Urologen müssen bei der Diagnose Prostatakrebs womöglich noch behutsamer sein: Schon zwei Tage nach Erhalt der schlechten Botschaft entscheiden sich Betroffene auffällig häufig für den Suizid - oder erleiden innerhalb eines Jahres einen tödlichen Herzinfarkt.
Der „Schwerpunktbericht 1“ zur „Epidemiologie des Prostatakrebses im Regierungsbezirk Münster“ ist seit Erscheinen der vom Epidemiologischen Krebsregister NRW herausgegebenen Publikation im Jahr 2006 eine wichtige Medizinlektüre. Nach Tumorstadien und -arten aufgeteilt und in vielschichtigen Diagrammen dargestellt, lassen sich die Überlebensraten der betroffenen Männer ablesen. Immerhin: Rund 80 Prozent der Krebspatienten leben fünf Jahre nach der Erstdiagnose immer noch.
Doch was für Münster gilt und auch bundesweit übertragbar scheint, geht nciht bei allen so glimpflich aus. Denn nur wenige Tage oder Monate nach der Diagnose entscheiden sich Männer mitunter für den Freitod, oder versterben auf Grund der enormen Belastung am Herzinfarkt, wie eine aktuelle Untersuchung des „Journal of the National Cancer Institute“ attestiert. Die an der Harvard Medical School Boston unter Leitung von Fang Fang durchgeführte Studie basiert auf mehr als 340.000 Patientendaten des amerikanischen Krebsregisters und deckt den Zeitraum von 1978 bis 2004 ab. Zu Fangs Überraschung verstarben 6.845 Männer vorwiegend innerhalb der ersten drei Monate nach Diagnoseerstellung am Herzinfarkt, 148 Prostatakrebs-Patienten begingen Selbstmord.
Unterschied mehr als signifikant
Diese Zahlen allein wären wenig aussagekräftig. Denn ob die Patienten in San Francisco, Detroit oder Seattle auch sonst ihrem Leben ein Ende gesetzt hätten, oder aber die Entscheidung mit dem Tumorfund zusammenhing, konnte Fang retrospektiv nicht eruieren. Dafür bediente er sich dann den Suizid-Statistiken des gleichen Zeitraums und daraus der zu erwartende Zahl der Selbstmorde. Danach hätten in der untersuchten Kohorte nicht 148, sondern lediglich 105 Männer den Freitod wählen dürfen – bezogen auf die extrem hohe Gesamtzahl an Patienten ist der Unterschied statistisch betrachtet mehr als signifikant.
Dass eine Krebsdiagnose den Freitod nach sich ziehen kann, wissen Mediziner seit geraumer Zeit zu berichten. So publizierten Forscher von der University of Washington im Jahr 2008 eine Studie, in der die Suizidraten von mehr als zwei Millionen Patienten untersucht wurden. Alarmierende Erkenntnis: Die Selbstmordrate lag doppelt so hoch wie jene der Allgemeinbevölkerung. Vor allem Männer mit Magen- oder Lungenkrebs und Kopftumoren entscheiden sich für den schnellen Freitod.
Frau und Kind als Überlebenshilfe
Weil aber neben dem Suizid auch der Herztod eine wesentliche Rolle zu spielen scheint, schließen Ärzte jetzt auf einen weitaus schwerwiegenderen Zusammenhang zwischen Primärerkrankung und sekundären Faktoren wie Angstzuständen und anderen extremen psychische Belastungen. Entsprechend erklärbar sei auch die Tatsache, dass Männer in stabilen Familienverhältnissen erheblich seltener der Herztod ereilt, meint Fang – Frau und Kinder erweisen sich als Überlebenshilfe.
Neben Zuneigung und Liebe der eigenen Familie wirkt auch die molekulare Medizin lebensverlängernd. So sei die Herztodrate nach der Einführung der PSA-Tests zurückgegangen, schreibt Fang, weil die Diagnosen als softer empfunden werden, und infolge dessen die Belastung des Patienten abnimmt.