Der Mensch hört nicht mit dem Ohr allein. Behaupten jedenfalls die Anhänger von intraoralen Hörgeräten, die dezent in Zahnlücken verschwinden statt auffällig an der Ohrmuschel zu baumeln. Ein US-Hersteller nimmt jetzt einen neuen Anlauf in diesem Markt.
Die Vorstellung ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. Wo sonst nur Zahnkronen, Inlays, Implantate und Kollege Karies zu Hause sind, soll plötzlich ein Hörgerät schlummern, mit dem man nicht nur hören, sondern womöglich auch noch essen kann? Genau das ist das Ziel des US-Unternehmens Sonitus Medical, das derzeit eine Technologie testet, die den wunderbaren Namen SoundBite trägt. Erste Fotos zeigen, dass die kleine Plastik-Metall-Schiene sich tatsächlich so in der Cavitas oris versenken lässt, dass sie zumindest bei einem dezenten Lachen nicht groß auffällt.
Die eigene Stimme so fremd
Doch der Reihe nach: Hören mit dem Mund? Klingt schräg, geht aber, und zwar unter Ausnutzung des Prinzips der Knochenleitung. Um die Umgebungsgeräusche wahrzunehmen, benötigt der Patient mit Mittelohrschwerhörigkeit selbstverständlich erst einmal ein Mikrofon. Das wird im äußeren Gehörgang eingelagert und ist dort für Außenstehende quasi unsichtbar. Das Mikrofon ist über einen winzigen, ebenfalls kaum sichtbaren Schlauch verbunden mit einer BTE („behind the ear“) genannten Übertragungseinheit, die hinter dem Ohr klemmt. Weil das BTE wirklich nur eine Übertragungseinheit ist und sonst nichts, kann es prinzipiell relativ klein gemacht werden, wesentlich kleiner jedenfalls als alles, was bei konventionellen Hörgeräten so hinter dem Ohr verstaut werden muss.
Das BTE verfügt über einen Drahtlosfunk und überträgt die vom Ohr-Mikrofon aufgezeichneten Außengeräusche – jawohl, in den Mund. Dort wartet die ITM-Komponente („in the mouth“) des Systems und erzeugt gemäß dem Muster der ankommenden Lautsprecherinformationen lautlose und nicht spürbare Vibrationen. Die werden wiederum erst über die Zähne und dann über den Knochen weitergeleitet, bis sie schließlich bei der Cochlea ankommen. Deren Sinneshärchen geraten durch den Knochenschall ordentlich in Wallungen und erzeugen einen Höreindruck entsprechend dem Input, den das Mikrofon geliefert hat. Für alle, die die Sinnesphysiologie in der Vorklinik nicht mehr so ganz präsent haben: Knochenschall ist die Geschichte, der wir es zu verdanken haben, dass sich die eigene Stimme auf Tonband so fremd anhört. Knochenschall „erleben“ kann man auch, wenn man mit den Zähnen ein bespieltes Musikinstrument, etwa ein Klavier oder eine Gitarre, berührt.
Das Business-Modell muss sich erst noch beweisen
Prinzipiell hat das SoundBite-System – das derzeit noch nicht in einer endgültigen Produkt-Version erhältlich ist – einige charmante Seiten, die es durchaus zu einem Erfolg werden lassen könnten. Es ist zum einen vergleichsweise unscheinbar und damit sehr gesellschaftsfähig. Es ist außerdem hoch flexibel, weil die Mundkomponente ähnlich einer Zahnspange einfach rausgenommen werden kann, wenn der Schwerhörige zum Beispiel essen möchte. Geplant ist zudem, den Kunden mit zwei ITMs auszustatten, damit eines gelegentlich gereinigt werden kann. Das soll problemlos möglich sein, weil die Elektronik hermetisch abgeriegelt ist. Muss sie auch, bei all der Spucke…
Leider ist das Unternehmen Sonitus Medical nicht das erste, das auf die Idee des Hörens mit den Zähnen gekommen ist. Schon vor einigen Jahren machte das israelische Startup AudioDent Schlagzeilen, das von drei Zahnärzten gegründet wurde und eine ähnliche Vision verfolgte. Ein marktreifes Produkt ist daraus bisher nicht entstanden. Ende Januar berichtete der israelische Nachrichtendienst Globes sogar, dass das Unternehmen vom Kapitalgeber abgewickelt werde. Mit den Zähnen hören geht also. Ob sich damit auch Geld verdienen lässt, bleibt bis auf Weiteres offen.