wieder Mediziner an, die von ihren Patienten mit dem Erstellen einer Verfügung beauftragt wurden – sich aber selber nicht damit auskennen.‟ Viele böten dann Vordrucke der Ärztekammern an, die aber nicht alle auf dem aktuellen rechtlichen Stand seien. Noch weniger ratsam sei es, das Papier von einem Notar oder Anwalt aufsetzen zu lassen, dem es an medizinischem Fachwissen mangelt. „Wenn jemand zum Beispiel nicht zwischen verschiedenen Formen der Hirnschädigung unterscheiden kann, ist es ihm kaum möglich, eine qualifizierte Patientenverfügung zu erstellen.‟
Eine eindeutige Patientenverfügung müsse aufführen, in genau welchem Fall, welche Formen der Behandlung gewünscht sind – oder eben auch nicht. Die Bundeszentralstelle Patientenverfügung bietet Patienten eine standardisierte Version für 36 Euro an, und erstellt auch maßgeschneiderte Versionen, die zwischen 100 und 140 Euro kosten. Dafür muss man vorher einen ausführlichen Fragebogen beantworten, aus dem dann ein förmliches Dokument erstellt wird. Zusätzlich gibt es eine kostenlose Beratung – die Bundeszentralstelle arbeitet nicht gewinnorientiert. Das Ergebnis sei „wasserdicht‟ heißt es auf der Internetseite. Auch Neumann bestätigt: Aus 20 Jahren sei ihr kein gerichtlicher Streitfall bekannt, obwohl die Zentralstelle bis zu 600 Verfügungen pro Monat erstelle. Als rechtlich sicher gelten zudem Vorlagen des C.H.-Beck-Verlages. Auch Frank Lepold vom deutschen Patientenschutzbund sagt, es gebe eher selten Beschwerden, dass Verfügungen nicht eingehalten würden. Wie Neumann hat er den Eindruck, dass Ärzte in aller Regel bemüht sind, einer Patientenverfügung gemäß zu behandeln. Das sei zwar nicht von Beginn an so gewesen. Es habe aber ein Umdenken stattgefunden: „Zu Beginn des Jahrtausends war es noch schwer, den Ärzten beizubringen, dass man als Patient eigene Entscheidungsrechte hat. Heute ist das anders.‟ Patienten legt er ans Herz, einen kleinen Zettel mit einem Hinweis auf die Patientenverfügung bei sich zu tragen, wenn sie eine besitzen.
Wolfgang Putz © privat Aber wenn es nun an der Bereitschaft der Ärzte nicht mangelt – wie kann es trotzdem zu Streitfällen kommen? Was sollten Intensivmediziner wissen? Und welche Konsequenzen drohen dem, der eine Patientenverfügung missachtet? Wolfgang Putz ist einer der wenigen Anwälte, die sich auf das Thema Patientenverfügung spezialisiert haben. Die gesetzliche Grundlage hinter der Verfügung sei zunächst einmal die, die für jede Behandlung gilt: „Der Arzt hat kein originäres Recht zur Behandlung eines Patienten, es muss ihm von diesem erteilt werden. Ausgenommen sind akute Notfallsituationen, in denen keine Zeit für die Einholung der Patientenerlaubnis bleibt.‟ Für den Fall, dass ein Patient aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht mehr einwilligungsfähig ist, müsse der Arzt versuchen, sich über den mutmaßlichen Willen des Behandelten zu informieren – etwa indem er Angehörige befragt, ob eine Verfügung vorliegt. „Hier besteht eine Holschuld des Arztes und keine Bringschuld des Patienten‟, sagt Putz.
Der Wille des Patienten ist für den Arzt verbindlich. Und damit ist es auch die Patientenverfügung, es sei denn, der Patient hat später einen anderen Willen geäußert und Angehörige, Freunde oder Bekannte können dies glaubhaft und möglichst einhellig bezeugen. Das mündliche Wort des Patienten sei dem Schritlichen gleichgestellt, erklärt Putz. Eigene Wünsche der Angehörigen sind übrigens nicht relevant, sondern eben nur deren Kenntnis vom zuletzt geäußerten Wunsch des Patienten. Das gilt auch, beziehungsweise erst recht, wenn ein Angehöriger vom Patienten bevollmächtigt wurde – er ist dann verpflichtet, den Wunsch des Patienten gegenüber dem Arzt zu vertreten und durchzusetzen. Putz vertritt Angehörige von Patienten, bei denen Ärzte gegen die Patientenverfügung verstoßen haben. Häufig liege dann ein typisches Missverständnis zu Grunde. „Einige Ärzte glauben, ihre Verpflichtung das Leben zu erhalten wiege mehr als der erklärte Wille des Patienten. Das ist rechtlich und standesrechtlich aber falsch.‟ Zudem glaubten einige Mediziner, sie dürften etwa ein Beatmungsgerät nachträglich nicht mehr abschalten, wenn sie einen Patienten in einer Notsituation vor Kenntnis der Verfügung erst einmal daran angeschlossen haben. „Sie fürchten, das Abschalten des Beatmungsgeräts als aktive Handlung könne man ihnen als Tötungsdelikt anlasten. Auch das ist falsch, solange es dem Patientenwillen, mündlich oder schriftlich geäußert, entspricht‟, sagt Putz. Nach heutiger Rechtsprechung ist ein nachträgliches Abschalten dem gar nicht erst Anschließen gleichgestellt. Was sich auch mit einer Patientenverfügung nicht durchsetzen lässt, sei eine echte Tötung auf Verlangen, „aber das wissen die Ärzte natürlich auch‟, sagt Putz.
Rechtliche Konsequenzen drohten einem Arzt ansonsten nicht, wenn er eine Patientenverfügung befolgt, sondern wenn er ihr entgegen handelt. Er begeht dann mit einer nicht erwünschten Behandlung wie etwa dem Legen einer PEG-Sonde eine Körperverletzung. Angehörige oder überlebende Patienten können später Schmerzensgeld und Schadensersatz einklagen. Wenn ein Arzt hingegen lebenserhaltenden Maßnahmen früher unterlässt als es gewünscht war, droht tatsächlich eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung. „Das gilt dann, wenn ihm mangelnde Sorgfalt nachzuweisen ist, etwa weil er die Verfügung nicht richtig gelesen hat oder andere Hinweise auf den Patientenwillen ignoriert hat‟, sagt Putz. Das könne zum Beispiel die Aussage von Angehörigen sein, dass die Verfügung nicht mehr dem aktuellen Wunsch des Patienten entspreche.
Dennoch sei der Umgang mit einer Patientenverfügung relativ risikolos möglich: Liegt eine eindeutig Verfügung vor, müsse der Arzt danach handeln, ebenso, wenn später ein anderer Wunsch geäußert wurde und das jemand bezeugen kann. „Und bei Unklarheiten soll der Behandelnde die Entscheidung einfach an ein Gericht weitergeben – und bis zur Klärung den Patienten am Leben erhalten‟, sagt Putz. Dafür, dass sich Ärzte von der Patientenverfügung überfordert fühlen, hat der Rechtsanwalt kein Verständnis. Entscheidungen an denen ein Leben hängt, müssten diese schließlich täglich treffen. Und dass falsche Entscheidungen entsprechend schwerwiegende Folgen haben können, sei gewissermaßen ein bekanntes Berufsrisiko. „Nicht zuletzt ist das ja auch eine sehr beliebte Argumentation von Ärzten, wenn es darum geht, ihr hohes Gehalt zu rechtfertigen.‟ Die Gesetzeslage könne im Grunde so wie sie sei nicht verbessert werden. Wichtig sei, dass Menschen „vernünftige Verfügungen‟ machen, und Ärzte und Pflegekräfte geschult würden. Ohnehin seien aber Verstöße von Ärzten das kleinere Problem. Viel öfter führe Uneinigkeit unter Angehörigen über den Patientenwillen dazu, dass einer Verfügung nicht nachgekommen werde. „Der größte Feind der Patientenverfügung ist nicht der Arzt, es ist meist die Familie.‟ Die Bundeszentralstelle Patientenverfügung gibt zusammen mit dem Hospizdienst des Humanistischen Verbandes die Broschüre „Standard-Patientenverfügung auf neustem Stand“ mit Ausfüllhilfe und Gesundheitsvollmacht im DIN-A-4-Format heraus. Arzpraxen können hier kostenfrei bis zu drei Freiexemplare anfordern.