Napoleon soll es in Waterloo heimgesucht haben, Kurt Cobain ertrug es im Drogenrausch und Alfred Hitchcock versank regelmäßig im Suppenteller. Diesen Persönlichkeiten wird das Krankheitsbild der Narkolepsie nachgesagt, einem Leiden mit unterschiedlichsten Ausprägungsgraden, besonderer psychischer Belastung, und deutschlandweit immer noch hoher Dunkelziffer.
Elke ist 24 Jahre alt. Sie wohnt mit ihrer Freundin in einer WG, besucht die FH. Äußerlich unterscheidet sie sich nicht von ihren Kommilitoninnen. Seit knapp 10 Jahren leidet sie an Narkolepsie. Sie ist die Erste in ihrer Familie, die diese Krankheit hat. Weder ihre Großeltern noch Eltern sind davon betroffen. Die ersten Symptome hatte sie mit 15 Jahren, von der richtigen Diagnose war sie damals noch Jahre entfernt. "Alles begann in der 10. Klasse", erzählt sie. "Ich bin mitten im Unterricht eingepennt. Ich war den ganzen Tag schon müde und bin einfach mitten in der Stunde eingeschlafen." Dass die Rüge, die der Lehrer verteilte, nur der Anfang einer Anreihung von missinterpretierten Situationen war, konnte Elke zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Tägliche Albträume
Während sich die Müdigkeit mittlerweile zum tagtäglichen Zustand entwickelte, gesellten sich nach drei weiteren Jahren "diese Albträume" hinzu. "Zuerst hatte ich vor dem Einschlafen diese realistischen Träume, dass ich Fliege, oder dass Sachen in meinem Zimmer schweben. Schrecklich wurde es erst, als sich diesen Träumen sukzessive negative Affektionen beimischten. Plötzlich sind dann Spinnen über meine Beine gelaufen. Diese Träume sind also eher Albträume, die jedoch nicht so verschwommen, sondern viel konkreter und damit realistischer wirken. Zuerst versteht man auf einer rationalen Ebene, was passiert, aber später setzt der Verstand aus und man ist der Traumhandlung ausgeliefert." Dabei handelt es sich nicht um eigentlichen Traumschlaf, sondern um so genannte präsomnale hypnagogen Halluzinationen. Diese hat Elke noch heute, konsequent vor jedem Einschlafversuch. "Die Träume werden mit der Zeit immer heftiger. Heute kommen oft tote Menschen zu mir und erzählen, dass sie mich holen wollen. Schlimmer wird es auch, je länger ich am Stück wach bin."
Der Weg zur Diagnose
Fünf Jahre lang hat sie Müdigkeit und Halluzinationen ausgehalten ohne einen Arzt zu konsultieren. Die Angst vor einer Stigmatisierung als "geisteskranke" oder der möglichen Diagnose eines Hirntumors ließen sie innerlich jeden Arztbesuch verweigern. Nach insgesamt acht Jahren von der Erstsymptomatik an war der Leidensdruck allerdings zu groß, weshalb sie sich ihren Eltern öffnete und schließlich den Hausarzt konsultierte. Dieser überwies sie an einen Neurologen, der ihr eine Angststörung mit Assoziation zum Schlaf, quasi eine Somnophobie diagnostizierte. Zur weiteren Diagnostik wurde sie in ein Schlaflabor der Rheinhessenfachklinik überwiesen, welches mittels eines Schlafentzugstestes weitere Symptomatiken demaskieren wollte. Trotz der befürchteten Verstärkung der Halluzinationen stimmte Elke zu. Dass es zu dieser Diagnostik letztendlich nicht kam, war einem erfahrenen Schlafmediziner in dieser Klinik zu verdanken, der bei der Symptombeschreibung im Rahmen der Anamnese die Arbeits- und auch korrekte Diagnose der Narkolepsie stellte. Elkes Diagnosen-Odyssee war im Verhältnis recht kurz. Nicht selten leben Patienten trotz manifester Symptome und regelmäßiger ärztlicher Konsultation jahrelang mit falscher Diagnose und dementsprechend akausaler Therapie.
Die Behandlung
Dass Elke relativ schnell eine fassbare Diagnose erhielt, ergab sich mitunter auch aus ihren lehrbuchhaften Syndromen: sie leidet nicht nur an den oben genannten, sondern hat im Falle starker emotional gefärbter Situationen auch kataplektische Anfälle, also plötzlichen Muskeltonusverlust bei völligem Bewusstsein. "Als ich die Diagnose gestellt bekam, war ich sehr froh.", sagt Elke. Therapeutisch konnte jetzt gezielt behandelt werden. Sie bekommt Methylphenidat gegen die Müdigkeit und Antidepressiva, welche sie aber kaum zu sich nimmt. Unter vorgehaltener Hand sagt sie, dass Alkohol, Joints und Amphetamine ein wenig helfen, auch gegen die hypnagogen Halluzinationen. Das hat wohl auch schon Kurt Cobain gewusst.
Wie kommt es zur Narkolepsie?
Der Narkolepsie liegt nach heutigen Erkenntnissen eine Defizienz im so genannten Hypocretin (Orexin) System zu Grunde. Ein Großteil der Narkolepsie-Patienten zeigt eine Degeneration hypocretinbildender Neurone im Hypothalamus. Die Funktion des Systems ist komplex und verknüpft den Schaf-Wach-Rhythmus mit der Regulation der Nahrungsaufnahme, sowie weiterführenden endokrinen und kardiovaskuläre Funktionen. Die Sinnhaftigkeit der Vernetzung erklärt sich aus folgendem Gedankenexperiment: In Zeiten des Fastens werden die Hypocretinspiegel heraufgefahren, was mittelbar zur Appetitsteigerung führt, ebenso den Sympathikus ankurbelt und die Cortisolproduktion steigert. Zudem werden adrenerge schlafregulierende Hirnstammneurone stimuliert. Der Organismus wird zur Nahrungssuche und Aufnahme vorbereitet. Im Rahmen einer Defizienz kommt es dagegen zum Übergewicht der cholinergen neuronalen Gegenspieler, wodurch REM-Schlaf-Episoden Acetylcholin-getriggert in die Wachphasen einbrechen, und so die Schlafneigung, Kataplexie und hypnagogen Halluzinationen erklären. Weshalb die Neurone im Hypothalamus degenerieren, ist bisher unklar. Neue Publikationen deuten allerdings auf eine mögliche autoimmune Komponente hin, da eine Korrelation zu spezifischen HLA-Mustern gefunden wurde. Zudem konnten kürzlich (Februar 2010) spezifische Treb2-Antikörper gegen hypocretinbildende Neurone nachgewiesen werden.