Apotheker wettern gegen Rabattverträge, Ärzte ebenso, und auch die Industrie und Transparency Deutschland sind wenig erfreut. Ein alte, aber gewichtige These: Präparatewechsel schaden der Therapiequalität. Eine Studie liefere neue Argumente - sagen die Kritiker.
Seit die rund 160 Deutschen Krankenkassen mit Pharmafirmen Rabattverträge abgeschlossen haben, klagen Apotheker nicht anders wie Ärzte über immer mehr Bürokratie und Mehrkosten. Für die Apotheker und Ärzte sind die Rabattverträge aber nicht nur Ursache von mehr Bürokratie und Kosten. Ebenso wie die Mediziner und die pharmazeutische Industrie verweisen auch die Apotheker auf angebliche medizinische Probleme der Rabattverträge. Ein weiteres Problem sieht Transparency Deutschland - und zwar die Gefahr der Korrumpierung, insbesondere durch die Arzneimittelhersteller. Rabattverträge gefährdeten die Therapiequalität, meldete erst vor Kurzem der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). Der Industrieverband hatte vom Marktforschungsunternehmen IMS Health eine Studie zu den medizinischen Folgen der Rabattverträge anfertigen lassen. Das Ergebnis ist wahrscheinlich keine große Überraschung: Der Untersuchung zufolge beeinträchtige ein Medikamentenwechsel in Folge eines Rabattvertrags nicht nur die Compliance. Der Präparatewechsel könne auch mit einer verminderten Wirksamkeit der Arzneimittel einhergehen.
Berechtigte medizinische Bedenken
Das Marktforschungsunternehmen hatte Lipidsenker, Antidepressiva und Insuline untersucht. Nach Ansicht des Industrieverbandes lassen die Ergebnisse „darauf schließen, dass die Rabattverträge nicht nur – wie bereits belegt und durch das Bundeskartellamt bestätigt - aus ökonomischer Sicht, sondern auch aus medizinischer Sicht bedenkliche Nebenwirkungen haben“. Denn viele Patienten erhielten schon kurz nach der Umstellung wieder das ursprüngliche Präparat. Außerdem stellten die Marktforscher fest, dass sich nach der Umstellung auf eine Rabatt-Arzneimittel der Abstand bis zur Einreichung eines Folgerezepts verlängerte – teilweise um bis zu drei Wochen. Fast die Hälfte der depressiven Patienten erhielt innerhalb des Jahres nach dem Produktwechsel keine Folgeverordnung der gleichen Substanz mehr. „Wir werten das als Indiz dafür, dass die Patienten ihre Medikamente nach einer Umstellung nicht mehr so regelmäßig einnehmen oder sogar die Therapie abbrechen“, so BAH-Referentin Cosima Kötting. Das seien „alarmierende Ergebnisse“, so der Industrieverband.
Kostensenkung zu Lasten der Patienten?
Auch auf die Wirksamkeit könne der Produktwechsel sich auswirken: Nach der Umstellung wurde der Cholesterinspiegel unter rabattiertem Lipidsenker weniger stark gesenkt als unter dem ursprünglichen Präparat. Und bei den Diabetikern, die auf das rabattierte Insulin umgestellt wurden, stieg der Nüchtern-Blutzucker bereits innerhalb von drei Monaten drastisch an. Auf ein anderes Problem eines Präparatewechsels wiesen bereits vor zwei Jahren auch Heidelberger Wissenschaftler um den Pharmakologen Professor Walter E. Haefeli hin. In einer Analyse von AOK-Patienten-Daten stellten die Wissenschaftler fest, dass knapp ein Viertel aller Tabletten vor der Einnahme geteilt wurden. „Bei über 50 Prozent der geteilten Tabletten (182 von 335) war eine Umstellung auf ein Rabattvertragsarzneimittel erforderlich, wobei bei knapp zehn Prozent dieser Umstellungen die Gefahr bestand, dass ein Patient anstelle des verordneten teilbaren Arzneimittels ein nicht zur Teilung geeignetes Präparat (Tablette ohne Bruchkerbe oder Kapsel) erhält.“ Schlussfolgerung der Heidelberger: „Ziel sollte nicht nur die schnelle Einsparung von unmittelbaren Arzneimittelkosten sein. Es sollte auch darauf geachtet werden, dass die Sicherheit der Therapie nicht gefährdet wird und die Therapien für die Patienten handhabbar bleiben.“
Warnung vor Präparatewechsel bei Antikonvulsiva
Kritisch ist ein Präparatewechsel relativ unstreitig bei Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite - zum Beispiel bei Medikamenten für Epilepsie-Kranke. Rabattverträge gefährdeten Epilepsie-Patienten, hieß es daher auch vor wenigen Wochen auf der Fortbildungswoche Pharmacon. Nur ein Grund für die angebliche Gefährdung ist, „dass verschiedene Präparate durch unterschiedliche Hilfsstoffe in ihrer Wirkung verzögert sind“. Das wiederum führe dazu, dass die Wirkung unterschiedlich schnell einsetze oder nicht gleich lang anhalte. „Die Umstellung auf ein anderes retardiertes Präparat kann zu Anfällen führen. Ob es sich um ein Originalpräparat oder ein Generikum handelt, ist nicht entscheidend“, sagte Professor Werner Weitschies von der Uni Greifswald bei der Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer.
Eine alte, aber weiterhin aktuelle Diskussion
Die Diskussion um die Austauschbarkeit von Originalpräparaten und Generika im Allgemeinen und von Antikonvulsiva im Besonderen ist nicht neu. Sie wird geführt, seit es Generika gibt. Gerade bei den Antikonvulsiva haben Neurologen immer wieder auf die Risiken eines Medikamentenwechsels hingewiesen - unabhängig davon, ob von einem Originalpräparat auf ein Generikum oder von einem Generikum auf ein anderes gewechselt wird.
Schon 2006 wies etwa der deutsche Epileptologe Dr. Günter Krämer aufgrund einer Umfrage bei Experten der Schweiz, Österreichs und Deutschlands auf die medizinischen Probleme eines Präparatewechsels hin. Auch die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie empfahl 2008 in einer Stellungnahme zu den Rabattverträgen ausdrücklich, bei „Verordnungen von Antiepileptika stets „aut idem“ wegzukreuzen“, um so einen Präparatewechsel von vornherein zu verhindern. Eine unkontrollierte Substitution von Antiepileptika sei, so die Gesellschaft, „medizinisch nicht zu verantworten. Und erst vor wenigen Monaten – auf einem Kongress in Köln – forderten Epileptologen erneut, die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu beachten und bei stabil eingestellten Patienten keine Substitution zuzulassen.
Laut Dr. Stefan R.G. Stodieck, Leiter des Epilepsiezentrums in Hamburg, erhöht eine häufig wechselnde Generika-Gabe das Anfallsrisiko und könne auch zu stärker ausgeprägten Krampfanfällen führen. Gründe für häufigere Anfallsrezidive und vermehrte Toxizität seien das mögliche Schwanken der Bioverfügbarkeit und Spiegelschwankungen generischer Produkte im Bereich zwischen 80 und 125 Prozent der Referenzsubstanz. Eine kanadische Studie habe darüber hinaus ergeben, dass Patienten, die auf Generika umgestellt wurden, signifikant häufiger als Patienten mit dem Original-Präparat zusätzlich weitere Antiepileptika benötigten. Dies treibe ebenso wie höhere Hospitalisierungsraten und längere Klinikaufenthalte auch die Kosten in die Höhe.
Bei den Antikonvulsiva mag ein Präparatewechsel von einem Originalpräparat auf ein Generikum und umgekehrt tatsächlich ein Problem sein. Ob dagegen der Austausch von Originalpräparat und Generikum grundsätzlich oder häufig, wie der BAH suggeriert, die Therapiequalität mindere, ist eine andere Frage. Die Diskussion wird ohnehin recht emotional geführt, was selten zielführend ist. „Die Unsicherheit, ob der Nachweis der Bioäquivalenz tatsächlich genügt, um Wirksamkeit und Sicherheit von Generika nachzuweisen, ist groß“, schreiben Wissenschaftler der „Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit“. Und: „Einschränkungen bestehen lediglich bei der Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite. Bei der Neueinstellung eines Patienten auf ein Generikum, egal ob kritischer Wirkstoff oder nicht, besteht jedoch kein Zweifel, dass Originalprodukt und Generikum gleichwertig im Sinne der Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität sind.“ Die Erfahrungen in Deutschland mit einer sehr hohen Generika-Quote (über 80 Prozent) sprechen nicht dagegen.