Darmkrebs lässt sich verhindern, suggerieren Promi-Testimonials und haben damit Erfolg. Was den einen noch nicht genug ist, ist den anderen viel zu viel. Die Koloskopie als Vorsorgeuntersuchung für jeden Normalbürger ist umstritten.
Die Koloskopie wird allen deutschen Bürgern ab 55 Jahre im Rahmen des Vorsorgeprogramms für Darmkrebs in zehnjährigem Abstand empfohlen. Werbewirksam sind Medienauftritte der Felix-Burda-Stiftung mit Prominenten, die die große Bedeutung der Koloskopie für die Sicherheit eines jeden Bürgers betonen.
Die Kampagnen haben Erfolg: Jährlich nehmen laut Felix-Burda-Stiftung rund 500.000 Menschen auch ohne Beschwerden an der Koloskopie teil. Wie einer aktuellen Nachricht im Ärzteblatt zu entnehmen ist, beläuft sich die Zahl der Menschen, die bislang teilgenommen haben, auf vier Millionen. Dabei hätten sich 80.000 fortgeschrittene Ademone identifizieren und resezieren lassen, die sich in den folgenden Jahren zum Karzinom entwickelt hätten – wobei fraglich ist, ob das tatsächlich so ist. Immerhin erkranken in Deutschland jährlich mehr als 70.000 Menschen an Darmkrebs, über ein Drittel der Erkrankten stirbt daran. Ist das für eine Screeningmaßnahme nicht Rechtfertigung genug?
Wahre Gefahren und Risiken werden verschwiegen
Nein, Kampagnen verhindern Aufklärung, meinten Ingrid Mühlhauser und Anke Steckelberg der Universität Hamburg bereits wenige Jahre nach Einführung der Krebsvorsorge für alle im Jahre 2002. Kampagnen verfestigten den Irrglauben der Bevölkerung über eine mögliche Krebsvorsorge. Krebsrisiko und Nutzen von Früherkennungsuntersuchungen würden massiv überschätzt, der mögliche Schaden bliebe völlig unberücksichtigt. Kampagnen sorgten dafür, dass sich Bürger in falscher Sicherheit wiegen, andererseits unnötig verunsichert würden. Die Begriffe Früherkennung und Vorsorge wären zu trennen, und eine informierte Entscheidung werde durch Kampagnen verhindert.
Risiken würden absichtlich verschwiegen. Die Aussage prominenter Werbender „Das tut gar nicht weh“, bagatellisiert den Forscherinnen zufolge einen Eingriff, den ein Viertel der Untersuchten mindestens als unangenehm, beunruhigend oder gar schmerzhaft empfinden. Bereits vor der Untersuchung sei mit Komplikationen zu rechnen. Nahrungskarenz, Abführmittel und zuzuführende Flüssigkeit belasteten Herzkreislaufpatienten unnötig. Bereits zu diesem Zeitpunkt müssten manche Patienten Beruhigungsmittel einnehmen. Besonders ältere Menschen könnten mit Atemstörungen reagieren.
Nach einer Aufklärungsbroschüre von Mühlhauser und Steckelberg kann es im Rahmen der Koloskopie zu schwereren Blutungen (30 von 10.000), Perforationen (10 von 10.000) und Todesfällen kommen (2 von 10.000). Komplikationen wie diese würden in größeren randomisierten klinischen Studien unzureichend erfasst. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie aus 2009, die das Komplikationsrisiko älterer Patienten ab 66 Jahre untersuchte. Demnach ist eine Entscheidung zur Koloskopie insbesondere bei älteren, komorbiden Patienten zu überdenken.
Informierte Entscheidung gefordert
Einer Mediendarstellung wie „Jährlich sterben in Deutschland 30.000 Menschen an Darmkrebs“ oder „1 von 18 erkrankt an Darmkrebs“ treten die Forscherinnen deutlich entgegen. Denn die Zahlen werden auf ein Alter von 85 Jahre hochgerechnet. Wie viele aber sterben in jüngeren Jahren an anderen Erkrankungen? Wie viele Polypen älterer Patienten haben ein hohes Potential zu entarten? Die Wahrscheinlichkeiten in unterschiedlichen Alterklassen innerhalb der nächsten zehn Jahre zu erkranken, fallen nämlich erheblich geringer aus, errechneten Mühlhauser und Steckelberg. Bei Personen mit erhöhtem Risiko gelten die errechneten Zahlen jedoch nicht.
Während offizielle Stellen wie der Krebsinformationsdienst weiter zur Darmspiegelung für alle aufrufen, verhält sich unser Nachbarstaat, die Schweiz, bezüglich der Einführung dieses Screenings eher zögerlich. Entscheidend ist nach Experten das individuelle Krebsrisiko. Dieses können Interessierte anhand eines Online-Tests auf den Seiten der schweizerischen Krebsliga abschätzen.
Mühlhauer und Steckelberg fordern eine informierte Entscheidung und legen ethische Leitlinien zur Information über eine Screeningmaßnahme aus Großbritannien zugrunde: Demnach sind vor der Untersuchung Zweck der Untersuchung, Prognose ohne Untersuchung, die Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung mit Erfolgs- und Misserfolgsaussichten und mögliche Schäden durch die Untersuchung selbst dem Patienten verständlich darzulegen. Auch über die Wahrscheinlichkeit von falschen Untersuchungsergebnissen muss der Patient informiert sein wie auch finanzielle und soziale Auswirkungen des Screenings. Nicht zuletzt sollten Patienten Beratungs- und Unterstützungsangebote erhalten.