Wer dick ist, bekommt medizinische Probleme. Das ist gängige Lehrmeinung. Nur stimmt sie nicht zwangsläufig. Altersforscher finden zunehmend Hinweise darauf, dass es im dritten Lebensdrittel eher von Vorteil ist, dick zu sein. Wer dick ist, lebt länger.
Australien ist toll. Aber abgesehen von ewiger Weite und unendlichem Himmel gibt es „down under“ auch unheimlich viele dicke Menschen. In Statistiken der Weltgesundheitsorganisation nimmt Australien in der Rangliste der übergewichtigen Länder einen guten dritten Rang ein. Nur in den USA und in Großbritannien sind mehr Menschen übergewichtig. Kein Wunder also, dass sich australische Wissenschaftler über die gesundheitlichen Folgen des Übergewichts Sorgen machen.
Altersforscher äußern Zweifel am Übergewichtskonsensus
Je dicker, desto früher tot, lautet, etwas kurz gefasst, die gängige These zum Zusammenhang zwischen Übergewicht und Krankheitsrisiken. Tatsächlich beruht die WHO-Einteilung des Body Mass Index in die vier Kategorien „untergewichtig“, „normalgewichtig“, „übergewichtig“ und „fettleibig“ auf Studien zur Morbidität und Mortalität. Diese Studien allerdings hatten damals im Wesentlichen jüngere Menschen eingeschlossen. Die Frage also, ob Übergewicht und Fettleibigkeit auch im Alter problematisch sind, lässt sich mit den klassischen Daten nicht so ohne Weiteres beantworten. Für die Praxis ist das nicht ganz irrelevant: Soll man einem 75jährigen Übergewichtigen mit Hinweis auf die Gesundheit raten, Gewicht abzunehmen? Oder bringt das nichts? Ist es gar kontraproduktiv? Altersforscher um Professor Leon Flicker von der University of Western Australia haben sich dieses Themas jetzt etwas genauer angenommen. Sie berichten darüber in der Zeitschrift Journal of The American Geriatrics Society. Die Wissenschaftler haben sich für ihre Datenerhebung dabei angemessen viel Zeit genommen. Zehn Jahre lang haben sie mehr als 9200 Australier begleitet, die zu Beginn der Studie irgendwo zwischen 70 und 75 Jahre alt waren. Nach guter Epidemiologenmanier erfassten sie regelmäßig den Gesundheitsstatus, aber auch Lifestyle-Faktoren wie körperliche Bewegung. Das primäre Interesse galt der Fragestellung, ob die klassischen BMI-Kategorien der WHO auch bei Menschen im deutlich fortgeschrittenen Alter noch mit der Sterblichkeit korrelieren oder nicht.
Wer im Alter die Wahl hat, sollte lieber dick sein
Um es kurz zu machen: Sie tun es nicht. Angehörige der Altersgruppe zwischen 70 und 75 lebten dann am längsten, wenn sie zu Studienbeginn einen BMI von 26,6 kg/m2 (Männer) beziehungsweise 26,26 kg/m2 (Frauen) hatten. In der gängigen WHO-Klassifikation des BMI liegt das klar im übergewichtigen Bereich. Über die gesamte BMI-Kategorie hinweg gerechnet lag das Sterberisiko für übergewichtige Menschen (BMI 25-29,9 kg/m2) um 13 Prozent geringer als das Sterberisiko normalgewichtiger Menschen (BMI 18,5-24,9 kg/m2). Und das Risiko explizit fettleibiger Menschen war in etwa so hoch wie das Risiko normalgewichtiger Menschen dieser Altersklasse. „Diese Daten sind ein weiterer Beleg dafür, dass die WHO-Einteilung des BMI für Übergewicht und Fettleibigkeit im höheren Alter zu restriktiv ist“, betont Flicker. Aus seiner Sicht sei es an der Zeit, diese Einteilung zu überdenken.
Nun ist das mit der Korrelation von Sterblichkeit und BMI ja bekanntlich immer so eine Sache. Wer beispielsweise krankheitsbedingt abnimmt, hat einen niedrigeren BMI. Er stirbt aber nicht daran, sondern an seiner Erkrankung. Die australischen Wissenschaftler haben diese und andere Störgrößen allerdings einberechnet: Sie unterschieden in einer Zweitauswertung zwischen jenen Probanden, die zu Studienbeginn einigermaßen gesund waren und jenen, bei denen sterblichkeitsrelevante chronische Erkrankungen bereits vorlagen. Die Korrelation hielt dennoch: Sowohl in der „gesunden“ als auch in der „kranken“ Subgruppe schnitt die übergewichtige Kohorte in Sachen Gesamtüberleben am besten ab.
Bewegung schadet auch im Alter nichts
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass jene, die es schaffen, einigermaßen gesund 70 Jahre alt zu werden, in Bezug auf das Körperfett ein anderes Risikoprofil haben als jüngere Menschen.“ Komplett anders ist das Risikoprofil allerdings nicht: Ein bewegungsarmes Dasein („sedentary lifestyle“) korreliert auch im Alter zwischen 70 und 75 Jahren deutlich mit der Gesamtsterblichkeit. Vor allem bei Frauen ist das Sterberisiko dann doppelt so hoch. Bei Männern ist der Zusammenhang dagegen nicht ganz so eng. Das Risiko ist hier nur etwa ein Viertel höher.
Auch wenn die Wissenschaftler ihre Kritik an den BMI-Kategorien nur auf die Situation bei älteren Menschen beziehen, so stellen die australischen Daten doch weitergehende Fragen. Denn Menschen, die zwischen 70 und 75 Jahren übergewichtig sind, waren vorher in der Regel nicht normalgewichtig. Soll heißen: Es muss bereits im jüngeren Alter Unterschiede zwischen Übergewicht und Übergewicht geben. Interessant wäre in diesem Zusammenhang sicher der Taillenumfang als ein Marker für kardiovaskulär besonders problematisches Fett gewesen. Hierzu findet sich allerdings keine Angabe.