Bei Depressionen sind Psychopharmaka schnell verschrieben. Der Trend geht zur psychotropen Polypharmakotherapie. Die Wirksamkeit von Antidepressiva allerdings ist in vielen Fällen kaum besser als Placebo.
Der Diagnose einer Depression folgt nicht selten eine antidepressive Medikation. In den meisten Fällen handelt es sich um leichte bis moderate Erkrankungen, bei denen Pillen jedoch nicht helfen, ergab eine Metaanalyse von Jay Fournier der Universität von Pennsylvania in Philadelphia und Mitarbeitern.
Sie hatten die Ergebnisse von sechs Studien zusammengefasst und die Wirksamkeit des Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Paroxetin und trizyklischen Antidepressivums Imipramin mit Placebo verglichen. Ihr Fazit: Nur bei sehr schweren Symptomen, gemessen anhand der Hamilton Rating Scale of Depression (HDRS), ist ein substanzieller Nutzen nachweisbar. Diese Patienten erreichen einen HDRS-Wert von 25. Bei Patienten mit Basiswerten unter 23 ließ sich allerdings kaum ein Unterschied zwischen der Therapie mit einem Antidepressivum und Placebo ausmachen.
Warum Antidepressiva nicht wirken
„Die Annahme einer Wirksamkeit von Antidepressiva geht auf Untersuchungen zurück, die lediglich Patienten mit schwereren Depressionen berücksichtigten“, so Fournier. Dass diese Tatsache im Marketing von Produkten unerwähnt bleibt, sollte weder Ärzte noch Patienten überraschen.
Der biologischen Ursache eines ausbleibenden Ansprechens auf SSRI sind US-Forscher der Columbia Universität in New York auf der Spur. Verantwortlich ist eine hohe Anzahl von Autorezeptoren auf serotinergen Nervenzellen der Raphe-Kerne, so die Forscher in der Fachzeitschrift Neuron. Bei zu vielen Serotoninrezeptoren des Typs 1A der Raphe-Neurone kommt es zu einem negativen Feedback, in dessen Folge weiniger Serotonin produziert wird.
Die Forscher erschufen Mäuse mit einer höheren und niedrigen Dichte an Autorezeptoren auf serotinergen Zellen der Raphe-Kerne. Die Mäuse erhielten Nahrung in einer hellen Umgebung, was bei den Tieren Angst auslöst. Antidepressiva sollten dem entgegenwirken. Doch verfehlten die Medikamente bei Tieren mit einem Überschuss an Autorezeptoren ihre Wirkung. „Je mehr Antidepressiva verabreicht werden, um die Serotoninmenge zu erhöhen, desto weniger Serotonin produzieren die Nervenzellen“, so der Pharmakologe Rene Hen. Eine Reduktion dieser Autorezeptoren etwa über eine Blockade könnte zukünftig die Ansprechrate auf SSRI verbessern.
Viele Pillen bedeuten nicht unbedingt mehr Wirkung
Ob solche Befunde die Verschreibungspraxis von Morgen beeinflussen, darf bezweifelt werden. Denn der Trend geht zur Polypharmakotherapie psychischer Erkrankungen. Immer mehr Patienten erhalten Kombinationstherapien aus Antidepressiva und Antipsychotika, ergaben Daten zum Verschreibungsmuster von US-Psychiatern. Gerade wenn ein Antidepressivum nicht wirkt, kommt häufig ein zweites dazu, auch wenn Wirksamkeitsbelege fehlen.
Zwischen 1996/97 und 2005/6 stieg der Anteil von Arztbesuchen, bei denen zwei oder mehr Medikamente verschrieben wurden von 42,6 Prozent auf 59,8 Prozent. Das Verschreiben von drei oder mehr Medikamenten schoss von 16,6 auf 33,2 Prozent in die Höhe. Durchschnittlich erhielten Patienten nicht wie früher ein Medikament, sondern gleich zwei, was einer Steigerung von 40 Prozent entspricht. Häufigste Kombinationen waren Antidepressiva und Sedativa/Hypnotika mit 23,1 Prozent, gefolgt von Kombinationen aus Antidepressiva und Antipsychotika mit 12,9 Prozent und Kombinationen aus zwei Antidepressiva mit 12,6 Prozent.
Dynamische Psychotherapie vergleichsweise hocheffektiv
Die Evidenz des zusätzlichen Nutzens einer Polytherapie mit psychotropen Substanzen ist begrenzt, so die Autoren des Berichts. Zudem nehmen Nebenwirkungen unter Mehrfachtherapien zu und sind nicht nur auf z. T. ganz erhebliche Gewichtszunahmen begrenzt, sondern beeinflussen den Stoffwechsel nachhaltig.
Wer bei leichteren bis mäßigen depressiven Erkrankungen keine Pillen schlucken will, ist möglicherweise mit anderen Therapien besser beraten. Nicht so bequem, aber nachhaltig gut wirksam etwa hat sich unlängst die psychodynamische Therapie erwiesen. Jonathan Shedler der University of Colorado Denver School of Medicine hat acht Metaanalysen mit 160 Studien zur psychodynamischen Therapie und neun Metaanalysen zu anderen psychologischen Therapieformen und der Antidepressivatherapie bei mentalen Erkrankungen überprüft.
Mit einer Effektgröße von 0,97 in einer großen Metaanalyse mit über 1.400 Patienten bescheinigt Shedler der psychodynamischen Therapie eine sehr gute Wirksamkeit bei Depressionen, Angst-, Panikstörungen und stressbezogenen körperlichen Beschwerden. Acht Monate nach Beendigung der Therapie war die Wirksamkeit der Behandlung sogar noch um 50 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Effektgrößen für die am häufigsten bei depressiven Erkrankungen angewendeten Antidepressiva betrugen lediglich 0,31.