Bei Koronarstenosen sind Stents Standard - nicht so bei Karotisstenosen. Doch jetzt haben in einer Studie die Gefäßstützen ebenso gut abgeschnitten wie die klassische OP. Zum Leidwesen der „Stentologen“ ergibt jedoch eine andere Studie genau das Gegenteil.
Die beiden Studien zum Vergleich von Stent und Endarteriektomie wurden fast zeitgleich veröffentlicht - die nordamerikanische Multizenterstudie mit dem Akronym „CREST“ (Carotid Revascularization Endarterectomy versus Stenting Trial) vor wenigen Tagen auf der „International Stroke Conference“ in San Antonio, die andere Studie mit dem Akronym „ICSS“ (International Carotid Stenting Study) in der Nacht zuvor im „Lancet“ und in „Lancet Neurology“. „CREST“ ergab eine Gleichwertigkeit beider Verfahren, „ICSS“ dagegen die Überlegenheit der herkömmlichen Operation.
Vor allem jüngere Menschen profitierten vom Stent
An „CREST” nahmen 1321 Patienten mit symptomatischer und 1181 mit asymptomatischer Karotisstenose teil. Mehr als 80 Prozent von ihnen hatten eine mindestens 70prozentige Stenose. Primärer Endpunkt war die Kombination aus Schlaganfall-, Herzinfarkt- und Sterberate innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff plus der Rate an Schlaganfällen auf der Seite der Stenose in den folgenden vier Jahren.
Nach einer mittleren Beobachtungszeit von 2,5 Jahren gab es beim primären Endpunkt mit 7,2 Prozent (Stent) und 6,8 Prozent (Endarteriektomie) keinen signifikanten Unterschied. Die Ereignisraten innerhalb von 30 Tagen betrugen 5,2 (Stent) und 4,5 Prozent (Endarteriektomie). Schlaganfälle waren mit 4,1 versus 2,3 Prozent in der Stent-Gruppe etwas häufiger, in der OP-Gruppe waren dafür Herzinfarkte mit 2,3 im Vergleich zu 1,1 Prozent. Überraschend war für die Studienautoren um Professor Thomas G. Brott (Mayo Clinic Campus in Jacksonville) vor allem ein weiterer Befund: Hinsichtlich der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse profitierten über 70jährige Patienten mehr von der Operation, jüngere Patienten mehr vom Stent. „Die meisten von uns dachten, dass es genau umgekehrt sei“, sagte Brott. Die Ergebnisse waren bei Patienten mit symptomatischer und asymptomatischer Stenose übrigens gleich. Auch das Geschlecht hatte keinen Einfluss auf das Ergebnis. „CREST“ wurde vom „National Institute of Neurological Disorders and Stroke” und vom Stent-Hersteller Abbott finanziert.
Nur symptomatische Patienten in „ICSS“
Im Gegensatz zu „CREST“ nahmen an der internationalen „ICSS“ nur symptomatische Patienten teil. 90 Prozent der insgesamt 1713 Patienten hatten eine mindestens 70prozentige Stenose. Innerhalb von 120 Tagen vom Zeitpunkt der Randomisierung an bekamen in der Stent-Gruppe 8,5 Prozent einen Schlaganfall oder Herzinfarkt oder starben. In der OP-Gruppe betrug diese Rate 5,2 Prozent. Deutlich war mit 7,4 versus 4 Prozent der Unterschied auch bei den 30-Tages-Werten. Die meisten Schlaganfälle führten allerdings wie auch in „CREST“ nicht zu einer bleibenden Behinderung. „ICSS“ wurde unter anderem von der Europäischen Union und von Sanofi-Synthélabo (Clopidogrel-Hersteller) finanziert.
„CREST“: Extra trainierte Ärzte und nur ein Stent-System
Dass die Stent-Implantation in „CREST“ so gut abgeschnitten habe, liege möglicherweise an der sehr großen Erfahrung und Übung der beteiligten Ärzte, betonte in der Diskussion in San Antonio CREST-Autor Dr. Wayne Clark. Es wäre daher sehr interessant, die behandelnden Ärzte der beiden Studien hinsichtlich ihrer Erfahrung mit der Stent-Implantation zu vergleichen, bemerkte dazu auch Dr. Larry Husten auf „CardioExchange“, einem Online-Portal des „New England Journal of Medicine“. Ein weiterer Grund für die gegensätzlichen Ergebnisse ist möglicherweise, dass in „CREST“ nur ein Stent-Modell (Abbott’s „Acculink Carotid Stent System“) implantiert wurde. In der europäischen Studie verwendeten die Ärzte dagegen unterschiedliche Stent-Systeme. Außerdem wurden nur Patienten mit symptomatischer Karotisstenose behandelt. Diese Patienten seien kränker und profitierten eher von der Operation, meinte dazu Professor Ralph Sacco (Universität von Miami), designierter Präsident der „American Heart Association“.
Bessere Daten für die OP?
Diese Unterschiede der Studien-Populationen seien vielleicht eine Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse von „CREST“ und „ICSS“, sagte Dr. Martin M. Brown, Leiter der Lancet-Studie. Aber bislang habe noch keine Studie klar belegt, dass der Stent der Operation überlegen sei. Brown: „Warum also sollte man einen Stent implantieren?” Außerdem: Selbst wenn beide Verfahren gleich wirksam seien, gebe es drei weitere Studien, die gezeigt hätten, dass die OP sicherer sei. Ob die Endarteriektomie aber auch langfristig die bessere Wahl sei, könnten erst Langzeitzeitstudien zeigen. Es sei durchaus möglich, dass sich Operation und Stent-Implantation unterschiedlich auf die Prävention späterer Schlaganfälle auswirken.
Übereifer der Stentologen befürchtet
Brown wie auch andere Schlaganfall-Experten treibt darüber hinaus eine wahrscheinlich nicht unberechtigte Sorge um: Dass nämlich - ähnlich wie bei Koronarstenosen - vermehrt und ohne hinreichend medizinische Begründung, auch bei verengter Halsschlagader Stents implantiert werden. Ohnehin sei es wünschenswert, dass nicht nur ein invasiver Eingriff erwogen werde, sondern eben auch eine optimale medikamentöse Behandlung, heißt es in einer Diskussion auf „CardioExchange“. Aber leider gebe es noch immer keine Ergebnisse der Studie „TACIT“ (Transatlantic Asymptomatic Carotid Intervention Trial) zum Vergleich einer optimalen Pharmakotherapie mit invasiven Methoden bei asymptomatischen Patienten. Dies sei geradezu eine Schande, denn drei Viertel der invasiven Karotis-Eingriffe würden bei asymptomatischen Patienten vorgenommen, moniert zum Beispiel Professor Richard Lange von der Universität von Texas.
Stent hin oder her: Nicht das Herz vergessen!
Die Unterscheidung von symptomatisch und asymptomatisch sei allerdings nicht sinnvoll, sagt der deutsche Schlaganfall-Experte Professor Michael Hennerici. Viele Studien hätten gezeigt, dass es sich um „ein und dieselbe Krankheitsentität handelt“, die nur selten Ursache eines Schlaganfalls sei, dagegen weitaus häufiger ein höchst empfindlicher Marker für eine systemische Atherosklerose. Und: „Nur in einem engen Zeitfenster der Progression einer Karotisstenose (ob mit oder ohne klinische Symptome) besteht eine erhöhte Inzidenz für ein ischämisches zerebrales Ereignis. Ob in diesem Zeitraum ein invasiver Eingriff einer prophylaktischen Medikation überlegen ist“, sei bislang unklar. Alle Patienten profitieren aber von einer kontrollierten, konsequenten Einstellung ihrer vaskulären Risikofaktoren. Das gilt natürlich auch für die Patienten mit asymptomatischer Karotisstenose, die laut Hennerici zwar eine „hinsichtlich zerebrovaskulärer Ereignisse eher benigne Erkrankung“ sei, aber auch ein etablierter Risikoindikator für drohende Herzinfarkte.
Welche Position die deutschen Schlaganfall-Experten zur Frage „Stent oder Skalpell“ einnehmen, wird in den nächsten Tagen bekannt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie bereitet gerade eine Stellungnahme vor.