Patienten-Sicherheit hat oberste Priorität – vor allem im OP. Zur Optimierung der chirurgischen Qualität wurden einige Neuerungen etabliert. Dazu gehören Checklisten, intraoperatives Controlling und Fast-Track-Chirurgie. Vieles macht sich schon bezahlt.
Dieses positive Fazit konnte vor kurzem auf der 18. Jahrestagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung und Patientensicherheit (CAQS) in Hamburg gezogen werden. Im Fokus standen dabei die Erfahrungen des letzten Jahres, nach Einführung der Sicherheits-Checkliste für chirurgische Eingriffe von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie wurde entsprechend den Kriterien für Pilotenchecklisten im Flugverkehr entwickelt und 2008 vorgestellt. Ziel der WHO-Checkliste ist es laut Prof. Dr. Claus-Dieter Heidecke, Vorsitzender der CAQS und Chefarzt der Abteilung für Chirurgie, Universität Greifswald, "Mechanismen zur Senkung der Komplikationsrate sowie der peri- und postoperativen Mortalität zu etablieren".
Dass dies gelingen kann, belegen die Daten aus einer internationalen Studie: Durch die Einführung der WHO-Checkliste wurde die Mortalitäts- und Infektionsrate sowie die Zahl der Re-Operationen signifikant um ein Drittel reduziert. Das ergaben Tests an acht Kliniken weltweit.
Chirurgen lernen von Piloten
Die OP-Checkliste der WHO umfasst insgesamt 19 Punkte. Anhand derer wird in drei Schritten – erst vor Einleitung der Narkose, dann vor dem ersten Schnitt und schließlich bevor der Patient den Operationssaal verlässt – stichpunktartig alles überprüft, was den Patienten gefährden könnte. "Wie vor dem Start eines Flugzeuges", so Prof. Heidecke. Die Chirurgie lernt aus der Luftfahrt: "Die Checkliste hat sich als sinnvolles Instrument zur Sicherstellung der ärztlichen Sorgfalt und damit zur verbesserten chirurgischen Versorgung unserer Patienten erwiesen".
Um das Risiko- und Qualitätsmanagement weiter zu optimieren, wurde das WHO-Orginal von Chirurgen des Universitätsklinikums Greifswald auf Grund von Empfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. um präoperative Maßnahmen erweitert. Denn aus Sicht von Prof. Heidecke ist es "essenziell, dass der verantwortliche Operateur den Patienten vor dem Eingriff nochmals selbst sieht und die Indikation zur Operation überprüft". Bei dieser Gelegenheit wird auch bereits die geplante Schnittführung auf dem Körper des Patienten markiert. Das eröffnet diesem die Möglichkeit, noch einmal Fragen zum Eingriff zu stellen. Zudem lassen sich damit Seitenverwechslungen vermeiden. Mit zu den Greifswalder Neuerungen gehört das Angebot, die Angehörigen nach dem Eingriff telefonisch über den Befund und den Verlauf zu informieren. Was bei Patienten wie Angehörigen großen Anklang findet und nach den Worten von Prof. Heidecke "Patientenzufriedenheit sowie -vertrauen immens fördert". Seit einem Jahr ist die erweiterte Checkliste nunmehr in Gebrauch und die Resultate von Februar letzten Jahres sind bis heute durchweg vorteilhaft. Der Check-up ist nach den Erfahrungen der Greifswalder Chirurgen schnell und praktikabel, verbessert Kommunikation und Zusammenarbeit im OP-Team, und ist entsprechend allen operativ-tätigen Abteilungen in Kliniken zu empfehlen. Die Träger vieler Kliniken zeigen bereits großes Interesse daran – "angesichts der deutlich verbesserten Patientensicherheit auch im Hinblick auf Haftpflichtaspekte", so Prof. Heidecke.
Aus der Luftfahrt stammt auch eine weitere Innovation in der Chirurgie: Das so genannte intraoperative Controlling (IOC), das nach den Worten von Prof. Dr. Wolfgang Schwenk, Chefarzt der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Asklepios Klinik Hamburg-Altona, auf dem bekannten "Vier-Augen-Prinzip" basiert. Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei, und deshalb zieht der verantwortliche Operateur zu vorgegebenen Zeitpunkten oder bei kritischen Entscheidungen einen anderen Chirurg hinzu, der bislang nicht an dem Eingriff beteiligt war. Das IOC, in der Altonaer Asklepios Klinik bereits eingeführt, ist "eine einfache Maßnahme der externen Sicherung, welche die Patientensicherheit deutlich erhöht", so Prof. Schwenk.
Chirurgie auf der Überholspur
Einen entscheidenden Einfluss auf Komplikationsquote und Genesungsverlauf hat laut Prof. Schwenk auch die perioperative Behandlung. Diese ist allerdings "leider traditionell orientiert und nicht an Ergebnissen aus wissenschaftlichen Studien". Was nach seiner Aussage dazu führt, dass beispielsweise bei Dickdarmoperationen bei 25 bis 35 Prozent der Patienten Komplikationen auftreten. Darüber hinaus verläuft unter der "traditionellen" perioperativen Therapie die Genesung so verzögert, dass die Patienten erst nach zehn bis 14 Tagen entlassen werden können. Wesentliche Verbesserungen bringt demgegenüber die so genannte Fast-Track-Chirurgie. In ihr sind sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse zur perioperativen Behandlung zu einem klinischen Gesamtkonzept vereint worden. Dank dieser Chirurgie auf der Überholspur reduzieren sich die Schmerzen bei unveränderter Operationstechnik erheblich, der Patient kann bereits am Tag des Eingriffs wieder essen, hat nach drei Tagen wieder Stuhlgang und kann bei Wohlbefinden nach fünf bis sechs Tagen entlassen werden. Zudem sinkt die Komplikationsrate auf unter zehn Prozent. "Bei deutschlandweit rund 70.000 Kolonresektionen jährlich könnten durch die flächendeckende Einführung der Fast-Track-Rehabilitation pro Jahr 10.000 bis 15.000 Komplikationen vermieden werden", so Prof. Schwenk. Darüber hinaus ließen sich bei Kolonpatienten jährlich zwischen 350.000 und 500.000 stationäre Behandlungstage einsparen. Beachtliche Zahlen, die auf alle anderen operativen Eingriffe zu übertragen sind und überzeugende Argumente für die "Schnellspur-Chirurgie" liefern. Diese ist für den Patienten laut Prof. Schwenk "nicht nur der schnellste, sondern auch der sicherste Weg vom Operationstisch nach Hause".
Risikofaktor hoher Arbeitsdruck
Kliniken sind heute nach Ansicht von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Landesärztekammer Hamburg und Vizepräsident der Bundesärztekammer "Hochleistungsbetriebe". Die erhebliche Arbeitsverdichtung gefährde allerdings die Patientensicherheit. "Mit dem Druck auf die Operateure steigt auch das Risiko chirurgischer Eingriffe", so Prof. Montgomery. Auch vor diesem Hintergrund sind geregelte und geringere Arbeitszeiten in der Chirurgie dringend erforderlich. Kein Arzt verlange laut Prof. Montgomery einen "Dienst von neun bis fünf". Doch mit besseren Arbeitsbedingungen wird "die Qualität der Versorgung und damit die Sicherheit der Patienten gesteigert".
Als Risikofaktor im Operationssaal wertet die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) auch die Information von Angehörigen der Patienten während eines Eingriffs via Twitter. Prof. Dr. Hartwig Bauer, Generalsekretär der DGCH, warnt davor, dass dieser neue Trend aus den USA zu uns überschwappt. Die zeitnahe Information, auch unter Nutzung neuer Medien, sei zwar zu befürworten. "Doch während der Operation muss sich die Konzentration ausschließlich auf den Patienten richten". Das fortwährend Kurzkommentare über den Verlauf aus dem OP getwittert werden, könnte die Sicherheit des Patienten gefährden – die jedoch hat "oberste Priorität", so Prof. Bauer.