Akupunktur gilt als nebenwirkungsarm, und die wenigsten vermuten schwere Folgeerkrankungen. Woran kaum jemand denkt: Kontaminierte Nadeln und Arbeitsmaterial können schwere Infektionskrankheiten hervorrufen.
Infektionen durch Akupunktur sind weltweit unterdiagnostiziert, warnen Patrick Woo, Mikrobiologe der Universität von Hongkong und Mitarbeiter in einem Editorial des British Medical Journal und beschreiben Infektionsfälle seit den siebziger Jahren wie auch Infektionstypen und –quellen.
Infektionen: Von Haut bis HIV
Akupunkturnadeln können demnach nicht nur der Harmonisierung des „Qi“ dienen, wenn sie bis zu einige Zentimeter unter die Haut gestochen werden. Nadeln nebst Zubehör, Wattestäbchen oder Handtücher können mit pathogenen Mikroorganismen kontaminiert sein, sodass Infektionserreger vom Arbeitsmaterial auf Patienten übertragen werden.
Die häufigsten Infektionen wurden mit pyogenen Bakterien beschrieben. In den 70er und 80er Jahren waren dies weltweit 50 Fälle. Die meisten Infektionen mit Eitererregern gingen von der Hautflora der akupunktierten Patienten aus. Offenbar war die Haut vor der Akupunktur nicht ausreichend desinfiziert worden. Bei lokalen Infektionen zeigten sich typische meridian- und Akupunktur-spezifische Läsionen. Nach der Akupunktur entwickelten sich Abszesse und septische Arthritiden, seltener schwere Folgeerkrankungen wie infektiöse Endokarditis, Meningitis, Endophtalmitis u. a. Der Übeltäter in über der Hälfte der Fälle: Staphylokokkus aureus.
Beschrieben wurden über 80 Hepatitis B-Infektionen. Patienten waren meist über nicht oder unzureichend sterilisierte wiederverwendbare Nadeln infiziert worden. Im Fall eines Ausbruchs war offenbar der Akupunkteur selbst die Infektionsquelle. Mit der Akupunktur ließe sich – zumindest hypothetisch – auch Hepatitis C und HIV übertragen, so Woo. Epidemiologische Studien und Fallkontrollstudien fanden einen Zusammenhang zwischen Akupunktur und Hepatitis C. Nach Berichten zu Fällen von HIV-Infektionen war kein anderer Risikofaktor als die Akupunktur auszumachen, doch sind einzelne Berichte natürlich kein Beweis.
Akupunktur-Mykobakteriose als neues klinisches Syndrom
Als neues Syndrom dieses Jahrhunderts gilt die Akupunktur-Mykobakteriose, eine Infektion der Haut mit Mykobakterien, übertragen durch kontaminierte Wattestäbchen, Handtücher oder anderes Material, das mit der Einstichstelle in Berührung kommt. Abszesse und Ulzera können erst Wochen oder Monate nach der Akupunktur entstehen. Der schleichende Erkrankungsbeginn lässt Patienten auch oft erst spät einen Arzt aufsuchen. Aufgrund des zeitlich verzögerten Auftretens kommt nicht jeder Arzt darauf, dass ein Zusammenhang mit einer früheren Akupunktur bestehen könnte. Im Untersuchungszeitraum ereigneten sich zwei größere Ausbrüche von Infektionen im Zusammenhang mit Akupunktur. Einen Ausbruch kutaner Wundinfektionen mit Mykobakterien von Patienten eines Arztes in Seoul im Jahr 2001 beschrieb Joon Young Song im Fachjournal BMC Infectious Diseases.
Die genannten Infektionen könnten allerdings nur die Spitze des Eisbergs sein, vermutet Woo und fordert eine bessere Infektionskontrolle. Ein erster Bericht der Übertragung des Methicillin-resistenten Staphylokokkus aureus (MRSA) erschien 2009. Dabei kam es nach Akupunktur zu einer septischen Arthritis mit Zerstörung des Gelenkknorpels und einer Osteomyelitis.
Qualitätsstandards ohne Kontrolle
Das Risiko schwerer Nebenwirkungen nach Akupunktur schätzt der Experte Mike Cummings der British Association of Medical Acupuncturists auf 1:200.000. Insgesamt sei die Akupunktur also sehr sicher. Dennoch gibt es in vielen Ländern, so auch in Großbritannien, keine Kontrolle. Jeder kann sich dort Akupunkteur nennen. Hierzulande braucht es die entsprechende Qualifikation. Die Frage bleibt, ob jeder Praktizierende sterile Einwegnadeln verwendet, mit denen ein Infektionsrisiko auszuschließen wäre. Und fühlt sich jeder auch über die Ausbildung hinaus an bestehende Qualitätskriterien gebunden?