Seit den spektakulären Fällen der 90er wurde es still um Rinderwahn und Co. Doch die Forschung hat zahlreiche neue Erkenntnisse zu Prionenerkrankungen gewonnen und versucht, Strukturen für Therapien zu identifizieren.
Bereits 1985 beobachteten Wissenschaftler in Großbritannien ängstliche und aggressive Kühe, die Bewegungsstörungen zeigten, unbeholfen torkelten und schließlich zusammenbrachen. Bald darauf beschrieben Gerald Wells und John Wilesmith die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) aufgrund der schwammartigen Gehirnschädigung des Rindes als eigenständige Krankheit – die Prionenforschung begann.
Die Prionen-Hypothese, Skepsis und ein Nobelpreis
Stanley Ben Prusiner, ein US-amerikanischer Arzt, postulierte bereits 1982 Prionen, also nukleinsäurefreie, infektiöse Proteine, als Auslöser zahlreicher Erkrankungen wie der Scrapie, BSE, der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Kuru, der tödlichen familiären Schlaflosigkeit sowie des Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndroms. Die Fachwelt hüllte sich anfangs in Skepsis – es erschien schwer vorstellbar, dass ausschließlich ein Eiweiß für diese Leiden verantwortlich ist. Heute gilt die Prionenhypothese als relativ sicher; weitere Einflussfaktoren können aber nicht ausgeschlossen werden. Prusiner wurde für seine Leistungen 1997 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt.
Spirale oder Faltblatt
Das Prion-ProteinC (PrPC, „cellular“) kommt im gesunden menschlichen Gehirn und Rückenmark in Form von spiralförmigen Alpha-Helices vor. Hingegen zeichnet sich die pathogene, infektiöse Modifikation (PrPSC, „Scrapie“) durch eine fehlerhafte Faltung mit Bändern, den Beta-Faltblättern, aus. Gelangt PrPSC in den Körper, so ändert körpereigenes PrPC seine Raumstruktur; neues PrPSC entsteht, das wiederum die Umwandlung von PrPC beschleunigt. Aufgrund der schlechteren Löslichkeit von PrPSC lagert sich das Protein ab – die betroffenen Zellen gehen zu Grunde, das Gehirn degeneriert unter Bildung schwammartiger Strukturen. Entsprechende Krankheitsbilder sind Kuru, die iatrogene Form der Creutzfeld-Jacob-Erkrankung (iCJD) bzw. BSE oder Scrapie. Transgene Neuronen, die kein PrPC bilden, lassen sich folglich auch nicht mit PrPSC infizieren. Bei der klassischen Form der Creutzfeld-Jacob-Erkrankung (sCJD) entsteht durch die zufällige Raumänderung aus PrPC die infektiöse Variante PrPSC. Als Auslöser für die familiäre Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (fCJD), das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die tödliche familiäre Schlaflosigkeit gelten genetische Faktoren.
Ein zellulärer Kommunikator
Doch welche Funktion hat das physiologische Prion-Protein im Körper? Eine Forschergruppe der Universität Konstanz ist dem Geheimnis einen Schritt näher gekommen: Das Eiweiß unterstützt bei der Embryonalentwicklung die Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen. Embryonen des Zebrafischs konnten sich nicht richtig entwickeln, falls das entsprechende Gen, das für PrPC codiert, ausgeschaltet wurde. „So konnten wir nachweisen, dass PrP als eine Art Klebstoff fungiert, der an der Ausbildung und am Erhalt von Zell-Zell-Kontakten beteiligt ist“, betont Dr. Gonzalo Solis vom Konstanzer Forscherteam. Ohne die Hilfe des PrPC erreichen nämlich einige Proteine nicht ihren zellulären Einsatzort.
Gestörter Transport
Ein weiteres Puzzleteil im komplexen Mechanismus der Prionenerkrankungen entschlüsselten Forscher des Rudolf-Virchow-Zentrums sowie des Instituts für Virologie der Universität Würzburg: Die Gruppe um Dr. Vladimir Ermolayev spritze in erkrankte Nervenzellen einen Testfarbstoff, der an Transporter bindet. Im funktionsfähigen Zustand befördern diese Vehikel verschiedene Proteine aus der Synapse in den Zellkörper. Nach Ausbruch der Symptome einer Prionenerkrankung waren mehr als 45 Prozent der Zellen dazu nicht mehr in der Lage. Bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer sind entsprechende Prozesse schon länger bekannt. „Die Ergebnisse sind vor allem für die Diagnose von Prionerkrankungen sehr hilfreich, denn bisher können wir erst dann eine Erkrankung erkennen, wenn es schon zu spät ist", so Dr. Vladimir Ermolayev.
Alles beginnt mit einer Oxidation
Doch wie kann sich, etwa bei der klassischen Form der Creutzfeld-Jacob-Erkrankung, die Struktur des PrPSC spontan ändern? Dieser Frage sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biochemie und der Ludwig-Maximilians-Universität München nachgegangen. Eine zentrale Rolle spielt die Aminosäure Methionin, ein Bestandteil der Sequenz von PrPC. Methionin lässt sich durch reaktive Sauerstoffspezies leicht oxidieren. Normalerweise sind nur Moleküle auf der Oberfläche des PrPC betroffen. Diese werden durch die Methionin-Sulfoxidreduktase wieder reduziert. PrPC schützt damit vor reaktiven Spezies wie Wasserstoffperoxid oder freien Radikalen. Ist eine Zelle hohem oxidativem Stress ausgesetzt oder funktioniert das Reparatursystem – etwa im Alter – nicht mehr richtig, werden auch Methionine im Inneren von PrPC in Mitleidenschaft gezogen. Das hat fatale Folgen: Während Methionin die Helix-Strukturen stabilisiert, unterstützt die oxidierte Form die Bildung von Faltblättern und damit die Umwandlung zu PrPSC. „Zwar werden auch andere Mechanismen für den Umbau in die bösartige Variante diskutiert“, erklärt Nediljko Budisa, Leiter der Forschergruppe „Molekulare Biochemie“ am Max-Planck-Institut für Biochemie. „Unserer Ansicht nach spielt aber die Oxidation der Aminosäure Methionin im Inneren des Prionproteins eine entscheidende Rolle.“
Eine Mutation mit Folgen
Für die familiäre Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (fCJD), das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die tödliche familiäre Schlaflosigkeit wurden genetische Veränderungen als Auslöser postuliert. Diese Hypothese konnte ein Wissenschaftlerteam der Universität Zürich untermauern. Sie führten zwei Punktmutationen in das Prion-Gen der Maus ein. Der entsprechende Austausch von Aminosäuren hatte eine Versteifung der Proteinstruktur zur Folge. In der Tat entwickelten die transgenen Tiere sowohl Ablagerungen im Gehirn als auch Symptome der Prionenkrankheiten. Prof. Dr. Adriano Aguzzi vom Institut für Neuropathologie: „Die Resultate bestätigen die Hypothese, dass Prionen ausschließlich aus Eiweißen bestehen und legen nahe, dass das mutierte Protein ausreicht, um eine Infektionskrankheit auszulösen“.
Stolperstein Stoffwechsel
Bei der iatrogenen Form der Creutzfeld-Jacob-Erkrankung bzw. bei BSE oder Scrapie hat die Infektion mit dem Protein PrPC fatale Konsequenzen für den zellulären Stoffwechsel. Forscher um Christian Bach von der Technischen Universität München konnten nachweisen, dass sich in betroffenen Zellen die Aktivität von über 100 Genen verändert. „Mehrere Enzyme der Cholesterinbiosynthese sind betroffen", erklärt Bach. Da auch Kontrollmechanismen in Mitleidenschaft gezogen werden, steigt der Cholesteringehalt stark an. „Bemerkenswert ist, dass nur Nervenzellen so reagieren“, so Prof. Dr. Hermann Schätzl vom Institut für Virologie am Klinikum rechts der Isar. „Zellen des Stützgerüstes hingegen erhöhen ihre Cholesterinproduktion nicht". Möglich ist, dass die erhöhte Cholesterinbiosynthese mit zum Untergang von Neuronen beiträgt.
Es gibt viel zu tun
Neue Forschungsprojekte nehmen vor allem die Übertragungswege von Prionenerkrankungen unter die Lupe: Erfolgt die Ansteckung möglicherweise durch Prion-assoziierte Proteine und nicht durch das eigentliche Prion-Protein PrPSC? Ausgebaut werden soll auch die Routinediagnostik der Erkrankung. Vom weiteren Verständnis der Mechanismen, die in betroffenen Zellen ablaufen, erhoffen sich Forscher Zielstrukturen für die Therapie – zahlreiche erfolgversprechende Ansätze existieren bereits.