Bei der Dosierung von Schmerzmitteln nach einer OP oder bei chronischen Schmerzen sind die Ärzte auf Aussagen Ihrer Schützlinge angewiesen. Die Angaben über gefühlten Schmerz variieren dabei stark. Mit einem Gehirnscan könnte es eine objektive Skala geben.
Kann man Liebe messen? Wie schön ist eine Frau? Und wie groß ist der Schmerz, den die Seele, eine Infektion oder eine chronische Krankheit erzeugt? Bisher erscheint es unsinnig, Gefühle auf einer Skala unterzubringen. Allenfalls taugte ein Schmerzfragebogen dazu, die Menge an Schmerzmittel ungefähr einzustellen.
Zähneziehen im Kernspin
Entsprechend eines Berichtes des englischen Wissenschaftsmagazins New Scientist lassen sich Schmerzen jetzt objektiv messen und vergleichen. Im Februar präsentierte Tara Renton vom Londoner King’s College Messungen, die sie als Zahnärztin an 16 jungen Männern angestellt hatte. Sie mussten sich nicht nur ihre Weisheitszähne entfernen, sondern gleichzeitig auch mittels Magnetresonanztomografie (MRT) in ihr Gehirn schauen lassen.
Schon sein längerem dient die funktionelle MRT dazu, Bereiche im zentralen Nervensystem zu kartieren, die sich auf die Verarbeitung der Schmerzsignale aus den peripheren Rezeptoren und der subjektiven Empfindung spezialisiert haben: Renton ging aber noch weiter: Sie nutzte die Technik des Arterial Spin Labeling (ASL). Die Vormagnetisierung des einfließenden Bluts erlaubt auch quantitative Aussagen über die Aktivität bestimmter Gehirnzentren.
Die ASL-Signalstärke in den schmerzrelevanten Bereichen korrelierte dabei mit dem Ausmass des gefühlten Schmerzes beim Verlust des Weisheitszahns. Bisher sind diese Daten jedoch noch nicht publiziert. Die Beurteilung durch Schmerzforscher ist dementsprechend vorsichtig. „Im Prinzip möglich“, meint beispielsweise Markus Ploner, der an der Neurologischen Klinik der Münchner TU forscht. Andere sind da etwas direkter: „Die Messung nach einem objektiven Schmerzmaß hat keinen Sinn“ zitiert der New Scientist etwa den Schmerzforscher Stuart Derbyshire aus dem englischen Birmingham. „Schmerz ist eine subjektive Erfahrung, daher sagen uns objektive Daten nicht allzu viel“.
Angsthasen sind geringer vernetzt
Dass sich aber gerade diese subjektiven Empfindungen im Gehirn widerspiegeln, hat Ploner in einer PNAS-Veröffentlichung im Januar dieses Jahres gezeigt. Er nutzte die funktionelle Magnetresonanz, um die Vernetzung einzelner Gehirnareale untereinander darzustellen. Je enger etwa die Inselrinde des Großhirns mit dem Hirnstamm kurz vor dem Reiz vernetzt ist, desto geringer ist die subjektive Schmerzempfindung. Viele Faktoren beeinflussen dieses Gefühl. „Bei ängstlicheren Personen konnten wir zum Beispiel einen schwächeren Einfluss der Vernetzung in der Phase kurz vor dem Schmerzreiz feststellen“, beschreibt Ploner die Ergebnisse.
Bereits vor einigen Jahren hatte er ein anderes neuronales Phänomen beobachtet, das die subjektive Schmerzstärke widerspiegelt. Die Forscher verabreichten ihren Versuchspersonen dazu eine Reihe gleich starker Schmerzreize. Wie stark sie den dazugehörigen Schmerz empfanden, zeigte sich in der Aktivität von Nervenzellen im somatosensorischen Kortex. Die Signale oszillieren im Bereich von 60 bis 95 Hz. Die Amplitude dieser Schwingungen korreliert dabei mit der subjektiven Stärke des Reizes.
Fibromyalgie: Anderes Schmerzbild im Gehirn
Erst vor kurzem demonstrierte auch eine andere deutsche Forschergruppe, dass moderne Technik wie fMRI subjektives Schmerzempfinden aufzeichnen kann. An der Uniklinik in Münster verglichen Forscher unter der Leitung von Bettina Pfleiderer die Schmerzverarbeitung von Gesunden, Rheumakranken und Patienten mit Fibromyalgie. Als Antwort auf den künstlich gesetzten Schmerzreiz, aktivieren jene mit Fibromyalgie anders als die beiden anderen Gruppen vorübergehend eine Region im Stirnlappen des Gehirns. Entsprechend den Signalen aus dem cingulären Kortex bei Fibromyalgie-Patienten konnte das Team nachweisen, dass der subjektiv empfundene Schmerz von der Signalstärke kurz vor dem Reiz abhängt.
Aus für Schmerz-Faker und Helden
Vania Apkarian, Neurowissenschaftler an der Northwestern University im amerikanischen Illinois zeigte bei Rückenschmerzpatienten, dass die Stärke des Feuers aus dem präfrontalen Kortex und der rechten Inselrinde mit der Dauer und Intensität der chronischen Schmerzen einhergeht. Er sagt voraus, dass objektive Schmerzmessungen wie bei Lügendetektoren schon bald verlässliche Daten liefern - möglicherweise auch bei Schadenersatzklagen vor Gericht: „Vielleicht schon 2012 - das kommt zwangsläufig.“
Schmerzmessungen bei Koma- und Locked-in-Patienten, bei Kleinkindern und vielleicht sogar bald bei Ungeborenen. Und schließlich auch bei Labortieren. All die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass der subjektiv empfundene Schmerz nicht nur von der Verletzung im Gewebe abhängt, sondern auch von Genen und Erfahrungen. Das Bild auf dem Monitor könnte den Schmerzfragebogen gut ergänzen, um auch bei der Dosierung von Schmerzmitteln nicht mehr auf Bauchgefühl und Studien mit Standardpatienten angewiesen zu sein.