Es ist eine Studie mit weitreichenden Folgen: Forscher am Universitätshospital Zürich haben mit Wissenschaftlern der EMPA erstmals nachgewiesen, dass Nanopartikel die Plazenta des Menschen durchdringen - und auf diese Weise die Ungeborenen erreichen. Gynäkologen müssen womöglich umdenken, und Patientinnen auf Nanoteilchen in Lebensmitteln aufmerksam machen.
Auf kritische Berichte über die gesundheitsschädigende Wirkung von Nanopartikeln reagierten Lebensmittelhersteller noch vor wenigen Jahren harsch: Selbst große öffentlich-rechtliche Sender, die auf Nanofood aufmerksam machten, sahen sich mit Klagedrohungen konfrontiert. Seit März 2010 dürften die Drohgebärden der Vergangenheit angehören. Denn eine vielfach beachtete Publikation Schweizer Mediziner belegt: Der Transport von Nanoteilchen im menschlichen Körper erfolgt nahezu ungebremst, und macht auch vor der Plazenta der werdenden Mutter nicht Halt. Die jetzt im Fachblatt Environmental Health Perspectives veröffentlichte Studie zeigt damit erstmals in aller Deutlichkeit, wie sehr ungeborenes Leben durch die Nanotechnologie bedroht werden kann.
Für ihre Studie brachten die Forscher um Peter Wick an der EMPA in Zusammenarbeit mit Ursula von Mandach am Universitätsspital Zürich fluoreszierende Nanopartikel aus Polystyrol in den Mutterkreislauf ein und beobachteten, ob diese in auch den fötalen Kreislauf gelangen. „Diese Polystyrolpartikel eignen sich dafür besonders gut, da sie im Gewebe keinen Stress auslösen und einfach nachweisbar sind“, erklärt Wick den eigentlichen Nano-Trick. Tatsächlich injizierten die Wissenschaftler Partikel von 50 Nanometer bis zu einem halben Mikrometer. Besorgniserregende Erkenntnis: „Der Cutoff lag zwischen 200 und 300 Nanometern“, wie Wick erklärt. Demnach passierten alle Partikel unterhalb dieser Grenze die Plazenta und gingen „in den Kindskreislauf über“, wie die EMPA nun berichtet.
Dass die Winzlinge „unterhalb einer bestimmten Größe in die Blutbahn des ungeborenen Kindes gelangen können, sei nicht unerwartet und müsse nun weiter erforscht werden“, fügen die Forscher hinzu, nur: Gerade Ärzte machten sich über diesen Aspekt im realen Praxisalltag kaum Gedanken. Denn bislang galt die Technologie eher als Hoffnungsträger, auch in der Medizin. „Nanotechnologie bietet sich nicht nur an, anstehende Herausforderungen in Medizin, Energieversorgung oder Umweltschutz zu meistern; sie gilt auch als Innovationsmotor für die Schweizer Wirtschaft“, resümiert die EMPA die landläufige Einstellung zu den Winzlingen mit den vielen ungeahnten Eigenschaften - und macht in gleichem Atemzug deutlich, dass nach den jetzigen Erkenntnissen „potenzielle Risiken – etwa von freien Nanopartikeln – genau unter die Lupe genommen werden“ müssten.
Nanofood als große Unbekannte
Genau das aber erweist sich als nahezu unmögliches Unterfangen. "Weltweit sind schätzungsweise bereits bis zu 600 Lebensmittel mit Nanozusätzen auf dem Markt", warnte Wilfried Kühling, der Chef des Wissenschaftlichen Beirates der deutschen Umweltschutzorganisation BUND im Frühjahr 2008 und brachte damals die eigentliche Problematik auf den Punkt: "Weil es keine Kennzeichnungspflicht gibt, weiß man nicht, in welchen Produkten Nanomaterialien enthalten sind." Kühling hatte zuvor in Berlin ein Gutachten vorgestellt, das vor den Gefahren der Nano-Technologie warnte.
Vor allem die Verkapselung von bestimmten Partikeln im Lebensmittelbereich, die Herstellung von sogenannten Nano-Containern, gehört zum Wesen der Nanotech im Food-Bereich, wie der bereits 2006 erschienene Bestseller „Die Joghurt-Lüge“ ausführlich beschrieb. „Eine Ummantelung von Palmölpartikeln, die somit in bestimmte Bereiche des Körpers transportiert werden sollen, entspräche – sofern die Produktion tatsächlich so erfolgt wie im WDR-Beitrag dargestellt - durchaus dem Wesen einer nanotechnologischen Anwendung, weil die eingesetzten Partikel kleiner als 1000 Nanometer zu sein scheinen“ heißt es in einer an den WDR adressierten Stellungnahme der Buchautoren, nachdem ein Lebensmittelhersteller den Sender infolge der kritischen Berichterstattung juristisch unter Druck gesetzt hatte.
Für Ärzte hatten solche Auseinandersetzungen bis zur Schweizer EMPA-Studie eher rein unterhaltsamen Charakter. Jetzt freilich müssen sie umdenken. Denn gerade der Schwangerenberatung kommen die Schweizer Ergebnisse zu Gute: Der Arzt müsste in Zukunft seine Patientin vor dem Konsum nanohaltiger Produkte warnen – und entsprechend aufklären. Den Druck der starken Lebensmittelindustrie brauchen Ärzte dabei kaum zu fürchten, im Gegenteil. Die rein medizinische Herangehensweise an die Nanofood-Problematik dürfte die Hersteller ohne Gesichtsverlust zum Umdenken bewegen. Denn einen massiven medizinischen Vorwurf kann die Lebensmittelindustrie nach wie vor nicht ausräumen: Klinische Studien nach den hohen Standards der Arzneimittelzulassungen (Phase I – III) gibt es für Nanoprodukte nicht.