Noch vor wenigen Jahren war eine körperliche Behinderung ein „No-Go“ für ein Medizinstudium und den Beruf als Arzt. Nicht nur Gerichte und Zulassungsbehörden sehen das heute anders.
Schaut man nur auf die Statistik arbeitsloser Mediziner, scheint die Lage behinderter Ärzte so schlimm nicht zu sein. Denn im Jahr 2008 fanden sich unter den rund 2800 arbeitsuchenden Doktoren nur 82 mit einer schweren Behinderung. Im Hinblick auf den Ärztemangel außerhalb der großen Städte und des Arbeitsmarkts „...könnte dies ein Hinweis sein, dass diese Entwicklung selbst für Menschen mit schwerwiegenden Behinderungen gute Möglichkeiten der Berufsausbildung mit sich bringt“, beurteilt Patrick Schwarzbach der Bundesagentur für Arbeit die Chancen für Ärzte mit Handicap.
Es gibt einige Beispiele, bei denen schwerbehinderte Mediziner nicht nur nur Ihrem ärztlichen (Routine-)alltag nachgehen, sondern sogar Karriere gemacht haben. Immer jedoch gehört ein starker Wille dazu, gegen Widerstände im Studium und in manch schwieriger Ärztehierarchie anzukämpfen.
Ein Tauber wird Chefarzt
Einer der sich von seiner Behinderung nicht von seinem Traumberuf abbringen ließ, ist Roland Zeh. Als Siebenjähriger verlor er nach einer Hirnhautentzündung sein Gehör. Nach der Gehörlosenschule begann er an der Universität Freiburg sein Medizinstudium. Dort gelang die Verständigung mit den Dozenten meist mit einer MicroLink-Anlage. Sie verstärkt den Schall, der vom Mikrofon des Sprechers kommt und leitet ihn direkt in die Ohrmuschel des Schwerhörigen. Dennoch, so berichtet Zeh rückblickend, weigerten sich einige Dozenten, in das Mikrofon zu sprechen und ihn damit bei seinem Studium zu unterstützen.
Erst die Gerichte öffneten Zeh den Weg zur Arztkarriere. Denn trotz herausragender Studienleistungen verweigerte ihm das Prüfungsamt zunächst die Zulassung zur Abschlussprüfung. Dessen Begründung: „Herr Zeh ist hörbehindert und kann nicht allen klinischen Anforderungen eines Arztes genügen“. Per Gerichtsurteil absolviert er seinen AIP und bekommt dann die Möglichkeit, an der Baumrain-Rehaklinik in Bad Berleburg für Hörgeschädigte zu arbeiten. Dort bringt er es bis zum Chefarzt. Heute ist Zeh Chefarzt an der Kaiserberg-Fachklinik für Orthopädie und Innere Medizin im hessischen Bad Nauheim. Seine Erfahrung: Behinderte Ärzte haben weniger Probleme mit Patienten als vielmehr mit Kollegen. Manchmal sorgt seine Hörbehinderung - Zeh hat hat inzwischen ein Cochlea-Implantat - sogar für den intensiveren Patientenkontakt.
Chirurg im OP-Rolli: Vorbild für seine Patienten
Ähnliche Erfahrungen hat auch Frank Röhrich gemacht. Ein Absturz mit dem Segelflugzeug unterbrach das Rückenmark und damit die Karriere des angehenden Neurochirurgen, beendet hat er sie jedoch nicht. Verständnisvolle Chefärzte im thüringischen Bad Berka und an der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Bergmannstrost in Halle ermöglichten ihm trotz Querschnitt-Lähmung nicht nur den Abschluss seiner Facharzt-Weiterbildung, sondern auch eine dauerhafte Stelle am Zentrum für Rückenmarksverletzte. Mit einem speziellen OP-Rollstuhl kann Röhrich während der Operation stehen und sich sogar vornüber beugen, obwohl er ab dem achten Brustwirbel abwärts gelähmt ist. „Ob die Anamnese ein Fußgänger oder ein Rollstuhlfahrer macht, ist im Ergebnis sehr unerheblich. Fast alle klinischen Untersuchungen lassen sich uneingeschränkt auch mit einer Paraplegie vornehmen“, beschreibt Röhrich seine Situation im Spiegel. Auch in Halle verhilft die Behinderung zu einem engeren Kontakt mit Patienten. „Als ich ihn sah, dachte ich, es kann weitergehen“, bekennt etwa ein 17jähriges Verkehrsunfall-Opfer, das ab dem fünften Halswirbel abwärts gelähmt ist.
Von Behörden behindert
Neben diesen „extremen“ Fällen gibt es zahlreiche Ärzte, die mit einem Diabetes praktizieren. „Sogar in chirurgischen Fächern, die mit stundenlangen Operationen verbunden sind, kann man als Diabetiker zum Beispiel mit Insulinpumpen kritische berufliche Situationen gut meistern“ beurteilt Hermann Finck, niedergelassener Internist und Typ-1 Diabetiker, eine Situation, die er von seiner Arbeit im Sozialausschuss der Deutschen Diabetesgesellschaft gut kennt. Dennoch, so berichtet er, gäbe es immer wieder Fälle, in dem etwa einem Chirurgen ein Bankkredit für seine Arztpraxis aufgrund seiner Einschränkung verwehrt wurde.
Nach einer Reform der Approbationsordnung dürfen seit 2003 Studenten mit Behinderungen nicht mehr von vorne herein vom Medizinberuf ausgeschlossen werden. Dass Ärzte mit Handicap nicht darauf bauen können, aufgrund einer Quote oder einer sozialen Ader in den Kliniken eingestellt zu werden, ist auch Frank Röhrich klar. „Als Arzt weiß ich, dass das OP-Risiko für die Patienten nicht erhöht sein darf, nur weil ich eine Behinderung habe. Würden mir ärztliche Fehler unterlaufen, weil ich während einer schwierigen Operation nicht die optimale Position einnehmen kann, hätte ich damit große Probleme.“
Wo aber technische Lösungen die Einschränkung überwinden, finden sich in der Statistik unter Behinderten wahrscheinlich mehr hochmotivierte Mediziner als im Durchschnitt. Sie haben gelernt, Grenzen und Hindernisse zu überwinden.