In Dülmen werden über die dortige Bedürftigen-Tafel in Kooperation mit Apotheken seit Kurzem auch OTC-Arzneimittel ausgegeben. In einer aktuellen Auswertung der ersten drei Monate bekommt das Projekt gute Noten. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
Die Bedürftigen-Tafeln in Deutschland gelten als eine der großen Erfolgsgeschichten des gemeindenahen sozialen Engagements. Nachdem im Jahr 1993 in Berlin die erste Tafel initiiert wurde, wurden deutschlandweit in rund 860 Kommunen ähnliche Projekte aufgelegt.
Gegen Nachweis der Bedürftigkeit gibt es OTC-Präparate für die Hälfte
Das Prinzip ist immer ähnlich: Ehrenamtliche Mitarbeiter der Tafel sammeln Nahrungsmittel ein und verteilen sie dann portioniert an Bedürftige. Nach Angaben des Bundesverbands Deutsche Tafel e.V. werden so regelmäßig rund eine Million Menschen erreicht. Schon vor einiger Zeit hatte die Schwäbische Tafel in Stuttgart damit begonnen, außer Lebensmitteln auch OTC-Medikamente über die Tafel an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Dülmener Tafel zog Ende 2009 nach und hat jetzt, nach einem Quartal, eine erste Zwischenbilanz gezogen. „Unsere Erwartungen haben sich mehr als erfüllt“, betonte Yvonne Redmann, Sprecherin der Dülmener Tafel. „Das Angebot ist hervorragend angenommen worden.“ Das Prinzip der Medikamentenausgabe über die Tafel weicht von dem der Nahrungsmittelausgabe ab. Wer über die Tafel OTC-Medikamente beziehen möchte, geht zunächst zum Arzt, um sich dort ein Grünes Rezept ausstellen zu lassen. Statt wie sonst damit in die Apotheke zu gehen und das Medikament käuflich zu erwerben, geht der Bedürftige mit dem Rezept zur Tafel. Die Mitarbeiter überprüfen die Bedürftigkeit anhand des Berechtigungsausweises der Tafel und stempeln das Grüne Rezept ab. Gegen Vorlage dieses abgestempelten Rezepts erhalten die Betreffenden dann in den zehn Apotheken in Dülmen die verordneten Präparate zum halben Preis. Die andere Hälfte bezahlt die Schirmherrin der Dülmener Tafel, die Herzogin von Croy.
Sponsoren gesucht!
In diesem Punkt unterscheiden sich das Dülmener Modell und die Schwäbische Tafel geringfügig. In Stuttgart erhalten Bedürftige einen Rabatt in Höhe von 25 Prozent auf einen Katalog von rund zwanzig Wirkstoffen. Kooperationspartner dort ist der Pharmagroßhändler Gehe, die deutsche Tochter der Celesio AG. Die Auswertung des ersten Projektquartals in Dülmen zeigt nun, dass das Angebot von den Bedürftigen angenommen wird. Viele Menschen, die die vom Arzt verordneten OTC-Präparate aus Kostengründen gar nicht erst abholten, würden so doch zu ihren Arzneimitteln kommen. Etwas mehr als einhundert Rezepte wurden nach Angaben von Yvonne Redmann in den ersten drei Monaten von den Mitarbeitern der Tafel abgestempelt und dann auch fast durchweg in der Apotheke eingelöst. In Anbetracht der Tatsache, dass die Dülmener Tafel keine riesengroße Tafel ist, kann das als ordentliches Ergebnis verbucht werden. Mit Lebensmitteln versorgt die Tafel nach eigenen Angaben etwa 300 Familien. Ob sich weitere Tafeln in Deutschland dem Dülmener Modell anschließen werden, bleibt abzuwarten. Denn jede Tafel ist eine selbständige Einheit. Der Zusammenschluss über den Bundesverband ist nur sehr lose. Im März möchte Redmann bei einem überregionalen Treffen der Tafeln über das Dülmener Projekt berichten. Klar ist: Solange pharmazeutische Unternehmen keine „Bedürftigen-Rabatte“ auf OTC-Präparate einräumen, werden Medikamententafeln nur funktionieren, wenn sich ein Sponsor findet.
„Eine Schande für das Land“
Erste politische Reaktionen auf die Dülmener Medikamenten-Tafel ließen nicht lange auf sich warten. „Ich schätze das soziale Engagement sehr, das dieses Angebot möglich macht. Es ist aber eine Schande, dass so etwas in diesem Land nötig ist“, polterte die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, Kathrin Vogler (Die Linke), im Rahmen der Haushaltdebatte im Deutschen Bundestag am 21. Januar. An die Adresse des neuen Gesundheitsministers Philipp Rösler gerichtet stellte Vogler die Frage, ob dessen Pläne eines Sozialausgleichs aus Steuermitteln nicht Versicherte millionenfach zu Bittstellern beim Staate werden ließen: „Nach der Medikamenten-Tafel kommt dann also demnächst die Krankenkassen-Tafel“, so Vogler in einem allerdings etwas schrägen Vergleich.