90 Prozent aller Magenkarzinome sind auf eine Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori zurückzuführen. Eine neue Impfstrategie, die zurzeit an der TU München entwickelt wird, könnte eines Tages helfen, die Entstehung von Magenkrebs zu verhindern.
Noch vor wenigen Jahrzehnten galt eine Gastritis als chronisches Leiden, ausgelöst vor allem durch zu viel Stress. Erst der australische Wissenschaftler Barry Marshall konnte 1982 in einem Selbstversuch zeigen, dass das Magenbakterium Helicobacter pylori diese Erkrankung verursacht: Marshall nahm ein Gebräu zu sich, in dem die spiralförmige Mikrobe millionenfach herumschwamm. Prompt erkrankte er an einer Entzündung der Magenschleimhaut. Der Mediziner behandelte sich dann mit Antibiotika – und war nach zwei Wochen wieder gesund. Für diese Entdeckung erhielten Marshall und sein Kollege Robin Warren 2005 den Medizinnobelpreis.
Normalerweise reagiert der Mensch mit einer starken Immunantwort auf das Bakterium. Doch diese reicht nicht aus, um Helicobacter pylori wirklich in den Griff zu bekommen. Die Folge: Die Infektion bleibt meist lebenslang bestehen. Bei 10 bis 15 Prozent der Infizierten entwickelt sich ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür und bei einem Prozent sogar ein Magenkarzinom. Experten schätzen dass rund 90 Prozent der Magenkrebserkrankungen durch das Bakterium ausgelöst werden. In Deutschland erkranken an dieser Krebsart jedes Jahr fast 20000 Menschen.
Keime resistent gegen Antibiotika
Ein neuer Impfstoff, den Forscher der TU München um Privatdozent Markus Gerhard von der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik und Professor Dirk Busch vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene zurzeit entwickeln, könnte das verhindern. Zwar stehen mittlerweile wirkungsvolle Antibiotikatherapien gegen Helicobacter pylori zur Verfügung, aber sie haben einen entscheidenden Nachteil: In den vergangenen zehn Jahren ist der Erreger vermehrt unempfindlich gegen die Behandlung mit Antibiotika geworden. „In einigen Regionen Süd- und Osteuropas sind schon 40 bis 50 Prozent der Keime resistent gegen eines dieser Medikamente“, sagt Gerhard. „Um dieses Problem zu lösen, sind neue Ansätze nötig, um den Keim in den Griff zu bekommen.“
Auch wenn immer wieder neue gegen Helicobacter pylori wirksame Antibiotikatherapien erprobt werden, glaubt der Forscher nicht, dass mit diesen eine flächendeckende Bekämpfung der Infektion möglich ist. Gerhard: „Ihr Einsatz wird vor allem für ärmere Länder zu teuer sein, die einzige bezahlbare Alternative wird ein Impfstoff sein.“ Obwohl bereits zahlreiche Impfstoffe getestet wurden, gibt es bisher jedoch noch keinen, der beim Menschen wirksam ist. Im Rahmen eines von der Deutschen Krebshilfe geförderten Projektes forschen deshalb Gerhard und seine Mitarbeiter an einem neuartigen Impfansatz gegen das Bakterium.
Enzym fängt T-Zellen ab
In einer früheren Studie haben die Wissenschaftler bereits ein zentrales Molekül identifiziert, das ein idealer Impfstoff-Kandidat sein könnte: Es handelt sich dabei um ein Enzym, das das Bakterium selbst produziert und ausscheidet. Dieses bakterielle Protein blockiert angreifende T-Zellen und verhindert so, dass das Immunsystem das Bakterium beseitigen kann. „Mit Hilfe der neuen Impfung wollen wir erreichen, dass der Körper spezifische Antikörper herstellt, die das Enzym erkennen und blockieren“, sagt Gerhard.
Doch die Blockade des Enzyms wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um den Erreger endgültig auszuschalten. Deshalb haben die Forscher den Impfstoff mit klassischen Impfantigenen kombiniert, die dem Immunsystem helfen, zusätzlich Proteine zu erkennen, die auf der Oberfläche des Keims sitzen, und gegen diese T-Zellen zu mobilisieren. Gerhard: „Wir brauchen beides: Eine Blockade des immunsuppressiven Enzyms und gleichzeitig eine T-Zell-Antwort gegen bestimmte Oberflächenstrukturen des Erregers.“ Denn dadurch werde das Immunsystem endgültig in die Lage versetzt, das Bakterium eigenhändig zu zerstören.
Impfstoff schützt Mäuse vor Infektion
Ein weiterer Vorteil der neuen Impfstrategie: Die Struktur des Enzyms ist an der Stelle, wo die spezifischen Antikörper angreifen, bei allen bekannten Helicobacter pylori-Stämmen weitgehend identisch. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Impfung bei einem Großteil der Geimpften wirken kann“, so Gerhard. Bislang haben die Wissenschaftler die neue Impfstoff-Kombination aber nur an Mäusen getestet. Hier zeigte sich, dass geimpfte Mäuse spezifische Antikörper gegen das bakterielle Enzym bildeten und vor einer Infektion geschützt waren. Noch sind keine konkreten klinischen Studien beim Mensch geplant. Zuerst muss der neue Impfstoff in größeren Mengen produziert werden, damit in präklinischen Studien seine Anwendung optimiert sowie seine pharmakologischen und toxikologischen Eigenschaften untersucht werden können.
Andere Experten halten die Idee, mit der die Münchener Arbeitsgruppe den Mageneindringling in den Griff bekommen will, für viel versprechend: „Gerhards Arbeit ist ein wertvoller Ansatz, der gut untermauert ist mit experimentellen Ergebnissen“, sagt Professor Peter Malfertheiner, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie der Universität Magdeburg. „Die neue Impfstoff-Strategie wird uns sicher einen Schritt weiterbringen, aber möglicherweise wird auch sie nicht ausreichen, um einen vollständigen Schutz zu erzielen. Deswegen müsse man den Impfstoff um weitere Impfantigene ergänzen, die sowohl das Immunsystem dazu bringen, gegen die Kolonisierung der Magenschleimhaut durch den Erreger vorzugehen, als auch verhindern, dass sich die Entzündungsreaktion ausbreitet."