Bei allem gesundheitspolitisch motiviertem Pillenpoker fallen Apotheken, die parenterale Rezepturen herstellen, leicht mal unter den Tisch. Dabei sind sie es, denen die Gesundheitspolitik derzeit besonders zusetzt. Doch es gibt Hoffnung: Ganz, ganz hinten im neuen Eckpunktepapier von Philipp Rösler finden sich auch die Zytostatika.
Keine Frage, die DocCheck-Leserin ist verärgert: „Wer in Himmels Namen hat sich solch einen Blödsinn eigentlich ausgedacht?“ Die Kritik gilt den zum Jahresanfang in Kraft getretenen Änderungen bei der Preisbildung für parenterale Rezepturen, was vor allem die Herstellung von iv-Zytostatika für die Onkologie betrifft. Die neue Regelung, die in der Anlage 3 der Hilfstaxe niedergelegt ist (DocCheck berichtetete), hat mehrere Komponenten. Zum einen müssen die Hersteller Fertigarzneimittel, die Eingang in Zytostatika-Rezepturen finden, mit sechs Prozent rabattieren. Dabei müssen die Teilmengen exakt abgerechnet werden. Bei Fertigarzneimitteln müssen die Apotheken zudem einen eigenen Rabatt berechnen, der unter anderem davon abhängt, ob es sich um ein Generikum oder um ein Original mit Patentschutz handelt.
Neuer Geheimbund: Die Lobby der Berufsstatistiker
Das ist aber längst noch nicht alles: Die Abrechnung der Packmittel ist genauso exakt geregelt. Und für die Arbeit des Apothekers beziehungsweise des Angestellten im Sterillabor werden Pauschalen angesetzt, die zwischen 39 und 69 Euro liegen, je nachdem, ob es sich um Folsäurelösungen, Zytostatika oder Antikörper handelt. Nochmal die eingangs zitierte DocCheck-Leserin: „Wer in Himmels Namen hat sich solch einen Blödsinn eigentlich ausgedacht?“ Die Frage können wir insofern beantworten, als dass dieser Blödsinn in der 15. Novelle des Arzneimittelgesetzes angelegt ist und mithin indirekt noch aus Zeiten stammt, in denen Ulla Schmidt an der Berliner Friedrichstraße das Zepter schwang. Ganz konkret ausgearbeitet allerdings – und das wird gerne mal verschwiegen – wurde die Anlage 3 der Hilfstaxe erst Ende 2009, in Verhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband und der GKV. Politik, Kassen und organisierte Apothekerschaft haben also ihr Scherflein zum Status Quo beigetragen. Vielleicht gab es aber auch ganz andere Drahtzieher? Unsere Leserin jedenfalls hat einen konkreten Verdacht, den wir bisher weder verifizieren noch widerlegen konnten. Er hängt mit dem immensen bürokratischen Aufwand zusammen, den die zytostatikaherstellenden Apotheken seit Jahresanfang zu bewältigen haben: „Die sogenannte Transparenz der Datenübermittlung sieht mittlerweile ein DIN A4-großes Dateigebilde mit unzähligen Zahlenkombinationen vor. War da etwa die Lobby der Berufsstatistiker am Werke, die endlich mehr Arbeitsplätze erhalten wird?“
5 Millionen Euro Umsatz mit parenteralen Rezepturen – pro Apotheke.
Haben die Berufsstatistiker Deutschland also gesundheitspolitisch im Griff? Möglich. Es gibt da ja durchaus noch ein paar andere Szenarien, bei denen einem dieser Verdacht kommen könnte. Wahrscheinlicher ist freilich, dass die Lobby der Kostendämpfer maßgeblich für das war, was wir jetzt sehen. Ulla Schmidt jedenfalls hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich durch die Maßnahmen Einsparungen in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich erwartet. Das allerdings kann man ihr nicht wirklich verdenken, wenn man sich ansieht, wovon genau eigentlich die Rede ist. Was die Anzahl der Apotheken angeht, ist die ganze Sache mit den parenteralen Rezepturen ein absoluter Nischenmarkt. Nur rund 400 Apotheken leisten sich den Luxus eines für diese Art der Arzneimittel nötigen Sterillabors. Viel Lärm um nichts also? Das kann man so nicht sagen. Denn das was aus diesen Labors kommt, ist in der Tat richtig teuer. Laut Arzneiverordnungsreport 2008 lag das GKV-Ausgabenvolumen für die so genannten speziellen Rezepturen, also Zytostatika und individuelle parenterale Lösungen, im Jahr 2007 bei 1,89 Milliarden Euro. Das waren 6,6 Prozent des gesamten Arzneimittelmarkts. Ein Jahr später, 2008, waren es 2,14 Milliarden Euro oder 7 Prozent. Mit anderen Worten: Das ist ein ordentlicher Batzen Geld. Und er wird größer, was angesichts des Arzneimittelfeuerwerks der vergangenen Jahre in der Onkologie auch nicht weiter verwundert.
Kann Ritter Rösler es richten?
Die alles entscheidende Frage ist natürlich, ob mit dem ganzen „Blödsinn“ erreicht wird, was sich die Politik erhoffte, oder ob den Apothekern nicht eher Bürokratie aufgebürdet wird, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum Effekt steht. Und hier muss man derzeit sagen: Man weiß es einfach noch nicht. Angesichts der Zwangsabschläge liegt die Annahme nahe, dass es Einsparungen geben wird. Ob dazu aber das ganze Detail-Gefitzel der neuen Anlage 3 nötig war, ist zumindest eine Frage, die den Statistiken gestellt werden könnte. Doch Hilfe naht, oder sie könnte zumindest nahen. Etwas überraschend ist Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) nämlich Ende vergangener Woche in seinen Eckpunkten zur Arzneimittelversorgung auf das Thema Zytostatika eingegangen.
Zugegeben, das vierseitige Eckpunktepapier widmet sich den „Zytos“ erst in seinem allerallerallerletzten Satz. Aber immerhin. Dort steht: „Die mit der 15. AMG-Novelle geänderten Regeln zur Zytostatikaversorgung sollen dahingehend überprüft werden, ob die angestrebten Verbesserungen zur wirtschaftlichen Versorgung tatsächlich erreicht wurden.“ Wenn man mal von den grammatikalisch etwas merkwürdigen „Verbesserungen zur Versorgung“ absieht, dürfte dieser Satz heißen, dass die Zyto-Regelungen auf den Prüfstand kommen. Beim Verband der zytostatikaherstellenden Apotheken wiederum dürfte man das begrüßen, auch wenn sich drei von DocCheck angefragte Vorstandsmitglieder mit Hinweis auf den bevorstehenden, gerade abgeschlossenen oder soeben wahrgenommenen Osterurlaub entschuldigen ließen. Frohes Fest!