Für Apotheken avancieren indische Wirkstoffe und Heilmittel seit Jahren zum wichtigen Wachstumsfaktor. Ein Blick in das seit 1939 bestehende Fachblatt "Indian Journal of Pharmaceutical Sciences" belegt: Die "Bollywood-Medizin" hat ihre Daseinsberechtigung - und wirkt mitunter besser, als die Tabletten der heimischen Anbieter.
Indische Flohsamen der Pflanze Plantago ovata zählen seit jeher zu den gängigen Abführmitteln im deutschen Apothekenmarkt. Doch erst vor wenigen Monaten lieferten Wissenschaftler an der Universität Utrecht im Fachblatt British Medical Journal (BMJ) den gesicherten Beleg, auf welche Weise die im Flohsamen enthaltenen löslichen Pflanzenfasern bei Menschen mit Reizdarmsyndrom wirken. Immerhin 275 Patienten mit Reizdarmsyndrom mussten zwei Mal täglich entweder 10 Gramm Kleie, Reismehl oder Flohsamen als Therapeutikum einnehmen – nur 12 Wochen nach Beginn der Indien-Therapie gingen in der Flohsamen-Fraktion die Beschwerden um 90 Prozent zurück.
Studien wie diese erweisen sich für Apotheken als wichtige Vermarktungstools. Während die ohnehin auf Heilpflanzen fokussierte Klientel seit Jahren weiß, warum sie mental den Sprung nach Indien wagt und indische Präparate bestellt, nähern Untersuchungen á la BMJ auch rein schulmedizinisch geprägte Kunden an die Wirkstoffe aus fernen Landen.
Dass abseits des traditionell europäischen Arzneimittelspektrums das indische Sortiment lauert, belegt eine Studie in der aktuellen Ausgabe des IJPS. Darin berichten Mediziner über die Vorzüge eines Extrakts aus Blättern von Melastoma malabathricum (Melastomataceae), einer an sich in Malaysia eingesetzten Heilpflanze. Der spezielle Sud, erfahren die Leser des indischen Traditionsjournals, vermag Bakterien wirksam zu bekämpfen – auf natürliche Weise. Und die Pflanze scheint weitere Indikationsgebiete abzudecken, wie das African Journal of Infectious Diseases (AJID) bereits 2008 erkennen ließ. Darin schilderten Ärzte, wie ein mit Methanol gewonnenes Extrakt der Pflanze selbst die tödlichen Bazillen S. aureus und P. aeruginosa in Schach hielt.
Ayurveda: Blockbuster mit Pharmasegen
Was Supermärkte und Drogerien lapidar als Ayurveda-Mittelchen verkaufen, dürfen Apotheken guten Gewissens als High-Drugs präsentieren, wie ein weiteres Beispiel belegt. Zu den Rennern der Insiderszene innerhalb der Apothekenbranche zählt im Rahmen von Ayurveda ein indisches Weihrauchpräparat, das aus Boswellia Serrata gewonnen wird. Die darin enthaltenen Boswelliasäuren des indischen Weihrauchbaums wirken bei entzündlichen Darmerkrankungen, wie eine Studie der Universität Heidelberg ergab. Auch lieferten Mediziner Hinweise auf die Wirksamkeit bei Gelenkentzündungen. Dass Phytopharmaka, zu denen indische Blockbuster wie Sallaki zählen, schon lange zum ernstzunehmenden Tool der Pharmazie gehören, demonstrierte die gemeinsame Tagung der Deutschen Gesellschaft für klinische Pharmakologie und Therapie, der Gesellschaft für Phytotherapie und der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung vor genau sechs Jahren.
92 Seiten machten die Abstracts der Fachleute aus, der Tenor war damals einhellig: Phyto wirkt. Wer als Apotheker Wirkstoffe aus diesem Kompendium anbietet, hat im Vergleich zu Supermärkten und anderen pharmakologischen Verkaufslaien die richtigen Argumente für seine Kunden parat. Vorausgesetzt, er nimmt sich die Zeit für eine Beratung. Hinzu kommt eine weitere Vormachtstellung der Apothekerinnen und Apotheker: Ohne sie gelangen die Kunden bei vielen Präparaten nicht an die begehrte Substanz. So sind indische Weihrauch-Präparate in Deutschland nicht zugelassen, doch Apotheker dürfen auf Importe mit ärztlicher Verordnung als Privatrezept zugreifen, um ihre Kunden zu bedienen. Der Umweg ist legal, weil die Präparate in Indien zugelassen sind. Bei Aldi, Lidl oder Schlecker gibt es diese Option nicht.
Indien als Alltags-Test
Menschen hierzulande für Indien als Pharmafaktor zu sensibilisieren scheint ohnehin angebracht. Längst etablierte sich das Land am Ganges zum Pharmadatenlieferant aus der Praxis: Auch in den USA und Europa entwickelte und zugelassene Medikamente bestehen erst durch die Anwendung im 1,2-Milliarden-Menschen Land die eigentliche Feuerprobe. Denn Erfolge sind sichtbar, oder sie bleiben ganz aus.
Beispiel Diabetes. Seit 2006 sind Gliptine im Kampf gegen Diabetes auf den globalen Markt, doch hierzulande werden die DPP-4 (Dipeptidyl-Peptidase-4 ) Hemmer nach wie vor kritisch beäugt. Keine Langzeitdaten, keine Vergleichsstudien, kaum verlässliche Angaben über Wirkung und Risiken jener Pillen, die blutzuckerabhängig die körpereigene Produktion von Insulin anregen und daher Patienten mit Diabetes Typ-2 zu Gute kämen. Ein Blick in das indische IJPS indes belehrt selbst hartgesottene Kritiker eines Besseren. Das Mittel, konstatieren die Autoren, sei "geeignet für die Mono- und Kombinationstherapie bei Patienten mit Diabetes Typ-2". Die Mediziner am Department of Endocrinology, Diabetes and Metabolism an der Sri Ramachandra University Porur, Chennai legen nach – und empfehlen die Wirkstoffe für Typ-2 Diabetiker in Indien. Wer als Apotheker auf solche Informationen zugreift, um seine Kunden im Alltag zu beraten, darf es guten Gewissens tun: Ein Interessenkonflikt zwischen Pharmaindustrie und den Studienautoren besteht nicht.