Wenn es um Tierversuche geht, regieren meist Emotionen die Diskussionen. Von Barbarei reden die einen, von Unvernunft die anderen - und manche von Inkonsequenz und Heuchelei. Konsens besteht bestenfalls darin, dass Alternativen wünschenswert sind.
„Tierversuche - Folter für die Forschung“ stand 1985 auf der Titelseite des „Spiegels“. Grauenhafte Bilder von Tierversuchen zeigte damals Dr. Dietrich Bäßler, Mitglied der „Ärzte gegen Tierversuche". Gezeigt wurden laut Spiegel-Bericht „zähnefletschende Affen, eingezwängt in das Gestänge stereotaktischer Bändigungsstühle; verstümmelte Hunde, denen Drainageschläuche aus dem aufgeschlitzten Leib hängen...Ratten, die unter einer Miniatur-Guillotine enthauptet werden...“.
Wie sehr Emotionen auch heute noch die Diskussionen beherrschen, mussten Anfang des Jahres Forscher in Großbritannien und in Österreich erleben. Auf einem britischen Militärstützpunkt hatten Wissenschaftler mehr als ein Dutzend Schweine in die Luft gesprengt. Angeblich wollten sie mit dem Experiment die Wirkung von Terroranschlägen auf Menschen untersuchen. Widerlich und überflüssig nannten Tierschützer und Politiker die Experimente. In Österreich hatten Wissenschaftler bei einem Lawinenexperiment lebende Schweine im Schnee vergraben und beobachtet, wie sie langsam erstickten und erfroren. Erst eine Protestwelle stoppte die Innsbrucker Forscher.
Deutlicher Rückgang der Tierversuche
Relativ unstreitig ist, dass sich in den vergangenen Jahren in Sachen Tierversuchs-Alternativen viel getan hat. Allein mit Hilfe von Zellkulturen wurden „zwischen 1990 und 2000 die Tierversuchs-Zahlen etwa halbiert“, sagt Dr. Manfred Liebsch von der „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ (Zebet), die für das Bundesinstitut für Risikobewertung Alternativmethoden bewertet. Erst vor wenigen Wochen haben die Universität Konstanz und die Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health gemeinsam das „Center for Alternatives to Animal Testing – Europe“ (CAAT-EU) gegründet, um neue Methoden zu entwickeln, durch die Tierversuche ersetzt werden können.
Eine Unsitte: Fast nur positive Ergebnisse werden publiziert
Professor Marcel Leist leitet CAAT-EU - zusammen mit Professor Thomas Hartung, CAAT-Chef der Bloomberg School. Leist, viele Jahre beim Pharmaunternehmen Lundbeck tätig, setzt sich seit Jahren für Alternativmethoden ein. Es sei ihm ein persönliches Anliegen „wenn man sieht, dass bei manchen Versuchen Tieren Leid zugefügt wird, ohne dass dem ein nennenswerter Nutzen für Tier oder Mensch entgegensteht“. Bekannt sei schließlich, „dass die Übertragbarkeit der Tierversuchs-Ergebnisse auf Menschen oft nicht unbedingt gewährleistet ist“. „Daten aus Tierversuchen sind in weit mehr als 50 Prozent der Fälle nicht auf den Menschen übertragbar", sagt auch der Schweriner Toxikologe Dr. Dieter Runge.
Dass an publizierten Ergebnissen von Tierversuchen Zweifel angebracht sind, legt eine im März veröffentlichte Studie nahe. Danach werden fast nur positive, nicht aber auch negative Ergebnisse publiziert. Dies spricht nicht grundsätzlich gegen Tierversuche, ist aber dennoch eine unredliche und ethisch angreifbare, wenngleich nicht unübliche Unsitte.
Leist und seine Kollegen suchen auf jeden Fall nach neuen Ansätzen für toxikologische Untersuchungen. „Stammzellsysteme könnten hierfür äußerst wertvoll sein“, erklärt Leist. Ein radikaler Tierversuchsgegner ist er nicht: „Es gibt manche Bereiche, in denen man in den nächsten Jahren noch Tierversuche brauchen wird. Ich wünsche mir aber, dass der Umgang mit Tieren nach dem „3 R-Prinzip“ – 'Reduce, Replace, Refine' insgesamt vernünftiger wird.“ So könnten in Europa in einem Jahr eine Million Tiere eingespart werden. Und möglicherweise auch viele Steuergelder. Denn „wir alle subventionieren Tierversuche mit unseren Steuergeldern“, kritisiert der Verein der „Ärzte gegen Tierversuche“. Wie viele öffentliche Gelder in die tierexperimentelle Forschung fließen, wisse zwar niemand genau. Aber Ausgaben für einzelne Projekte in Höhe von über 200 Millionen Euro gäben die Dimensionen wieder, um die es gehe. Auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Tierversuche im Hochschulbereich finanziere, habe 2007 ein Etat von 1,7 Milliarden Euro aus der Staatskasse zur Verfügung gestanden. Demgegenüber stünden der tierversuchsfreien Forschung jährlich nur etwa 4 bis 5 Millionen Euro staatliche Unterstützung zur Verfügung.
Tierverbrauch könnte wieder zunehmen
Dabei hätten innovative Forschungsansätze gegenüber dem Tierversuch mehrere Vorteile. Gerade im Bereich der Zellkulturen wurden nach Angaben des Vereins viele In-vitro-Methoden entwickelt. Bei einigen Methoden würden jedoch weiterhin Teile getöteter Tieren oder tierische Produkte verwendet. Nur ein paar Beispiele seien genannt:
Hoffnungen setzen Forscher derzeit vor allem auf die erweiterte Ein-Generationen-Studie. Bei den so genannten Zwei-Generationen-Studien werden Chemikalien bis in die Enkeln der Versuchstiere getestet, um fruchtschädigende Wirkungen auszuschließen. Wie Hartung dem „Spiegel“ sagte, umfassen diese Versuche rund 70 Prozent der Kosten und rund 90 Prozent des Tierverbrauchs. Bei der erweiterten Ein-Generationen-Studie untersuchen die Forscher nur die Töchter und Söhne – aber genauer. Laut Hartung könnte so der Tierverbrauch für die neue EU-Chemikalienrichtlinie (REACH) auf ein Fünftel reduziert werden. Die OECD-Staaten beraten aber noch, ob sie die neue Methode anerkennen. Wissenschaftler wie Hartung halten dies für dringend erforderlich, denn die Zahl von über 2,5 Millionen Wirbeltieren, die 2008 allein in Deutschland für die Forschung starben (in der EU über zehn Millionen), könnte „durch die neue EU-Chemikalienrichtlinie sogar noch steigen. Nach der neuen Verordnung müssten Chemikalien, die die Industrie verwendet, bis zum Jahr 2018 registriert werden. Viele seit langem genutzte Stoffe müssten erneut geprüft werden. Allerdings: „Die Rechnung, wonach ein Tierversuch durch eine Alternativmethode ersetzt wird, stimmt für komplexere toxische Effekte nicht", sagt Dr. Robert Landsiedel, Toxikologe bei der BASF. Außerdem schütze „ein Tierversuch gegen Schadensersatzforderungen immer noch besser als die modernste Alternativmethode", erklärt Liebsch.
Die große Heuchelei?
Der Kampf gegen Tierversuche sei zudem heuchlerisch, schrieb Andreas Sentker vor kurzem in der „Zeit“. In unserem Alltag nähmen wir ohne Bedenken tausendfaches Leid von Tieren in Kauf. Manche vermeintliche Hundefreunde etwa nähmen am Leid ihrer Schützlinge genauso selten Anstoß wie der durchschnittliche Fleischesser am Schicksal seines Eiweißlieferanten. Die meisten griffen am liebsten nach Schnitzeln zu Schleuderpreisen. An den Pranger gehörten nicht Wissenschaftler, die streng reglementierte Tierversuche durchführten, sondern eher „jene, die ihre Tiere hinter zugezogenen Wohnzimmergardinen quälen. Oder zum billigsten Schnitzel greifen, zahlen und gehen“.
„Von allen jährlich in Deutschland getöteten Tieren machen Versuchstiere gerade einmal 0,5 Prozent aus“, hieß es 2006 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.