Nicht-steroidale Antirheumatika haben es nicht leicht. Alle lieben sie, aber dauernd gibt es schlechte Presse. Eine epidemiologische Langzeitstudie aus Boston hat jetzt Hinweise gefunden, dass Aspirin, Paracetamol und Co auf die Ohren gehen könnten. Auch das noch.
An allem schuld sind die COX-2-Inhibitoren. Als Big Pharma vor einigen Jahren die mehr oder weniger selektive Hemmung der Cyclooxygenase 2 als scheinbaren Königsweg hin zu einer Schmerzlinderung ohne Magen-Darm-Probleme einführte, fiel den Konzernen die Sache bekanntlich einigermaßen auf die Füße. Die Medikamente, die wegen der strengen Zulassungsanforderungen an neue Medikamente sehr viel intensiver untersucht worden waren, als das bei konventionellen nicht-steroidalen Antirheumatika jemals der Fall war, zeigten ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Sie fielen in Ungnade. Und trotz vereinzelter Patientenproteste verschwanden viele vom Markt.
Schmerzmittel: Stressnudeln fürs Ohr
Die Folge der Coxib-Debatten war zum einen eine Rückbesinnung auf konventionelle Schmerzmittel. Als Medikament der Wahl wurde damals von vielen Seiten und immer wieder Paracetamol genannt: Lang erprobt, gut bekannt, kardiovaskulär unbedenklich, das war der Tenor. In der Folge fing eine ganze Reihe von Wissenschaftlern allerdings damit an, Registerdaten zu konventionellen NSAR und auch zu Paracetamol etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Relativ schnell wurde damals klar, dass konventionelle NSAR ähnliche kardiovaskuläre Probleme machen können wie Coxibe. Das war dann aber nicht mehr so skandalträchtig und wurde entsprechend wenig öffentlich diskutiert. Neben Registeruntersuchungen gibt es mittlerweile auch einige prospektive epidemiologische Studien zu den unerwünschten Folgen von NSAR. Eine sehr große Untersuchung hat jetzt die Ärztin Sharon Curhan vom Brigham and Women’s Hospital der Harvard Medical School in Boston im American Journal of Medicine veröffentlicht. Die Arbeit ist im Internet im Volltext einsehbar. Die Wissenschaftler beschäftigen sich mit dem Einfluss von Substanzen wie Aspirin, Paracetamol und Co auf das Hörvermögen der Patienten. Der Zusammenhang ist nicht völlig neu. Dass Aspirin in hoher Dosis Hörprobleme machen kann, ist bekannt. Und auch bei konventionellen NSAR gibt es zu diesem Thema zumindest Fallberichte.
Paracetamol irritiert nicht nur die Leber
Curhans Studie hat jetzt prospektiv untersucht, wie sich regelmäßiger Schmerzmittelkonsum – definiert als mindestens zwei Tabletten pro Woche – über lange Zeiträume hinweg auf das Hörvermögen auswirkt. Ein besonderes Augenmerk gilt eben jenem scheinbar harmlosen Paracetamol. Die Studienkohorte bestand aus Teilnehmern der Health Professional Follow-up-Studie, über 51000 Männer, die im Jahr 1986 in die Studie eingeschrieben wurden und dann alle zwei Jahre einen Fragebogen ausfüllten. Das taten sie bemerkenswert gewissenhaft: Beim 18-Jahres-Follow-up im Jahr 2004 waren noch über 90 Prozent dabei. Ärzte halt. Nachdem Probanden mit vorher bekannten Hörschäden, ototoxischen Krebstherapien und hohem Alter ausgeschlossen worden waren, blieben immer noch fast 27.000 auswertbare Datensätze übrig.
„Die Ergebnisse haben uns wirklich umgehauen“, sagt Curhan. 3488 Probanden wurden im Studienzeitraum schwerhörig. Und dabei korrelierte die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln eindeutig mit dem Auftreten von Schwerhörigkeit. Diese Korrelation war altersabhängig: „Wir haben herausgefunden, dass der Zusammenhang bei jungen Männern besonders stark ist“, berichtet Curhan. Und am allerausgeprägtesten war der Effekt bei Paracetamol: Das Risiko für Hörschäden bei unter 50jährigen Männern ist bei regelmäßiger Paracetamol-Einnahme den Daten zufolge doppelt so hoch wie normal. Aspirin-Konsum geht mit einem immer noch 50 Prozent höheren Risiko einher. Und andere NSAR steigern die Quote an Hörschäden um 61 Prozent. Wurden in der Auswertung alle Altersgruppen berücksichtigt, so sehen die Zahlen etwas besser aus. Paracetamol erhöht das Risiko von Hörschäden dann nur noch um 22 Prozent. Die Wissenschaftler erklären das damit, dass die altersbedingt ohnehin auftretende Schwerhörigkeit den Einfluss der Analgetika statistisch verdünnt.
Weniger Schmerz, aber auch weniger Schutz?
Was könnten die Gründe für die beobachteten Effekte sein? Und welche Rückschlüsse sollten gezogen werden? Ein Erklärungsansatz besteht in den bekannt ungünstigen Effekten von NSAR auf die Durchblutung des Innenohrs. Weniger Blut, mehr kaputte Zellen, das leuchtet zumindest ein. Auch oxidativer Stress spielt vielleicht eine Rolle: „Paracetamol könnte dazu führen, dass der Glutathion-Gehalt in den Cochlea-Zellen abnimmt“, sagt Curhan. Das antioxidative Glutathion gilt unter anderem im Zusammenhang mit Lärmexposition als ein protektiver Faktor für das Ohr.
Klinisch plädieren die Studienautoren für Zurückhaltung beim Einsatz von Analgetika, wo immer das möglich ist. Die wichtigste Botschaft der Arbeit dürfte sein, dass es das eine unbedenkliche Schmerzmittel für alle Lebenslagen nicht gibt. Coxibe sind es nicht. Ibuprofen ist es nicht. Diclofenac ist es nicht. Und Paracetamol ist es auch nicht, und das nicht nur wegen der bekannten Leberproblematik.