Schon ewig plagen sich Seefahrer mit ihr herum - im Zuge von 3D bekommen jetzt auch Cineasten Probleme mit der Seekrankheit. Bewährtes hilft, hat aber Nebenwirkungen. Dabei gibt es laut eines Wiener Professors ein einfaches Mittel: Ascorbinsäure.
In den Kinos hat die neue Technik ganz furios Einzug gehalten. Filme, die den Zuschauer so realistisch wie noch nie zuvor auf Reisen durch die Luft oder in die Tiefen des Meeres mitnehmen. 3-D Filme wie etwa „Avatar“ nehmen manchen Zuschauer aber auch so sehr mit, dass er mit verkrampftem Magen, kaltem Schweiß und bleichem Gesicht das Kino lange vor dem Ende verlässt.
Schweine werden nicht seekrank
Die Irritationen bei der Seekrankheit, die nichts anderes als ein „Bewegungsschwindel“ ist, reichen vom leichten Unwohlsein bis zur vollständigen Magenentleerung. Dabei spielt der Sehsinn eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. So werden auch Blinde seekrank, nicht aber taubstumme Personen mit defektem Gleichgewichtsorgan. Frauen sind sensibler als Männer. Ratten und Mäuse, ja sogar Fische (wenn man das Aquarium dreht) leiden unter der Verwirrung der Sinne, nicht aber Schweine. Warum? Das, so ist Jarisch überzeugt, hängt mit dem Histamin-Stoffwechsel zusammen.
Schweine produzieren als Allesfresser große Mengen des Histamin-abbauenden Enzyms Diaminoxidase, mit denen es ihnen auch leichter fällt, etwa verdorbenes Fleisch mit großen Histamin-Konzentrationen zu verwerten. Studien und Tierversuche geben eindeutige Hinweise dafür, dass überschüssiges Histamin zu den Symptomen bei Seekrankheit führt. Blockiert man bei Ratten den Abbau der Aminosäure Histidin zu Histamin, zeigen sie keinerlei Symptome. Ebenso verhält es sich bei Tieren, deren Histamin-Rezeptor inaktiviert wurde.
Widersprüchliche Informationen von Auge und Innenohr
Seine Augen hinter der 3-D Brille melden dem Zuschauer den Flug durch den Raum, während ihn sein Körper über Propriozeptoren und Bogengänge über die bequeme Sitzposition im Kinosessel informiert. Das verwirrt die zentrale Steuerung. Im Kino passiert genau das Umgekehrte, was Touristen, aber auch vielen alten Seebären in den ersten Tagen nach der Ausfahrt auf Schiff zu schaffen macht. Wenn das Auge sich an den scheinbar ruhigen Umrissen des Schiffs festhält, aber die Sensoren unseres Körpers ständig unregelmäßige Bewegungen vermelden, werden die meisten von uns seekrank. Der Fachjargon dafür: Kinetose.
Salzbrezeln, warme Cola, Akupressur oder Ingwer, ja sogar Spezialbrillen mit Horizontalbalken sollen gegen die Übelkeit helfen. Sensible Personen berichten, dass sie sogar den Wunsch hatten zu sterben. Angeblich sollen Passagiere schon festgebunden worden sein, um sie am Sprung über Bord zu hindern. Ein Mediziner aus dem eher meerfernen Österreich will eine einfache Kur gegen das Leiden gefunden haben. Einfach etwas Ascorbinsäure - Vitamin C - und die Beschwerden seien vorbei. Für einen ersten Test seiner These nützte Reinhart Jarisch, Leiter des Allergiezentrums in Wien-Floridsdorf, das Wellenbecken des Marinestützpunkts im holsteinischen Neustadt. 50 Männer und 20 Frauen erprobten im Gummi-Rettungsfloß bei hohem Wellengang ihre Seefestigkeit. Tatsächlich mussten 23 Probanden das Floß vor Ablauf des 20-Minuten-Sturms verlassen.
Auch im Blut der Seekranken in Neustadt stieg der Histamin-Spiegel stark an. Deswegen verwundert es auch kaum, dass es sich bei der Mehrzahl der gängigen Mittel gegen die Übelkeit auf Schiff um Antihistaminika handelt. Cinnarizin und Dimenhydrinat haben sich dabei bewährt. Scopolamin ist ein Antagonist von Acetylcholinrezeptoren, Andockstationen für Neurotransmitter im Gehirn. Beide Wirkstoffgruppen haben jedoch Nebenwirkungen: Unter anderem Müdigkeit und Trübung des Sehsinns.
Histaminsenkung durch Vitamin C?
Das Rezept von Reinhart Jarisch käme fast ohne Begleitscheinungen aus. Vitamin C ist auch in höherer Dosierung weitgehend harmlos. Wahrscheinlich, so vermuten Experten, ist es am Abbau von Histamin direkt oder indirekt beteiligt. Es hilft, so Jarisch, nicht nur bei Übelkeit auf See, sondern auch bei Mastozytose. Auch dort erhält der Körper mehr Histamin, als er braucht. Zur Wirkung von Vitamin C gibt es zwar eine Reihe von Erfahrungsberichten, aber bisher keine handfesten Beweise aus einer Studie. Auch der Test in Neustadt hat das nicht geändert. Nur bei Frauen und Teilnehmern unter 28 Jahren war der Effekt einer Vitamin-C Gabe signifikant besser als ein Placebo. Bezogen auf alle Teilnehmer half das Vitamin nur tendenziell gegen die Übelkeit.
Dennoch denkt das schifffahrtsmedizinische Institut der Marine über eine Langzeitstudie mit Vitamin C nach. Bis dahin raten Seebären und Mediziner, alles zu vermeiden, was viel Histamin freisetzt: Rotwein, Hartkäse, Salami oder Schokolade. Wer es sich leisten kann, hat auch noch eine weitere geprüfte Option zur Senkung seines Histamin-Spiegels: Im Schlaf wird Histamin schneller abgebaut. Im 3-D Kino dürfte das aber keine Hilfe gegen zu viel Realität auf der Leinwand sein.